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(c) Pester Lloyd / 47 - 2009  POLITIK 20.11.2009
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Schriftliche Daumenschraube

Neun Staaten drohen Ungarn mit Liebes- und Investitionsentzug

Neun Staaten versandten über ihre Budapester Botschaften am Donnerstag ein Schreiben, in dem, in einem für diplomatische Vertretungen ungewohnt direkten Ton, "große Besorgnis" über "intransparentes Gebaren" in der öffentlichen Vergabepraxis Ungarns geäußert wird. Investoren könnten auch woanders investieren, heißt es da unverholen drohend. Wem nutzt diese Warnung und was steckt dahinter?

Es ist zwar nur ein Stück Papier, aber es bedeutet dennoch einen ungewöhnlichen Schritt und eine riskante Einmischung. Die Botschaften von Großbritannien, Frankreich, Belgien, der Niederlande, von Japan, Norwegen, der Schweiz und Deutschland, der USA und Norwegen, Länder also, die "zusammen einen großen Teil der ungarischen Auslandsinvestitionen" repräsentieren, erklärten in dem Schreiben ihre Unzufriedenheit mit einigen politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen der letzten Zeit und bemängeln vor allem das Klima der Intransparenz bei staatlichen Vergabeverfahren. "Als Freunde Ungarns, die Zeugen der derzeitigen Schwierigkeiten und der Bemühungen ihrer Behebung geworden sind ..., hoffen wir, dass die Maßnahmen für ein neuerliches Wachstum der ungarischen Wirtschaft Wirklichkeit werden." Davon hängen u.a. auch "Entscheidungen ab, die von derzeitigen und potentiellen Investoren getroffen werden, die aus den von uns vertretenen Ländern kommen."

Eine mittelalterliche Daumenschraube. Passende Illustration zum Schreiben der neuen Botschaften?

"Es ergreift uns daher mit großer Sorge, dass in letzter Zeit von signfikanten neuen Fällen von intransparentem Gebaren auf dem Gebiet der öffentlichen Versorgung, beim Rundfunkwesen und bei Teilen der Verkehrs- und Transportinfrastruktur zu hören ist, die Einfluss auf Investoren haben." ... "Diese Berichte könnten Investionen verhindern, um die Ungarn, wie jedes andere Land, kämpft." "Nun, da sich die globale Wirschaft erholt, werden ausländische Investoren ihre eigenen Entscheidungen treffen, wo sie ihre Ressourcen einsetzen werden ... wir hoffen, dass das hiesige Investitionsklima eines bleibt, dass das Land für Investitionen weiter attraktiv mach und nicht das Gegenteil eintritt." - "Durchschaubarkeit kann ein wesentlicher Wettbewerbsvorteil sein. Die Implementierung und Stärkung eines neuen Antikorruptionsgesetzes ist ein wichtiger Faktor, Ungarns Ambitionen auf Wachstum und Wohlstand zu erfülen...".

Das Schreiben schlug im politischen Budapest treffsicher ein, Ministerpräsident Bajnai beeilte sich die neuen Botschafter für die kommende Woche zur Aussprache zu laden. Auch die ungarische Medienlandschaft berichtete (gleich nach dem PL) ausführlich darüber und je nach politischer Ausrichtung selbstkritisch bis höhnisch.

Wem nutzt dieses Schreiben und welche Auwirkungen kann es haben?

Zuerst muss man klar feststellen, dass die neun Länder hier Probleme ansprechen, die weder neu sind, noch sich in den letzten zwanzig Jahren markant verschlimmert haben. Illegale Absprachen, Hinterzimmervereinbarungen, Korruption und Betrug begleiteten den Privatisierungsprozess und die öffentliche Vergabe in Ungarn stets. Meistens wurden direkte Behinderungen für ausländische Investoren jedoch bei informellen Treffen in Ministerien, auch schon mal mit dem Ministerpräsidenten direkt besprochen. Unternehmen, die aufgrund ihrer fehlenden Größe nicht so schnell einen direkten Draht herstellen konnten, mussten solche Widrigkeiten entweder aussitzen, sie teuer bezahlen oder Projekte einstellen. Nicht wenige spielten das ungarische Spiel mehr übel als wohl auch mit.

Warum ging man diesmal also an die Öffentlichkeit, noch dazu höchstamtlich über die Botschaften? Es gibt ein Wort in der Aussendung, das einen direkten Hinweis liefert und kein gutes Licht auf die beteiligten Botschaften wirft. Das Wort lautet: Broadcasting / Rundfunkwesen. Warum erscheint es, bei den vielen ansprechbaren Problemen gleich an zweiter Stelle? Man hätte auch den Immobliensektor oder die Lizenzvergabe für Parkhäuser nennen können. Ganz klar. Der Eigentümer von Sláger Rádió ist ein Amerikaner. Es handelt sich dabei um jenen Sender, der Anfang November, zusammen mit Danubius, die Lizenzen für seine Sendefrequenz an einheimische Konsortien verlor, besser gesagt an eine regierungsfreundliche und eine oppositionslastige Gruppe. Die US-Botschaft tobte daraufhin, sprach von einem Schlag gegen Demokratie und Pressefreiheit und ließ sich einen Termin beim Premierminister Gordon Bajnai geben. Das half bisher nichts, die neuen Sender Neo FM und Class Radio gingen gestern auf Sendung, der Chef der Vergabekommission trat aus Protest zurück, Sláger und Danubius bleibt nur der Gang vor Gericht, sie senden derzeit im Internet weiter.

Auch die "öffentliche Versorgung" ist so ein Stichwort. Hier steht die "Suez-Krise" in Pécs im Raum, in der der neu gewählte Fidesz-Bürgermeister in einer Nacht- und Nebelaktion den französischen Konzern Suez aus dem städtischen Wasserwerk aussperrte, den Miteigentümer also kalt enteignete. Dass Suez wirklich teils unverschämt hohe Preise für die Wasserversorgung nimmt, weiß jeder Pécser, ob das rechtens ist, müssen Gerichte - neben etlichen anderen Ungereimtheiten - klären. Die Art und Weise aber, wie die Stadt mit privaten Sicherheitskräften gegen "die Ausländer" vorgegangen ist, hat durchaus verschreckendes Potential, das dem Fidesz allerdings Wählerstimmen bringt.

Die Unterzeichner haben vieles selbst vermasselt

Betrachtet man also die Interessenslage, haben sich die Botschaften von acht Ländern vor den Karren amerikanischer und französischer Privatinteressen spannen lassen, auch die deutsche. Ob das nötig war, sei dahingestellt, nützlich ist es ganz sicher nicht. Jedes der unterzeichnenden Länder könnte eine eigene Liste mit "Geschädigten" vorweisen. Die Frage ist nur, warum taten sie dies nicht, es wäre ja ein Aufwasch gewesen.

Die Beeinflussung der Innenpolitik kennt viel diskretere und effizientere Wege und letztlich liefert man mit diesem Drohbrief den nationalistischen Kräften des Fidesz und jenseits davon nur kostenlose Munition. Diese können nun belegen, dass Ungarn vom Ausland fremdgesteuert wird und "die imperialistischen Investoren, die Ungarn in ihrem Griff haben" wie hier gerne polemisiert wird, ihre Einmischung nun schon lauthals und unverhohlen vortragen lassen. Wenn man Fidesz so eine Warnung zukommen lassen wollte, war es der völlig falsche Weg ihnen "einmal die Folterwerkzeuge zu zeigen". Denn der Gang in die Öffentlichkeit zwingt die Partei aufgrund ihrer Wählerstruktur zur patriotischen Entrüstung.

Die unterzeichnenden Länder hatten in den letzten zwanzig Jahren genug Einfluss und Zeit gehabt, eine Situation politischen Grabenkampfes und wirtschaftlicher Intransparenz, wie sie jetzt in Ungarn herrscht, zu verhindern. Das haben sie - um ein berühmtes Wort des Ex-Premiers Gyurcsány abgemildert aufzugreifen "auch selbst vermasselt". Der Fidesz wird im nächsten Jahr eine Alleinregierung stellen und sich daran erinnern müssen, wer diesen Aufruf unterschrieb und wer nicht, selbst wenn Pragmatiker das Sagen bekommen sollten. Die Investoren- und Exportländer Nr. 3 und 4, Österreich und Italien, haben ihn nämlich nicht unterzeichnet, auch wenn keiner weiß, ob aus Langsamkeit oder Cleverness.

Wortlaut der Aussendung auf der Webseite der US-Botschaft Budapest

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