(c) Pester Lloyd / 38 - 2011 WIRTSCHAFT 21.09.2011
Steuerfahnder in der Stretch-Limo
Nachrichten aus Ungarn - Wirtschaft
Regierung dividiert Gewerkschaften auseinander - Nationalbank schätzt Kreditablöse auf höchstens 3,6 Mrd. EUR - Leitzins bleibt - Neuer Mindestlohn und neue
Verwirrung durch Matolcsy - Mehrwertsteuerrückerstattung kann beantragt werden - Steuerfahnder lassen die Champagnerkorken knallen - Schwarze Liste bekommt weiße Schwester
Regierung dividiert Gewerkschaften auseinander
Nach einem Gespräch mit ausgesuchten Vertretern von Arbeitgebern und Arbeitnehmern
erklärte Regierungschef Orbán am Dienstag, dass "das neue Arbeitsrecht den Stellenwert (Prestige) der Arbeit erhöhen wird.", die gesellschaftliche Anerkennung für Arbeit werden
"wiederhergestellt". Was Arbeitnehmer für Prestige erwartet, kann hier genauer nachgelesen werden. Orbán kündigte weiter an, dass bis Ende des Monats einige
"Anpassungen" an der Steuerreform vorgenommen werden, die sicherstellen sollen, dass
"Niemandes Einkommen sinken wird". Mit den "Sozialpartnern" habe er vor allem über die Eindämmung von Schwarzarbeit im Lande geredet, "nun, da die Steuern niedrig und
einfach durchschaubar sind, wird jeder seinen Verpflichtungen nachkommen", meinte der Regierungschef.
Superstimmung: LIGA Chef István Gaskó dackelt Premier Viktor Orbán und “Arbeitgeberpräsident”
Sándor Demján nach ihrem 6-Augen-Gespräch hinterher.
Der Chef der Gewerkschaftskonföderation LIGA, István Gaskó, sagte, er werde Orbán an
seiner Aussage, dass für niemanden das Einkommen sinken wird, messen und erinnern, fand das Gespräch ansonsten aber "fruchtbar und wertvoll". Orbán scheint dem
Gewerkschaftsboss in einigen, weniger wichtigen Punkten (Urlaubregelungen) entgegengekommen zu sein, womit Orbán zwei Fliegen mit einer Klappe schlägt. Er
"beweist" seine Verhandlungs- und Kompromissbereitschaft und zementiert gleichzeitig den Ausschluss der anderen großen Gewerkschaftskonföderation aus dem Dialog, im
großen und ganzen ändert sich jedoch an dem repressiven Arbeitsrecht nicht viel. Der Chef der Arbeitgebervertreter VOSZ, Sándor Demján, der den Gewerkschaften sogar
schon bilaterale Gespräche ohne Regierungsbeteiligung angeboten hat, betonte, dass man die Arbeitsplatzgarantie für junge Mütter beibehalten mag. Der Regionalologarch wird
ansonsten ohnehin mit Orbáns Gesetz einverstanden sein, das sehr arbeitgeberfreundlich gehalten ist und nicht wenige an Zustände aus dem 19. Jahrhundert erinnert.
Über die Zerstrittenheit der ungarischen Gewerkschaften, die Regierungstaktik, sowie die
neue Protestbewegung "D-Day" können Sie in diesem lesenswerten Beitrag mehr erfahren.
Nationalbank schätzt Kreditablöse auf höchstens 3,6 Mrd. EUR
Die ungarische Nationalbank MNB hat bei ihrer Sitzung am Dienstag den Leitzins
unverändert bei 6% belassen, griff also weder wegen erhöhter Inflationswerte, noch wegen der abschmierenden Währung ein, was als Zeichen von Gelassenheit gewertet
werden soll. Gleichzeitig korrigiert die MNB, wie zuvor schon der Nationalwirtschaftsminister, die Prognosen für Wachstum und Eckdaten für dieses und das
kommende Jahr, zum Teil drastisch und pendelt sich auf die Regierungsweissagung von ca. 1,5-1,6% BIP-Wachstum 2012 ein, die Inflation sieht man 2012 knapp unter 4%, der
Minister vermutet sie leicht darüber. In diesem Jahr musste man sich beim BIP um einen ganzen Prozentpunkt korrigieren, leider nach unten.
Desweiteren bemühte sich die Zentralbank um eine seriöse Schätzung, wie viele Schuldner
von Fremdwährungskrediten durch das neue Ablösegesetz profitieren könnten und kam auf die ungefähre Zahl von 20%, was rund 1.000 Milliarden Forint, also ca. 3,6 Mrd. EUR
an auf einen Schlag zurückgezahlten Krediten entspräche. Das hieße, davon entfielen (ungefähr) 2 Mrd. auf österreichische Banken, der Rest auf OTP und FHB. Geht man von
durchschnittlichen Einbußen für die Banken von 30% (wobei hier tatsächliche Verluste und lediglich ausgefallene Zusatzgewinne zusammengezählt sind) aus, ergäbe sich für die
ERSTE in Ungarn schätzungsweise ein Malus von rund 300 Mio EUR, was im angesicht der letzten Gewinnberichte leicht verkraftbar wäre, wenn es in Wien auch wütenden Schmerz
erzeugen wird. Die Zentralbank steht mit ihren Devisenreserven von knapp 40 Mrd. EUR jedenfalls für die Banken bereit, um den von ihr errechneten maximal wahrscheinlichen
Bedarf von 3,78 Mrd. EUR jederzeit zu decken.
Neuer Mindestlohn und neue Verwirrung durch Matolcsy
Für 2012 will das Wirtschaftsministerium den gesetzlichen Mindestlohn von 78.000 auf
92.000 Forint (für Ungelernte) erhöhen, Facharbeiter sollen dann wenigstens 108.000, statt bisher 94.000 HUF (100.000 HUF = 344.- EUR) brutto erhalten. Diese Erhöhungen -
über der Inflationsrate - sind eine Reaktion auf die vernichtenden Fachurteile zur Steuerpolitik im Haushaltsentwurf für 2012, die gerade die Ärmsten weiter bestraft.
Zudem erhöht damit die Regierung ihre Abgabenberechnungsbasis (eineinhalbfache des Mindestlohnes).
Außerdem "empfiehlt" man der Privatwirtschaft die Löhne im Schnitt zumindest um 5%
anzuheben und arbeite an einem "System", der denjenigen, die trotz allem Einbußen hinnehmen müssen, "Kompensationen" zugesteht. Die sollten sich bitte ans Finanzamt
wenden. Nationalwirtschaftsminister Matolcsy stiftet damit wieder einmal enorm Verwirrung. Denn diese Aussagen stehen im Widerspruch zur ständigen Behauptung, das
"proportionale Steuersystem" (Flat tax) sei gerecht. Nun kommt Matolcsy mit der Idee, Einkommen von über 202.000 HUF extra zu besteuern, zumindest zeitweise. (das ist die
derzeitige Break evan-Grenze bei der Flat tax, alle darüber haben was vom neuen Steuersatz, alle darunter zahlen drauf). Das würde dann aber eine Abkehr von der Heiligen
Kuh Flat tax bedeuten, die ihm Orbán nicht durchgehen lassen wird.
Mehrwertsteuerrückerstattung kann beantragt werden
Das Parlament hat am Dienstag fraktionenübergreifend das Urteil des Europäischen
Gerichtshofes adaptiert, nachdem der Einbehalt von erstattungsfähiger Mehrwertsteuer gegenüber Unternehmen gegen Gemeinschaftsrecht verstößt. Dabei geht es um eine
Summe von umgerechnet fast 900 Mio. EUR. Die betroffenen Unternehmen können gesonderte Anträge auf Rückerstattung bis 20. Oktober stellen oder ihre Ansprüche in
späteren Mehrwertsteueraufstellungen geltend machen. Wer bis 20. Oktober beantragt, soll sein Geld binn 30 Tagen, bei Summen über 1 Mio. Forint binnen 45 Tagen erhalten.
Steuerfahnder lassen die Champagnerkorken knallen
In Ergänzung unseres gestrigen Beitrages, in dem wir auch das epidemische Problem der
Schwarzarbeit (anmelden auf Minimallohn, Rest schwarz auszahlen) angesprochen haben, wartet ein ehemaliger hoher Beamter des Finanzamtes mit Zahlen auf, wonach rund 1,2
Mio. Ungarn auf Mindestlohnbasis angemeldet seien, eine halbe Million sogar komplett schwarz arbeitet. Der nominale Wert der erbrachten Schwarzarbeit (nur im
Lohnarbeitsbereich, nicht bei Dienstleistungen und Schwarzproduktion) stieg nach seinen Berechnungen von 15% zum BIP 2002 auf 18% 2010, was umgerechnet rund 16 Mrd. EUR
ausmacht, wovon dem Staat nach heutigen Steuersätzen rund 5 Mrd. EUR an direkten Steuern und Abgaben abgehen.
Ungarische Steuerfahnder greifen dabei zu immer phantasievolleren Methoden, um
Betrügern auf die Schliche zu kommen. Undercover-Finanzbeamtinnen täuschten kürzlich eine Jungfrauen-Abschiedsparty vor, mieteten eine Limousine und ließen die
Champagnerkorken knallen. Nach der Rückkehr entrichteten sie die Wagenmiete, erhielten dafür aber keine Rechnung. Erwischt. Später stellte sich dann auch noch heraus,
dass der Fahrer nicht angemeldet war, schreibt das Magazin Index.
Schwarze Liste bekommt weiße Schwester
Das zentrale ungarische Kreditinformationssystem führt eine Schwarze Liste mit Personen
und Körperschaften, die mit ihren Zahlungen von Krediten und Rechnungen im Rückstand sind. Der Fidesz-Abgeordnete Antal Rogán schlug nun vor, die Datenbank um eine
"Whitelist" von vorbildlichen Unternehmen und Personen zu ergänzen, in der alle Kreditnehmer aufscheinen, die ihren Verpflichtungen vollständig und ohne Verzug
nachgekommen sind. 286 Abgeordnete stimmten für diese Modifikation, die 29 Gegenstimmen argumentieren damit, dass es viele Schuldner gibt, die ohne eigenes
Verschulden in Zahlungsschwierigkeiten geraten sind, durch eine solche Liste würde die sozio-ökonomische Stigmatisierung nur gesteigert.
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