Hauptmenü

 

Das Pester Lloyd Archiv ab 1854

Ost-West-Drehscheibe
Pester Lloyd Stellenmarkt

 

andrassy2015neu2

 

(c) Pester Lloyd / 24 - 2015   POLITIK     12.06.2015

 

Flüchtlinge "entfernen": Ohne Orbán würde Ungarn überschwemmt...

Die Flüchtlingsdebatte beherrscht das politische Geschehen in Budapest weiterhin, denn von der Regierung wird sie angeheizt und als Sündenbock- und Stellvertreter-Kampagne gezielt instrumentalisiert. Im Rundfunk präsentierte sich Orbán am Freitag wieder als einzig möglicher Beschützer seines "freundlichen" Volkes und als Freund von Lagern und Gefängnissen...

24180perc24 (Andere)


Ungarn ist ein "offenes und freundliches Land, wo freundliche Menschen leben." - "Die Menschen des Islam sind für uns keine Bedrohung, wir begrüßen sie als Vertreter einer entwickelten Zivilisation und schämen uns nicht, von ihnen auch zu lernen. "In unserem Land regiert die Kultur des Respekts." "Wir begrüßen Jeden mit Respekt." "Länder, die sich selbst abschotten, werden verlieren." Hatte Orbán einen Schlaganfall? Denn diese Worte sagte - tatsächlich - Premier Orbán am Dienstag. Allerdings beim Treffen der Internationalen Vereinigung Arabischer Banken IABS in Budapest am Dienstag. Den Bankern stünden in Ungarn "so gut wie keine rechtlichen Schranken für Investitionen" im Wege. Klar, genauso wenig wie den Profiteuren der Orbánschen Günstlingswirtschaft Steuergesetze im Wege stehen...

 

"Wir wollen nicht, dass weitere Einwanderer nach Ungarn kommen. Jene die hier sind, müssen zurück geschickt werden." - "Es wird von einem multikulturellen Europa keinen Weg zurück in ein christliches Europa oder in eine Welt nationaler Kulturen geben." "Multikulturalismus bedeutet das Zusammenleben von Menschen mit verschiedenen kulturellen Wurzeln - z.B. dem Islam (...). Wir müssen alles versuchen, um Ungarn das zu ersparen." Auch das sagte Premier Orbán, Häuptling "Gespaltene Zunge" - in den vergangenen Wochen.

Die Flüchtlingsdebatte wird am Kochen gehalten. Recht erfolgreich überdeckt sie die sozialen Nöte, in die Orbán mit seiner ständestaatlichen Kleptokratie mehr als die Hälfte seiner Bürger gestürzt hat. Über eine halbe Millionen Menschen kehrten dem Regime wegen Perspektivlosigkeit den Rücken, wurden zu Einwanderern in anderen europäischen Ländern.
"Wirtschaftstouristen" nennt Orbán diese Gruppe, ihr Anliegen hat freilich nichts gemein mit denen der Flüchtlinge, die über Ungarn ins richtige Europa wollen. Das Elend mag nicht das Gleiche sein, die Mechanismen dahinter sind es sehr wohl.

Orbáns zweiwöchiger Auftritt in der Radiosendung "180 Minuten", ebenso wie sein Gemüt, bleibt von derlei Dialektik unbeleckt. Die Hassspirale dreht sich und funktioniert (wie man übrigens auch im unserem
Leserforum zu diesem Artikel eindrücklich bebildert bekommt).

Er habe sich am Mittwoch ausführlich von seinem Innenminister Pintér über die "Flüchtlingslage" informieren lassen und plange baldige Konsultationen dazu mit den serbischen Regierungskollegen. Ungarn könne "den ganzen Ärger" nicht im Inland "behandeln", daher sei er sich mit seinen Kabinettskollegen einig, dass "Flüchtlingslager außerhalb der EU" angelegt werden müssten und "die Grenzen der EU besser geschützt werden müssen". Außerdem müsse jeder EU-Staat selbst darüber entscheiden dürfen, wie viele "Einwanderer" er aufnimmt.

"Menschenhändler müssen ausgemacht und eingesperrt werden, auch in Afrika müssen Flüchtlingslager errichtet werden", aber auch "die Massen, die über Land kommen" müsten aufgehalten werden. Orbán warnte nochmals von "Menschenmassen, die nach Ungarn (aus westeuropäischen Staaten) zurückgeschickt" werden könnten.

Orbán umschiffte sowohl die im Raum stehenden Fragen nach der Errichtung physischer Grenzanlagen ("wie das das dann aussieht, sehen wir dann") und dem Einsatz des Militärs, auch hinsichtlich der Grenze zum EU-Nachbarn Rumänien schwieg er, käme er doch bei 1,5 Mio. ethnischen Ungarn im Nachbarland in "nationale" Erklärungsnöte.

Auf anderen Propagandafeldern fühlt sich Orbán hörbar wohler: Auch wenn es "linksliberalen Geschichtenerzählern nicht passt", sei es Fakt, dass Ungarn keine Einwanderung vertragen könne. Es gibt nicht genug Arbeit im Land und die Gesellschaft wolle das auch nicht, was die "breite und sensibel geführte Nationale Konsultation" bestätige. Es sei nur ehrlich, den Flüchtlingen zu sagen, dass sie Ungarn lieber meiden sollten. Die Plakate der Regierung klärten dagegen auf, sie zielten vor allem "auf Menschenschmuggler". Eine "kleine, aber laute" Gruppe "Linksliberaler", zerstört diese Plakate und "sabotiert damit den Volkswillen."

Sollte noch ein Zweifel geherrscht haben, welchen Zweck die Kampagne wirklich hat, Orbán zerstreute diesen offenherzig, denn "Gäbe es nicht diese Regierung (lies: mich), dann "wären schon Hunderttausende Flüchtlinge im Land."

 

Weitere von Orbán in der morgendlichen Radiosendung behandelte Themen waren: > der Fall Altus (die EU finanziert mit "schmutzigen Tricks" eine ung. Oppositionspartei, gehört abgeschafft. Daher wird der Auftrag der EU an Altus gesetzlich als Parteienfinanzierung eingestuft und von der staatlichen Förderung abgezogen). > 2016er Budget (mehr Geld wird bei den Familien bleiben) > Super-Hospital in Budapest (die Hauptstadt braucht es) > Olympiabewerbung 2014 (Ungarn ist es "wert", er werde die Stadien und anderen Bauten ohnehin errichten lassen.)

Auf der wöchentlichen Regierungspressekonferenz bestätigte Kanzleramtschef Lázár, dass es Orbáns Wille bleibt, die Einwanderung (gemeint: Flüchtlingswelle, denn niemand will nach Ungarn einwandern) zu stoppen und "jene, die das sind, sollten aus dem Land entfernt werden." Das sei der "Wille der Menschen", wie man aus "einer halben Million zurückgesandter Fragebögen" entnehmen könne.

Ungarn rechne 2015 mit 130.000 illegalen Grenzübertritten, 54.000 seien bereits aufgegriffen worden. Nach Spanien habe man die höchste Flüchtlingsquote pro Einwohner in der EU. Österreich und Deutschland würden in den nächsten Tagen rund 15.000 weiter gewanderte Flüchtlinge nach Ungarn zurücksenden, "wir müssen Brüssel klar machen, dass wir nicht mit 130.000 Menschen" klar kommen.

red.
 

Das Wichtigste zum Thema im Wochenüberblick (darin weiterführende Links)

Der "Eiserne Vorhang" kehrt zurück: Ungarn schafft Aslyverfahren ab, neues Grenzregime macht Flüchtlinge zu "Eindringlingen" (Bitte beachten Sie darin auch das besonders "bunte" Leserforum) http://www.pesterlloyd.net/html/1524neuesgrenzregime.html

Richtung Artikel 7: Europaparlament behält Ungarn im Auge
http://www.pesterlloyd.net/html/1524epresoultion.html

Ungarn macht die Grenzen dicht: Militär und Zaun sollen Flüchtlinge abhalten
http://www.pesterlloyd.net/html/1523grenzendicht.html

Verhaftungen in Ungarn: Polizei muss Anti-Flüchtlingsplakate der Regierung schützen
http://www.pesterlloyd.net/html/1523plakatedemoliert.html

Orbán: "Kein Flüchtling ist in seiner Heimat in Gefahr..."
http://www.pesterlloyd.net/html/1523orban180perc23.html

"Kein Zurück": Orbán verschärft Hetzkampagne gegen Flüchtlinge
http://www.pesterlloyd.net/html/1523fluechtlingshetze2.html


Unabhängiger Journalismus braucht
die Hilfe seiner Leserinnen und Leser!
18watchingYoupl (Andere)
Unterstützen auch Sie den PESTER LLOYD!

 

 

Effizient werben im
Pester Lloyd!
Mehr.

Unterstützen Sie den Pester Lloyd!