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(c) Pester Lloyd / 25 - 2015   WIRTSCHAFT     17.06.2015

 

"Selbstschutz": Ungarn macht Grenze nach Serbien mit Eisernem Vorhang dicht

Nach der Kabinettssitzung am Mittwoch wurde beschlossen, was schon längst bekannt war: Ungarn bekommt einen neuen "Eisernen Vorhang". Ein Zaun von vier Meter Höhe wird zunächst die südliche Grenze nach Serbien schließen, - natürlich im Einklang mit internationalem Recht - teilte Außenminister Péter Szijjártó vor der Presse mit.

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Außenminsiter Szijjártó und Regierungssprecher Kovács verkünden Orbáns Entscheidungen vom Mittwoch. Fragen waren nicht zugelassen.

 

Die Regierung habe danach das Innenministerium beauftragt, die "Schließung der serbisch-ungarischen Grenze mit einem vier Meter hohen Metallzaun" vorzubereiten. Für die Erstellung der Pläne habe das Ministerium eine Woche. Dabei geht es um einen Abschnitt von 175 Kilometer Länge, ungefähr von Mohács im Südwesten bis Szeged. Damit werde kein internationales Recht gebrochen, wie Serbien behaupte, das nun mit einer "humanitären Katastrophe" auf seinem Staatsgebiet rechnet. Es gebe, so der ungarische Außenminister, genügend "internationale Referenzen" für solche Anlagen, z.B. zwischen den USA und Mexiko, Griechenland und der Türkei oder Bulgarien und der Türkei sowie bei den spanischen Exklaven in Nordafrika.

Nach den Erfahrungen aus Bulgarien würde allein die Errichtung des Zaunes, bei gleicher Bauart, Ungarn rund 100 Mio. EUR kosten, EU-Gelder sind für “die Sicherung der EU-Außengrenze” abrufbar. Rund 2000 Grenzpolizisten sind nötig, die Einsparungen beim Personal betrugen in Bulgarien rund 1 Mio. EUR pro Monat.

Für den 1. Juli haben die serbische und die ungarische Regierung ein gemeinsames Treffen vereinbart, bei dem "Serbien über alle Maßnahmen der ungarischen Seite informiert werden wird". Diese dienten ausschließlich "dem Selbstschutz gegen den Einwanderungsdruck". Man “hoffe sehr auf eine europäische Lösung”, könne aber “nicht länger warten”, die “Bedrohung ist zu ernst”.

Gesetz über “Sichere Herkunfts- und Transitländer”: “Grundstein für Deportationen”.

Außerdem hat die Regierung angewiesen, die rechtlichen Rahmen dafür zu schaffen, damit alle EU-Länder sowie alle Beitrittskandidaten künftig als "sichere Drittländer" klassifiziert werden können, damit von dort illegal Einreisende umgehend wieder dahin abgeschoben werden können, ohne dass sie in Ungarn ein Asylverfahren durchführen können. Auch diese Maßnahme wurde von Premier Orbán und seine Vollstrecker bereits öffentlich vorbereitet, siehe dazu auch diesen viel diskutierten Beitrag.
http://www.pesterlloyd.net/html/1524neuesgrenzregime.html. Im Parlament gab es dazu heute eine Debatte. Während die Rechte sich einig war, dass die “Asylgründe” stingenter zu formulieren seien und nur noch jenen ein Verfahren zusteht, die nicht über “sichere Drittstaaten” in Ungarn ankämen (also praktisch gar niemandem), sprachen liberale Oppositionelle von der Gesetzesänderung als einem “Grundstein für Deportationen” und forderten ausschließlich gesamteuropäisch Lösungen.

Reaktionen

 

Die linke Opposition kritisierte die Ankündigung der Grenzschließung zu Serbien als "drastisch und ungerechtfertigt", sie würde das "verletztlichste Nachbarland" Ungarns im Hinblick auf die Flüchtlingswelle treffen. Offenbar wollte die ungarische Regierung vor dem anstehenden EU-Flüchtlingsgipfel vollendete Tatsachen schaffen und die Debatte im Inland weiter anheizen, so die MSZP. Damit riskiere die Regierung, sowohl das Verhältnis zur EU als auch zum serbischen Nachbarn schwer zu beschädigen, ohne das eigentliche Problem zu lösen, denn die Flüchtlinge werde andere Routen (Rumänien) finden, um durch Ungarn in den Westen zu gelangen.

Der serbische Innenminister, Nebojsa Stefanovic, verurteilte das ungarische Vorgehen als "gegen internationales Recht" gerichtet und nennt es "ungeeignet, illegale Einwanderung nach Ungarn zu stoppen." Serbien bedauert, dass Ungarn den Nachbarn bei einem so schwerwiegenden Schritt nicht konsultiert habe.
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Die Realität des Grenzzauns: Zerrissene Hosen und eine Eskalation staatlicher Gewalt sind die “Erfolge” von Grenzzäunen, hier an der türkisch-syrischen Grenze vor weniger Tagen. Was kommt dann? Selbstschussanlagen, Minenfelder, Schießbefehl?

UPDATE, 17.06., 15:58 Uhr  - Weitere Reaktionen:

Hungaro-Serben bemängeln, dass Ungarn das Problem abwälzt

Der Chef der Allianz der Vojvodina-Ungarn, István Pasztor, einer von Fidesz geförderten Vertretung der ethnischen Ungarn in Serbien, merkte an, dass es wohl sein könne, dass die Flüchtlinge durch den Zaunbau abgehalten werden, Ungarn zu betreten, aber: "das löst das Problem in Serbien nicht". Das Land könne nicht "zigtausende Flüchtlinge unterbringen und versorgen", eine gemeinsame Lösung zwischen Ungarn, Serbien und Mazedonien wäre der bessere Weg gewesen, stimmte auch Innenminister Stefanovic ein. Jene, die derzeit hier seien, müssten "zurückgeschickt" werden. Laut Pasztor werde der Reiseverkehr für jene, die mit gültigen Pässen und Visa ausgestattet sind, nicht beeinträchtigt.

Jobbik fürchtet, dass Grenzzaun nicht reichen wird

Die neonazistische Partei Jobbik befindet: "die Schließung der Grenzen wird das Flüchtlingsproblem langfristig nicht beseitigen." Man müsse strikt zwischen politischen und Wirtschaftsflüchtlingen unterscheiden. Letztere seien nicht in erster Linie "ein Angriff auf den europäischen Arbeitsmarkt, sondern auf die europäischen Sozialsysteme" (lies: die wollen sowieso nicht arbeiten). Mit der Regierung sei man sich einig, dass man "sich von Brüssel keine Quoten aufzwingen lassen" dürfe. Im Übrigen brauche Ungarn wieder eine "eigenständige Grenzarmee" (gewünscht wird eine Gendarmerie nach Pfeilkreuzler-Tradition). Es sei bezeichnend, dass die "Linksliberalen" zunächst gegen Doppelstaatsbürgerschaften für Auslandsungarn stimmten, jetzt aber "langfristig Einwanderern Sozialwohnungen zur Verfügung stellen wollen" (lies: die Linke will das Ungarntum biologisch vernichten).

Liberale fordern Auffanglager unter EU- und UN-Aufsicht und Rationalisierung der "Einwanderungs"-Debatte

Die kleine Liberale Partei (MLP) sorgt sich, dass der Versuch, das Flüchtlings- und Einwanderungsproblem durch "selbstsüchtige nationale Lösungen" zu beheben, unweigerlich in einer "zivilisatorischen Katastrophe" enden wird. Was Orbán jetzt mache, sei inhuman und unverantwortlich. Die Zahlen belegten, dass in Ungarn nicht mehr Menschen leben wollten als vor 2012 (rund 500 im Jahr), diesen könne man - so ihre Absichten ernsthaft sind - eine "echte Chance" geben. Was die Flüchtlingswelle (also jene 99,9%, die über Ungarn in den Westen wollen) angeht, brauche es - abgesehen von globalen Lösungen - schnell, große, standardisierte Aufnahmelager an den EU-Grenzen, unter EU- und UN-Aufsicht und Verfahren, die denjenigen Schutz gewähren, die ihn brauchen.

UPDATE, 17.06., 17:38 Uhr  - Weitere Reaktionen:

Für Ex-Premier Gyurcsány (früher MSZP, heute DK) ist die Regierungsentscheidung "inhuman, nicht akzeptabel". Man akzeptiere die Notwendigkeit des Schutzes der Außengrenzen, finde eine Lösung "wie die Berliner Mauer" aber unzulässig. Diese Art der Grenzziehung sei ein Symbol der Unterdückung, jene, die solche Mauern errichten, standen stets auf der moralisch falschen Seite, so Gyurcsány. Die DK unterstütze das EU-Quotensystem, das würde Ungarn rund 8000 Flüchtlinge versorgen lassen, die bereits in Europa sind. Das überfordere ein Land von 10 Mio. Einwohnern nicht und sei ein Gebot der Menschlichkeit.

Der Chef der grün-nationalliberalen LMP, András Schiffer sieht im Zaunbau "keinerlei Lösung irgendeines Problems", im Gegenteil, mit den Zäunen erwächst eine globale Krise, die ein "bitteres Erwachen" bringen wird. Schiffer kritisierte vor allem auch das parallel im Parlament besprochene Gesetz (siehe oben), das seiner Meinung nach gegen die Genfer Flüchtlingskonvention verstößt.

MSZP-Chef József Tóbiás ergänzte eine erste Äußerung seiner Partie (siehe oben), dass er die Maßnahme für "Ungarn unwürdig" halte, im Angesicht des Umstandes, dass hier vor 26 Jahren der Eiserne Vorhang seine ersten Risse bekam.
 

red.
 

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