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(c) Pester Lloyd / 36 - 2011  POLITIK 12.09.2011

 

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Ungarischer Ex-Regierungschef Gyurcsány wehrt sich gegen "Politjustiz"

Ex-Premier Gyurcsány bezweifelt, dass Ungarns Judikative noch unabhänig ist und ihm einen fairen Prozess gewährt. Da kommt die Meldung, dass der oberste Staatsanwalt Kompetenzen eines Höchstrichters erhält, gerade recht. Vorgänger Bajnai nimmt Gyurcsány in Schutz, er hätte sich an die rechtlichen Vorgaben gehalten. Außerdem wollen die Sozialisten das neue Wahlgesetz "aktiv boykottieren".

Orbáns Amtsvorgänger, Gordon Bajnai, der, nach dem Rücktritt Ferenc Gyurcsánys (Foto rechts), als parteiloser Fachmann einer sozialistischen Minderheitsregierung vorstand, nahm seinen Vorgänger im Fall des Casino-Projektes am Velence See in Schutz. Die Ermittlungen gegen Gyurcsány (und auch ihn selbst) seien unbegründet, die Vorgehensweise 2008/09 sei "rechtskonform" gewesen, Bajnai hatte das, nach eigenen Angaben, in seiner Amtszeit überprüfen lassen, sagte er in einem Telefoninterview.

Er sieht den Staatsanwalt unter "starkem politischen Druck" stehen, denn ein negatives Ermittlungsergebnis könnte für Leute, "die Rache suchen" unbefriedigend sein. Guyrcsány wird im Zusammenhang mit einem für den Staat nicht gerade vorteilfahten Grundstückstausch amtsmissbräuchliche Einflussnahme auf die zuständige Behörde, das Liegenschaftsamt, vorgeworfen. Dessen Chef war noch unter Bajnai von seinem Amt entfernt worden und wurde mittlerweile - wegen anderer Fälle - auch strafrechtlich belangt. Sowohl Gyurcsány als auch das zuständige Parlamentskomitee arbeiten derzeit an der Aufhebung der parlamentarischen Immunität um eine gerichtliche Bearbeitung des Falles zu ermöglichen. Hier mehr Details dazu: Verbissen - Ex-Regierungschefs von Ungarn wieder vor dem Staatsanwalt

Gyurcsány beklagte in einem Interview mit der linken Zeitung Népszava am Samstag, dass Ungarn zu einem "Einparteien-System mit einem gebrochenen Rechtssystem" geworden ist. Die Regierungspartei habe das Justizsystem derart bearbeitet, dass er nicht mehr sicher sein kann, die "konstruierten" Vorwürfe gegen ihn in einem fairen Prozess zu entkräften. "Die Sache ist ganz einfach", so der Ex-Premier: "Der Staatsanwalt wirft mir vor, meine Macht missbraucht zu haben als ich eine Gruppe von Investoren traf, in einem offiziellen, öffentlich angekündigten Treffen, bei dem mich verschiedene Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung begleiteten. Alle Behördenleiter unterstützten das Projekt, ich sagte daraufhin, dass jeder seinen Job tun solle." Orbán hatte (in einem über Wikileaks veröffentlichten US-Telegramm) gesagt, "dass man den politischen Feind vernichten muss, wenn man die Chance dazu bekommt", "nun sieht er die Zeit und die Gelegenheit gekommen, das zu tun".

Die Rolle des Generalstaatsanwalts wird - und das ist nicht nur, aber besonders auch in diesem Kontext interessant und bedenklich - deutlich aufgewertet. Er soll ab kommendem Jahr "auf gleicher Ebene wie der Vorsitzende des Obersten Gerichtshofs agieren", heißt es etwas nebulös und das Recht erhalten, an den Sitzungen des Obersten Gerichts teilzunehmen. Nach der neuen Verfassung wird dieses Gremium als "Kurie" (so hieß das schon einmal in der Zwischenkreigszeit) rechtliche Einschätzungen zu Grundsatzfragen, auch zur neuen Gesetzgebung geben. Dies geht aus einem Regierungspapier vor, das dem Nachrichtenportal Index.hu vorliegt. Danach soll die Generalstaatsanwaltschaft als "unabhängige Verfassungsinsitution" definiert sein, die auch Kommentare zur verfassungsmäßigen Vereinbarkeit neuer Gesetze abliefern soll und kann, eine Aufgabe, die früher dem Staatspräsidenten und den Höchstgerichten vorbehalten war. Der im letzten Jahr für ganze neun Jahre zum Generalstaatsanwlat ernannte Péter Polt gilt als Orbán-Vertrauter und hatte diese Position bereits in der ersten Orbán-Regierung inne.

Am Wochenende tagte die "Demokratische Plattform" der MSZP, die von Ex-Premier Gyurcsány geführte Schattenpartei innerhalb der oppositionellen Sozialisten. Diese rief zu einem "aktiven Boykott" des geplanten neuen Wahlrechts und des dahinführenden Gesetzgebungsverfahrens, wenn die Regierung keine Garantie zu einer maßgeblichen Beteiligung an der Entstehung des Gesetzes gewähren wolle. Man sei skeptisch, ob die Ankündigung aus dem Regierungslager, die Opposition am Gesetzesprozess zu beteiligen, ernst zu nehmen sei, schließlich habe die Regierung bisher alle "Kardinalsgesetze" ohne Kooperation mit den Oppositionsfraktionen durchgepeitscht. Ende September, so Fidesz-Fraktionschef Lázár, werde seine Partei einen Entwurf vorlegen, alle Oppositionsfraktionen sind zur Mitarbeit und zu Änderungsvorschlägen eingeladen. Über die problematischen Aspekte des neuen Wahlrechts haben wir hier einen ausführlicheren Beitrag zusammengetragen.

red.

 

 


 

 

 

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