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(c) Pester Lloyd / 29 - 2015     POLITIK    13.07.2015

 

150 Meter Déjà-vu: In Ungarn begannen die Bauarbeiten am neuen Eisernen Vorhang

Am Montag begann in Ungarn der Bau des angekündigten Grenzzauns zu Serbien, fast genau 26 Jahre nach dem Abbau des Eisernen Vorhangs gen Westen. Die materielle Manifestation von Orbáns fremdenfeindlicher Politik wird den Flüchtlingsstrom nicht stoppen, höchstens umleiten. Der Zaun ist daher nicht mehr als ein populistisches Zeichen der Stärke - und ein Symbol der Schwäche Europas...

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Bis Freitag soll ein "Probezaun" stehen, ein Teilstück von 150 Meter Länge in der Nähe des Ortes Mórahalom im Komitat Csongrád, auf halbem Wege zwischen Szeged und Subotica. Zunächst wird von militärisch-technischen Einheiten die Vegetation auf einem 12 Meter breiten Streifen entfernt und dann der 10 Meter breite Grenzstreifen planiert. Später dann soll der 4 Meter hohe Drahtzaun errichtet werden, nach unseren Informationen auch mit einer Stacheldrahtkrone und Kameras ausgestattet werden.

Bisher wurden nur Militärs an der Baustelle gesichtet, das Gesetz erlaubt jedoch den generellen Einsatz von "Angehörigen des Öffentlichen Dienstes", zu denen - formal - auch die Billigstarbeiter der Kommunalen Beschäftigungsprogramme zählen. Per Gesetz wurden rund 2.700 private und 1.300 öffentliche Grundstückseigner teilenteignet und werden entschädigt.

Insgesamt soll der Zaun mit einer Länge von 175 Kilometern die gesamte Grenze zu Serbien abriegeln und "temporär" sein. Zunächst sind rund 21 Mio. EUR für die Errichtung eingeplant, die Gesamtkosten werden jedoch bei mindestens 80 Mio. EUR liegen, ungefähr das Zehnfache dessen was Ungarn derzeit jährlich für Asylverfahren, Flüchtlingsunterbringung und Grenzschutz aufwendet. Der Kauf der Materialien muss nicht ausgeschrieben werden, da es sich um ein Projekt der "nationalen Sicherheit" handelt.

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Während Landwirte, Bewohner und Lokalfunktionäre der Gegend den Bau gegenüber Medienvertretern heute als "unumgänglich" begrüßen, weil die "Situation so nicht mehr erträglich" sei, ist die Zustimmung in der Gesamtbevölkerung wohl in etwas 50:50. Während regierungsnahe Institute von einer 2/3-Zustimmung sprechen, fanden unabhängige Institute heraus, dass mehr als die Hälfte zwar strengere Einwanderungsbestimmungen fordern, gegenüber einem "Mauerbau" aber Skrupel haben.

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Fotos vom ersten Bauabschnitt bei Mórahalom, Fotos: MTI

Fidesz-Regierungspolitiker kündigten an, "bereit zu sein auch an anderen Stellen Zäune zu errichten, falls das notwendig ist."

Ungarn sieht sich seit eineinhalb Jahren mitten in der "Balkanroute" für Flüchtlinge zunächst aus dem Kosovo, jetzt überwiegend aus den Kriegsgebieten Syrien, Irak, Afghanistan, Somalia konfrontiert und musste in diesem Jahr bereits mit dem Durchzug von rund 70.000 Flüchtlingen klar kommen, ads Siebenfache von 2012. Nur ein Bruchteil davon, rund 2.700 absolvieren ihre Asylverfahren jedoch in Ungarn, gerade rund 500 jährlich werden letztlich aufgenommen.

 

Trotz dem Ungarn nur Transitland ist, aus dem selbst die eigene Bevölkerung zu Hunderttausenden auswandert, entfachte Premier Orbán eine beispiellose Hetzkampagne gegen angebliche "Wirtschaftsflüchtlinge", die das "christliche Europa zerstören" wollten und deren "Artfremdheit" man hier nicht brauche. Er setzte Flüchtlinge pauschal mit Terroristen und organisierten Kriminellen gleich und behauptete, dass niemand von ihnen in seiner Heimat um sein Leben fürchten müsse.

Orbán kam bei seinem flüchtlingspolitischen Alleingang - zu dem auch die Quasi-Aufhebung des Asylrechtes zählt - zu Pass, dass die EU-Regierungschef unfähig bzw. unwillig waren, einen gemeinsamen, verbindlichen Weg zu finden. Der Zaun ist daher das Statement eines “starken Führers” gegenüber seinem eigenen Volk und gleichzeitig ein Symbol für die Schwäche Europas. Nur als Grenzzaun wird er kaum Wirkung entfalten. Nicht nur Sicherheitsexperten sind überzeugt, dass der Zaun die Flüchtlingsströme lediglich über Rumänien und Kroatien umlenken und zu eskalierenden Situationen an der serbischen Grenze selbst führen wird, wenn Flüchtlinge ihn z.B. durchschneiden etc.

Es gibt erste
Übergriffe von Rechtsextremisten auf Flüchtlinge und Einheimische, die den Schutzsuchenden helfen.

Eine ausführliche Übersicht über die Flüchtlingspolitik Ungarns erhalten Sie
in diesem Beitrag mit CHRONOLOGIE.


Stimmen der Oppositionsparteien zum Beginn des Zaunbaus:

"Demokratische Koalition" DK: die Arbeit an dem Zaun sollte gestoppt werden, denn dieser dient nur dem Zweck, das Schwinden der Popularität des Fidesz aufzuhalten. Eine aktuelle Studie habe belegt, dass 67% der Ungarn glauben, dass ein solcher Zaun völlig ungeeignet ist, um Flüchtlinge aufzuhalten. Selbst der Innenminister bestätigte, dass 98% der illegalen Grenzübertritte bereits im Grenzbereich gestoppt werden - auch ohne Zaun.

"Dialog für Ungarn" PM: Die Regierung baut einen neuen Eisernen Vorhang, was nicht hinnehmar sei. Die Kosten für die Errichtung, die auf 35 Milliarden Forint geschätzt werden (ca. 113 Mio. EUR) sollte lieber zur Armutsbekämpfung und für Lohnerhöhungen für Lehrer, Sozialarbeiter und Mitarbeiter des Gesundheitswesens genutzt werden. Der Bau gehöre umgehend gestoppt, die Armee solle leer stehende Kasernengebäude für Flüchtlinge bereitstellen.
 

red. / cs.sz.


 



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