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(c) Pester Lloyd / 05 - 2011  POLITIK 02.02.2011

 

Scheingefecht

Ungarische Regierung fegt EU-Bedenken am Mediengesetz hinweg

Die ungarische Regierung wies die Fragen und Zweifel der Europäischen Kommission zur Rechtmäßigkeit des neuen Mediengesetzes mit der Begründung zurück, dass keiner der in einem Brief der Europäischen Kommission benannten Kritikpunkte im Widerspruch zu geltendem EU-Recht stehe. Die von der EU-Kommission überbrachte Einladung zur Detailkritik nahm man in Budapest dankend an, weil das Grundproblem nicht berührt wurde. - Brief im Wortlaut

Justizminister und Vizeperemier Tibor Navracsics hier bei einer
Anhörung vor der EU vor wenigen Tagen

In seinem Antwortschreiben vom Montag forderte Ungarns stellvertretender Premierminister und Minister für Verwaltung und Justiz, Tibor Navracsics, dazu auf, Ungarns Argumente bezüglich der Vorwürfe zu berücksichtigen. Im Fall, dass in dem Gesetz enthaltene Vorschriften trotzdem weiterhin als problematisch beurteilt werden, solle eine erneute Konsultation der Kommissionsmitglieder zusammen mit ungarischen Experten erfolgen. Falls trotz der Argumentation der ungarischen Regierung Zweifel bezüglich der Rechtmäßigkeit der kritischen Paragrafen bestehen bleiben sollten, bereite man sich aber darauf vor, notwendige Änderungen vorzunehmen. Die EU-Kommission äußerte im wesentlichen drei Bedenken, die, wie von uns bereits vorhergesagt, eigentlich nicht das restriktive Wesen des Gesetzes spiegeln und daher von der ungarischen Regierung leicht zu widerlegen sein werden.

Wörtlich schreibt Navracsics u.a. dass die Regelungen zur "ausgewogenen Berichterstattung" bereits seit 1996 im Mediengesetz formuliert wurden und durch entsprechende Rechtssprechung Teil des ungarischen Rechtssystems und damit anerkannt sind. Das Verfassungsgericht habe bereits in einem älteren Urteil festgehalten, dass dies der "Vorbeugung der Entwicklung von Informationsmonopolen dient und das Recht der Bevölkerung auf umfassende Berichterstattung und Informationszugang gewährleisten" soll. Hier könnte man die Frage anbringen, inwieweit die Aufsicht und Belieferung der öffentlich-rechtlichen Medien eben genau dieser Präventionsabsicht widerspricht.

Navracsics versucht auch darzulegen, dass Sanktionen nicht so wie das in der Öffentlichkeit widergegeben wurde, vorgesehen sind, lediglich öffentliche Warnungen könnten bei mangelnder "Ausgewogenheit" ausgesprochen werden. (Dafür können Sanktionen für andere Verstöße verhängt werden, die nicht weniger blumig-nebulös formuliert sind.)Zudem gelte die Pflicht zur Ausgewogenheit nur für "Medienunternehmen, die eine dominante Marktstellung inne haben, die Angebote vornehmlich als Informationsmedien ausgerichtet sind bzw. die einen "signifikaten Teil" der Mediennutzer erreichen."

Es sind ebendies genau jene Gummiparagraphen, die von der EU-Kommission vernachlässigt wurden, weil die sich nur berechtigt sieht, mögliche Verletzungen von EU-Recht zu prüfen, wozu Grundrechte offenbar nicht gehören. Eben jene Grundsatzfragen, welche Auswirkungen es hat und haben kann, wenn die Auslegung und Anwendung des Gesetzes einem parteilich einseitig besetzten Medienrat mit  lleinigen Interpretations- und Sanktionsrechten überlassen wird, wäre die zentrale Frage gewesen. Dazu schwieg die Kommission, deshalb schweigt dazu auch Ungarn in seiner Antwort.

Hinsichtlich des vorgeworfenen Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht (Binnenmarkt) beim Sanktionierungsrecht gegenüber nach Ungarn ausstrahlendem Medien aus dem Ausland, bemerkte Navracsics, dass sich das Gesetz um "Gleichbehandlung" der Medien bemüht und auch das europäische Recht partiell ein Vorgehen gegen ausländische Unternehmen vorsähe. Und im übrigen bliebe den Unternehmen ja der Weg vor ein ungarisches Gericht, wenn ihnen der Spruch der Medienbehörde nicht passt. Navracsics meinte weiter: "die ungarische Regierung ist zu weiteren Gesprächen bereit, sollte die Kommission es für notwendig erachten." (...) "Wir bitten die Kommission um die Beratung durch Experten", um festzustellen, ob die Bestrafung im Ausland registrierte Medienunternehmen rechtens ist oder nicht.

Zu den weitgehenden Registrierungspflichten spricht Navracsics davon, dass "der Brief der Kommission jeder Grundlage" entbehre, da "eine Registrierung in keinster Weise die Pressefreiheit beeinträchtigen kann. Dies ist nur eine einfache, formale Datenerhebung, mit der die Medienbehörde die Unternehmen, die ihrer Aufsicht unterstellt sind, identifizieren kann." In dem entpsrechenden Artikel heißt es ja auch wörtlich, dass die Registrierung die Medienfreiheit nicht gefährden solle...

In einer ersten Einschätzung sprach Guy Verhofstadt, Fraktionschef der Liberalen im EU-Parlament, der Orbán in Budapest noch vorige Woche persönlich gepsrochen hatte, von einer völlig unzureichenden Antwort. Es gehe nicht nur um technische Anpassungen des Medienrechts, sondern um eine grundlegende Änderung des Gesetzes, zitiert ihn das Portal Euractiv.de, das uns freundlicherweise auch das Antwortschreiben der ungarischen Kommission zukommen ließ. In seiner Aussendung warf Verhofstadt der ungarischen Regierung vor, den Ernst des Falles nicht erkannt zu haben und "unwillig" zu sein, die grundlegenden Bedenken, die auch seitens der OSZE geäußert wurden durch entsprechende Änderungen auszuräumen oder auch nur ernsthaft zu diskutieren. Dazu hätte das Schreiben der Kommission, so unsere Einschätzung, jedoch anders aussehen müssen.

Zum Thema:

Öffentliche Moral - 22. Januar 2011
Ungarische Regierungspartei ehrt Hassprediger, EU schickt Papiertiger

Themenseite Mediengesetz

Materialien:

> Das ungarische Antwortschreiben im Wortlaut, Kopie des Originals (engl., pdf-Datei)
>
Der Brief der EU-Kommission, Kopie des Originals (engl., pdf-Datei)
> Mediengesetz im Wortlaut (engl. Übersetzung der Medienbehörde NMHH, pdf, externer Link)
http://www.nmhh.hu/dokumentum.php?cid=25694&letolt

 

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