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(c) Pester Lloyd / 04 - 2012      WIRTSCHAFT 27.01.2012

 

Zwischenzeugnis

IWF-Bericht für Ungarn als Aufgabenliste für die Regierung

Der IWF-Länderrapport zu Ungarn ist in diesem Jahr von besonderer Brisanz, liegen derzeit doch offizielle Verhandlungen über einen weiteren Notkredit/Sicherheitsnetz von bis 20 Mrd. EUR auf Eis, aus wirtschaftspolitischen Gründen, aber auch aus demokratiepolitischen Bedenken. Daher ist der Bericht auch als eine Art Kritik- und Erwartungskatalog zu interpretieren. Das offizielle Ungarn gibt sich jedoch weiter kämpferisch: man sei Mitinhaber des IWF, von dem man sich nichts aufnötigen lasse...

Der Bericht des IWF stellt der ungarischen Wirtschaft und der Wirtschaftspolitik der Regierung ein ziemlich düsteres Zeugnis aus, auch wenn sich die staatliche Nachrichtenagentur beeilte die "positiven Schritte" zu erwähnen, die der IWF auch gefunden hat. Schon die Form des Berichtet weicht von der Standardform ab, er fängt mit einem „Hintergrund“-Bericht zur aktuellen wirtschaftlichen und politischen Lage an und verzichtet auf die sonst standardisierten Endfloskeln, die normalerweise die gute Zusammenarbeit und Kooperation mit den Ländern betonen.

 

Ungarn hätte sich noch nicht von der Krise 2008-2009 erholt, viele aktuelle und kontroverse politischen Maßnahmen hätten das Vertrauen der Märkte erschüttert, hier weist der IWF vor allem auf das Kreditablösegesetz, Veränderungen des Steuersystems und von Arbeitsmarktpolitiken, Sondersteuern für hauptsächlich in ausländischer Hand befindliche Sektoren (Einzelhandel, Telekommunikation, Energie, Banken) und die de facto Nationalisierung der zweiten Säule des Rentensystems hin.

Der Bericht betonte auch die Notwendigkeit der Wiederherstellung der Unabhängigkeit finanzieller Aufsichtsinstitutionen, also der Zentralbank und der Finanzaufsichtsbehörde, um das Vertrauen der Märkte in die ökonomische Verantwortungsbewusstsein der Regierung wiederherzustellen. Allein diese Aufzählung macht klar, dass es an den Tatsachen vorbeigeht, wenn Premier Orbán immer wieder behauptet, es gehe nur um einen "technischen Dialo" und ein bis zwei "formale" Streitpunkte.

Der Chef der IWF-Mission in Ungarn, Christoph Rosenberg, betonte die Bedeutung von Maßnahmen, welche die bisherigen investitionshemmenden strukturellen Engpässe abbauen und Ungarn für Investoren wieder attraktiver machen. In einem begleitenden Interview sprach er aber - und das ist für den IWF nicht immer normal - auch die wachsenden sozialen Ungleichgewichte u.a. durch die flat tax ab, was ihm die Regierung als Interessensvertretung von Ländern auslegte, denen die niedrige Einheitssteuer ein Dorn im Auge sei.

Vor allem, so las Rosenberg der ungarischen Regierung jedoch ganz zurecht die Leviten, müssten Reformen umgesetzt werden, nicht, um immer weitere Löcher zu stopfen, sondern um das Geschäftsumfeld, die Wettbewerbsfähigkeit und das Arbeitsangebot zu verbessern. Rosenberg begrüßte aktuelle Initiativen zur Erhöhung der Beschäftigungsquote (Abschaffung Frührente, Beschäftigungsprogramme für Sozialhilfeempfänger), was anzeigt, dass es mit der sozialen Ader doch nicht so weit her sein kann.

Langsame Erholung - Verunsicherung von Investoren und Verbrauchern

Nach einer bescheidenen Erholung vom Krisenjahr 2008-2009 ist das Wirtschaftswachstum Ende 2011 bei ca. 1,25 % zu verorten, was jedoch allein auf die Exporte zurückzuführen ist, welche eng mit dem deutschen Exportsektor verknüpft sind, die inländische Nachfrage habe indessen im zweiten Jahr in Folge abgenommen. Die Wachstumschancen für das Jahr 2012 sind aufgrund der Eurozonenkrise und den nationalen politischen Fehltritten negativ. Der private Konsum in Ungarn sei aufgrund der straffen Kreditlage, den sich weiter verteuernden Forex-Krediten, einer schwachen Lohnentwicklung, der hohen Arbeitslosigkeit und einem starken Vertrauensverlust bei den Verbrauchern stark gehemmt. Gleichzeitig würden Anlageinvestionen, welche besonders wichtig für ein mittelfristiges Wachstum sind, stark abnehmen, mit einer Stabilisierung sei inmitten des brisanten politischen Umfelds und der großzügigen öffentlichen Versorgung nicht zu rechnen.

Die strukturellen Reformen der Regierung, wie der Széll Kálmán-Plan, zielten zwar auf eine mittelfristige Wachstumssteigerung, viele kontroverse Maßnahmen haben jedoch zu einer hohen Unsicherheit bei den Märkten geführt, der IWF weist hier vor allem auf das Kreditablösegesetz, Veränderungen des Steuersystems und von Arbeitsmarktpolitiken, Sondersteuern für hauptsächlich in ausländischer Hand befindliche Sektoren (Einzelhandel, Telekommunikation, Energie, Banken) und die de facto Nationalisierung der zweiten Säule des Rentensystems hin.

Kreditklemme und Vergrößerung des strukturellen Defizits

Der kürzlich verabschiedete Haushalt für 2012 sehe zwar eine erheblich straffere Fiskalpolitik vor, vor allem durch die Einführung von Elementen des Széll Kálmán Plans und der Erhöhung von Mehrwert- und Verbrauchssteuern. Das niedrige Wachstum, die europaweiten Wachstumsprobleme und aktuelle Regierungsmaßnahmen belasten den Finanzsektor dennoch weiter stark, „Problemkredite“ von Firmen und Haushalten sind auf 14 % gestiegen. Der daraus resultierende Zwang zur erhöhten Kreditbereitstellung – verbunden mit der hohen Bankensteuer und den Kosten aus dem Kreditablösegesetz – hat die Profite der Banken stark reduziert und Eigenkapitalerhöhungen in einigen ausländischen Banken notwendig gemacht.

Minister ohne Portfeuille Tamás Fellegi sprach am 12. Janaur bei Christine Lagarde,
Chefin des IWF in Washington vor.

Die IWF-Wachstumsprognose für das Jahr 2013 sieht die Möglichkeit einer schrittweisen Verbesserung, diese sei jedoch sehr von der Entwicklung in der Eurozone abhängig. Der Ausblick sieht signifikante Abwärtsrisiken und die Möglichkeit einer Fremdmittellücke. Die Fiskal- und Geldpolitik ist aufgrund der Markt- und Inflationsdrücke Einschränkungen ausgesetzt. In 2010-2011 wurde eine expansive Fiskalpolitik betrieben, ständige Steuersenkungen verursachten eine Vergrößerung des strukturellen Defizits um ca. 3 % des BIP.

Anfälligkeit bleibt hoch - Unabhängige Institutionen sind zu stärken

Der Bericht weist darauf hin, die Anfälligkeit der ungarischen Wirtschaft weiter hoch bleibt. Zweifel über nationale Politiken und die erhöhte globale Risikoaversion prägen das Finanzmarktverhalten stark. Es wird festgestellt, dass trotz der schwachen Wachstumsprognosen, aufgrund der hohen Staatsverschuldung und den unsicheren Finanzierungsaussichten, fiskale Strenge vonnöten ist. Jedoch müssen aufgrund der Abwärtsrisiken schon jetzt nachhaltige Alternativpläne entwickelt werden, die dabei helfen, die Basis für einen glaubwürdige mittelfristigen Finanzkurs zu legen. In diesem Zusammenhang unterstreicht der Bericht, dass die vor kurzem reformierte Finanzaufsichtsbehörde erheblich gestärkt werden soll, so dass sie eine unabhängige und aktuelle Bewertung der finanzpolitischen Entwicklungen garantieren könne.

Reaktionen der ungarischen Regierung

Der ungarische Regierungssprecher Péter Szijjártó vermeldete im Staatsfernsehen, dass die Regierung mit einem deutlich geringeren Haushaltsdefizit als der IWF "rechnet". Der geht von 3,9% des BIP für 2012 und 4,1% für 2013 aus. Die Regierung nur von 3 %. Auf die Frage, ob die Regierung ihre unorthodoxe Wirtschaftspolitik ändern könnte, antwortete Péter Szijjártó: „außergewöhnliche Zeiten verlangen nach außergewöhnlichen wirtschaftlichen Maßnahmen“. Er sagte, dass die Regierung glaubt, dass die europäische Wirtschafts- und Finanzkrise bald vorüber sein werde.

Die Haltung der ungarischen Regierung, zu dem kolplexen Thema bleibt, zumindest nach außen, sehr simpel. Ungarn hat ein schweres Erbe, die Lage ist durch die Global- und Eurokrise zusätzlich verschärft, man sei durch die Reformen und "unorthodoxen Maßnahmen" aber auf "dem richtigen Weg", befand Premier Orbán und, wenn sich die Krise der Euro-Länder gelegt hat, wird man das auch merken. Eigene Fehlleistungen? Keine.

Nationalwirtschaftsminister Matolcsy bezog zu den IWF-Einschätzung Stellung, nachdem er zuvor bereits die "befruchtende" Wirkung seiner Steuerpolitik gepriesen hatte. "Wir haben zum IWF eine familiäre Beziehung", schließlich "sind wir Teilhaber des IWF, wenn auch Minderheitsaktionär, so doch Mitbesitzer". Daher "ist der IWF nicht unser Befehlsgeber". Außerdem "betteln wir nicht um Geld, sondern stellen nur den rechtmäßigen Anspruch auf ein Sicherheitsnetz" und "wir lassen uns nicht nötigen."

Genauso wie man IWF-Mitglied ist, ist man "auch Mitglied der EU sind", es sei ganz normal, dass es "Debatten zwischen Familienmitgliedern" gibt, aber die EU sei schließlich kein Feudalsystem. "Wir brauchen nur ein Sicherheitsnetz und nicht das Geld der Österreicher oder Deutschen." wiederholte er sinngemäß die Worte seines Befehlsgebers, resp. Premiers, Orbán von voriger Woche. Die Kritik an der Flat tax seitens EU, mehr noch IWF, zeige jedoch, dass diese Institution die Interessen anderer Mitglieder vertrete, denen die Flat tax ein Dorn im Auge sei.

Fachbeobachter merkten an, dass die Anhörung Matolcsys vor dem zuständigen Parlamentsausschuss keinerlei substantielle Informationen darüber gegeben habe, ob und wie das strukturelle Defizit in Zukunft gesenkt werden könnte, eine der wesentlichen Forderungen der EU und des IWF. Nicht einmal, ob die kommenden Haushaltsziele erreichbar sind, ist begründbar nachvollzogen worden, stattdessen gab es lediglich die üblichen Wunschkennzahlen und Schönfärbereien.

Im Raume steht weiter die Ankündigung des IWF, erst dann wieder mit offiziellen Verhandlungen über einen Notkredit zu beginnen, wenn die EU ein "OK" gibt. Bisher hat die ungarische Regierung nichts unternommen, um das zu beschleunigen. Der IWF-Bericht und die Reaktionen darauf bestätigen daher neben der schwierigen wirtschaftlichen Lage des Landes auch die Zweifel an den Fähigkeiten der Akteure dieser auf politischer Ebene zügig zu begegnen. Daran änderte auch die Goodwill-Tour von Chefverfahndler Tamás Fellegi nichts, da das doppelte Spiel der Regierung auch in Washington nicht zu überhören war. Auch hatte man den Affront vom Dezember, als die Delegation sich zur Abreise genötigt sah bestimmt noch nicht vergessen.

varga / red.

Der vollständige IWF-Jahresbericht zu Ungarn (engl., pdf)
http://www.imf.org/external/pubs/ft/scr/2012/cr1213.pdf

Zum Thema:

Steigender Druck - 25. Jan. 2012
Orbán bei Barroso: EU verschärft Ton und Gangart gegen Regierung von Ungarn
http://www.pesterlloyd.net/2012_04/04euorbanbarroso/04euorbanbarroso.html

Pest gegen Cholera
Ungarn und der IWF spielen griechische Tragödie
http://www.pesterlloyd.net/2011_51/51pestcholera/51pestcholera.html

Alles weitere im Ressort WIRTSCHAFT mit seinen Unterrubriken

 

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