(c) Pester Lloyd / 06 - 2011
POLITIK 07.02.2011
Aus dem Logbuch des Steuermanns
Erfolge und Seemannsgarn zur Wirtschafts- und Energiepolitik in Ungarn und Europa
Die EU-Ratspräsidentschaft Ungarns befindet sich in voller Fahrt. Konferenzen, Gipfel, Konsultationen hetzen Orbán und sein Chor diplomatique von Termin zu
Termin. Am Samstag zog der ungarische Ministerpräsident ein sehr nautisches Resümée zu ökonomischen und energiepolitischen Fragen des Landes und des
Kontinents, sichtlich froh, dass man den Fehlstart durch das Mediengesetz durch die schiere Masse von Terminen und Themen wenigstens überdecken kann. Dabei zeigt
sich gerade in der als "Durchbruch" gepriesenen Energiepolitik wieder der verstörende Widerspruch zwischen Wort und Tat, der den ungarischen Auftritt von Anfang an begleitet.
Komplizierte Themen erfordern eine komplexe Gestik.
Orbán am Samstag vor Journalisten in Budapest
Euro nicht vor 2020 - EU-Steuerharmonisierung kein Thema für Ungarn
Der ungarische Premier zeigte sich bei einer Pressekonferenz am Samstag in Budapest
"erfreut" darüber, was die Mitglieder der Eurozone "zur Rettung und Stärkung des Euro"
unternehmen, dem er eine "leuchtende Zukunft" vorhersagt. Doch nach "dem jetzigen
Stand der Sterne", sei eine Euroeinführung für Ungarn "vor dem Jahr 2020 unvorstellbar".
Bevor sich Ungarn die Frage stellen könne, wann ein Beitritt zur Eurozone erfolgt, müsse man zuerst seine Hausaufgaben machen. Ohnehin würden sich die "Bedingungen zum
Anschluss an die Eurozone radikal ändern", da sich Europa "in Richtung einer einheitlichen
Haushaltspolitik" bewege. Allerdings lehnt er für sein Land die Ideen einer Harmonisierung der Steuersysteme strikt ab, würde "das Land seine Wettbewerbsvorteile gegenüber
anderen Mitgliedsländern" so doch verlieren. Mehr zur ung. Wirtschafts- und Steuerpolitik
Will niemand mit ihm reden? Nein, nur eine Sitzungspause am Freitag in Brüssel...
Orbán teilte mit, dass es allgemeiner europäischer Konsens sei, dass "die Krise noch nicht
überwunden ist und die Lage außerordentlich gefährlich bleibt." "Große Wellen bewegen sich in Richtung der europäischen Volkswirtschaften" und die Defizite der Mitgliedsstaaten
wachsen in einem noch höheren Tempo. Wenn es so weitergeht, dann dürfte sich die durchschnittliche Verschuldungsrate der EU-Mitglieder schon in den Jahren 2014-2015 bei
über 100% der Wirtschaftsleistung (BIP) bewegen, so Orbán. Und bei seiner seefahrerischen Bildsprache bleibend, sprach er zwar davon, dass "wir zusammen segeln", aber beileibe
nicht im gleichen Boot zu sitzen scheinen, denn "wer sein eigenes Schiff verstärkt und wer nicht, wen es davonspült oder wer sinkt, wer über Wasser bleibt und wer sich an den Seilen
halten kann, liegt an jedem selbst.", referierte der EU-Steuermann aus seinem persönlichen Logbuch.
Alle wollten mit ihm reden, die Premiers aus Rumänien und Bulgarien, Ratspräsident van Rompuy,
diverse Herren in Hinterzimmern, Barroso und Merkel sowieso, Fotos: Miniszterelnöki Hivatal / Archiv / Fidesz.hu
250 Milliarden-Notfonds gegründet
Dann legte er dar, dass er das "ungarische Boot" in
ruhigeren Fahrwassern als die restliche europäische Flotte sieht und wiederholte, dass Ungarn neben Schweden wohl das einzige Land sein wird, das in
diesem Jahr seine Schuldenrate drücken wird, mittelfristig will er von den jetzigen rund 80% Verschuldung zum BIP auf 70, ja 60% abbauen. "Eine
der Maßnahmen", die die ungarische Schifffahrt sicherer machen sollen, ist die Gründung
eines "Stabilitätsfonds" von rund 250 Milliarden Forint (ca. 930 Mio EUR), dessen Gründung er auf Vorschlag seines Nationalwirtschaftsministers Matolcsy bereits am heutigen Montag
unterzeichnete.
Dieser Fonds wird ausschließlich aus "bestehenden Mitteln" gefüllt, letztlich also aus einem Teil der rückverstaatlichten privaten Rentenbeiträge, denn andere freie Mittel bestehen nicht. Mit diesen Einmal-Milliarden im Rücken, die eigentlich nicht mehr
sind als ein erzwungener Kredit von den Beitragszahlern, war es Orbán auch ein leichtes, sein Defizitiziel von "unter 3%" für 2011 zu bekräftigen.
Der Fonds solle ausschließlich bei "Gefahr in Verzug" eingesetzt werden und beim Einsetzen "unvorhersehbarer externer Ereignisse" dafür
sorgen, die Kontinuität des aufgestellten Staatshaushaltes zu gewährleisten.
Feine Umschreibungen für den Machtkampf mit der Zentralbank
Ungarn ist gehalten, den Bestrebungen der Eurozone
um eine Stärkung der Gemeinschaftswährung, eigene Maßnahmen zur Stärkung des Forint beizustellen. Gelingt das, "wird es kein Problem" geben. In den
kommenden zwei bis drei Monaten werde man die "Währungspolitik transformieren", was eine effiziente Kooperation zwischen Regierung und dem Währungsrat der Ungarischen Nationalbank
voraussetzt. Diese feine Umschreibung dürfte nichts anderes bedeuten, als dass die im März von der Regierung zu entsendenden neuen externen Mitglieder des Währungsrates
ihren Einfluss im Sinne der Regierung geltend machen werden.
Zwischen Zentralbank und Regierung gibt es, außer dem andauernden persönlichen Kleinkrieg zwischen
Orbán und MNB-Chef Simor, ganz grundsätzliche Differenzen in der Währungs- und Zinspolitik. Die MNB hat vor einem Vierteljahr mit einer restriktiven
Zinserhöhungspoltiik begonnen, aus Angst um den Forintverfall sowie begründeten Prognosen einer immer stärker drückenden Inflation. Ganz richtig
sagte Orbán, dass das jetzige Verhältnis zwischen MNB und Regierung der Ökonomie schade, allerdings sieht er die Lösung nicht unbedingt in
der Gewährung der Unabhängigkeit der Institution. Einer vermuteten Erhöhung des Inflationsziels widersprach er aber, obwohl sich seine Partei niedrigere Zinsen für eine
Belebung des Geldflusses auf dem Kreditmarkt wünscht. Mehr zur ung. Finanzpolitik
Energiegipfel als "Durchbruch" und "großer Erfolg" für Ungarn
Nach einer harten europäischen Woche mit
umfangreichen Verhandlungen zum Kohäsionsfonds, der Verteidigung, Lebensmittelsicherheit, Verkehrsinfrastruktur und der Balkanfrage, sprach Premier Orbán angesichts der Ergebnisse des
Energiegipfels vom Freitag von einem "Durchbruch der ungarischen Ratspräsidentschaft" und einem "großen Erfolg für Ungarn." In Brüssel hat man
sich auf die Schritte zur "Vereinheitlichung des Gas- und Strommarktes" geeinigt und auf eine Beschleunigung der Verringerung der Abhängigkeit von Energieimporten.
Ungarn mache durch die neuen Pipeline-Vernetzungen auf der Nord-Süd-Achse in wenigen Jahren einen
regelrechten Befreiungsschlag, werde man dann ja sowohl über das Schwarze Meer, die Ostsee und die Adria, das Kaspische Meer "und sogar Nordafrika"
beliefert werden können. Mit Rumänien und Kroatien hat man bereits ein "Interconnect" vollendet, mit der Slowakei die entsprechende Vereinbarung gerade getroffen. Ungarn komme durch diese Diversifizierung
generell in eine viel bessere Verhandlungsposition, vor allem wenn es um die Neuverhandlungen der Langzeitlieferverträge ab 2015 gehe. Die Nord-Süd-Verbindungen,
von denen Ungarn direkt profitieren wird, wurde von der EU auf die Prioritätenliste gesetzt, was auch weitere Zuschüsse ermöglichen wird. Auch die Notwendigkeit der
Beschleunigung von "Nabucco", das manche schon für eine Totgeburt halten, wurde wiederum betont.
Prinzipielle Einigkeit bedeutet noch keinen praktischen Fortschritt
Alle EU-Staaten sind sich einig, dass ein freier, zuverlässiger, bezahlbarer und nachhaltiger
Energiemarkt das Ziel sein muss. Doch über den Weg dahin ist man sich, trotz des Orbánschen "Durchbruchs", keineswegs so einig. Der Abbau von "regulatorischen
Beschränkungen" und der Ausbau von grenzüberschreitenden Energienetzwerken (hier vor allem beim Strom) rührt nicht nur an diversen nationalen Interessen, sondern häufig auch
an den Mono- oder Oligopolen von Energiekonzernen, von deren Zerschlagung letztlich auch die strukturelle Zukunft der Erneuerbaren Energien abhängt. Diese sind auf eine Stärkung
und Flexibilisierung der Netze schließlich besonders angewiesen, immerhin kam man soweit, dass die nationalen Netze zukünftig Lieferungen von mindestens zwei
verschiedenen ausländischen Lieferanten aufnehmen können müssen, auch wenn das noch nicht viel zur Erhöhung der Flexibilität innerhalb der Netze beiträgt. Dass die
Verhandlungsagenda der ungarischen Präsidentschaft sich weitgehend durchsetzen konnte, ist da ein Erfolg, wenn auch ein Teilerfolg, am 3. Mai wird in Budapest weiter und tiefer
verhandelt werden.
Ungarn setzt weiter auf Atomkraft
Was Ungarn im eigenen Land von
Diversifizierung der Erzeugung und Erneuerbaren Energien hält, machte Premier Orbán zum Teil selbst deutlich, in dem er den Ausbau des einzigen ungarischen
Atomkraftwerkes in Paks promotete. Es werde dazu bald die endgültige Entscheidung geben (die Ausschreibung wird gerade vorbereitet, wobei klar ist, dass zwangsläufig ein russischer und ein
ukrainischer Anbieter zum Zuge kommen werden.) Paks deckt derzeit rund 40% des Strombedarfs Ungarns, mit dem Bau des neuen Blocks könnte dieser Anteil für ein paar
Jahre auf 60% steigen, bis einer der älteren Blöcke abgeschaltet werden muss. Auch hier sieht Orbán vor allem die bessere Verhandlungsposition gegenüber externen Lieferanten im
Vordergrund, die Ungarn hat, wenn es mehr Energie selbst erzeugen kann.
Keine klare Linie bei den Erneuerbaren Energien in Sicht
Bei der Förderung Erneuerbarer Energien, bei denen Ungarn ein riesiges brachliegendes
Potential bei Wind- und Sonnenenergie, aber auch Biomasse, vor allem aber Geothermie bescheinigt wird, spielt sich innerhalb der Regierungspartei Fidesz ein heftig geführter
Flügelkampf ab. Fraktionschef János Lázár hatte letzte Woche einen Gesetzentwurf vorgelegt, in dem die Fördergelder um über ein Drittel herunterzufahren wären. Das
erntete sogar im sonst so um patriotische Einigkeit bemühten Fidesz öffentlichen Widerspruch. Die erneuerbaren Energien bilden ja gerade für den von Fidesz als Retter der
ungarischen Ökonomie ausgemachten Mittelstand eine großartige Chance auf Schaffung von Arbeitsplätzen und einen technologischen Quantensprung. Doch anstatt hier an einem
nationalen Aktionsplan zu feilen, brüstet man sich damit, dass man den Verkauf von CO2-Zertifkaten erhöhen konnte, hat aber das Ziel der Erreichung des EU-weit
angestrebten Anteil erneuerbarer Energien an der Gesamterzeugung längst aufgegeben, auch wenn die verspätet bei der EU eingereichten Energiepläne die hehren Ziele noch beinhalten.
Auch bei der energetischen Sanierung und beim Zustand der Netze hinkt man den europäischen
Trends weit hinterher. Eine der Materie gegenüber weitgehend verständnislose Administration (parteiübergreifend) ging hier eine stillschweigende
Koalition mit den konventionellen Platzhirschen ein, von denen MOL über E.ON bis Paks nur als Beispiele genannt sein sollen. Es bleibt bisher bei schönen
Einzelprojekten, Windparks ausländischer Investoren und einigen recht interessanten Projekten von Biomasse- bzw. Geothermiekraftwerken, mit denen Kommunen sich von den Großen
unabhäniger machen wollen. Doch eine machtvolle, in Nachhaltigkeit und Umweltschutz drängende Zivilgesellschaft oder wenigstens eine Lobby für die neuen Technologien und
Wirtschaftszweige gibt es in Ungarn bisher kaum. Um in der maritimen Metaphorik des Premiers zu bleiben: wo es eines stattlichen staatlichen Dreimasters als Flaggschiff
bedürfte, dümpeln auf Donau und Theiß selbstgebastelte Flöße einsam und hilflos durch die Bugwellen der alten Kohledampfer.
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