(c) Pester Lloyd / 13 - 2011 OSTEUROPA
01.04.2011
KOMMENTARE
Immernoch fehlt der Wille
Kann eine EU-Romastrategie überhaupt Erfolg haben?
In der kommenden Woche will die Europäische Kommission ihren Entwurf für eine gemeinsame, EU-weite Strategie für die geschätzt 10 bis 12 Millionen Roma der EU
vorstellen, wovon die meisten in Osteuropa leben. Die Schwerpunkte liegen dabei in den Bereichen Bildung, Arbeit, Gesundheit, Wohnungsbau. Milliarden von Euro
werden dabei bewegt, entscheidend aber wird sein, wie die Umsetzung in den einzelnen Mitgliedstaaten kontrolliert wird und ob sie wirklich beeinflusst werden
kann. Die Strukturen der EU und der meist fehlende Wille der Nationalstaaten sprechen nicht für einen Erfolg.
Verantwortlich für das Papier sind Kommissarin
Viviane Reding, die für Justiz, Grund- und Bürgerrechte zuständig ist sowie der ungarische Kommissionskollege László Andor, zuständig für Soziales, Arbeitsmarkt und soziale Integration.
Bereits am 5. April will die Kommission den Entwurf absegnen und ihn am 12. April dem Rat der Innenminister in Budapest vorlegen. Ungarn hat die EU-Romastrategie als eine eigene
Ambition auf der Agenda seiner EU-Ratspräsidentschaft.
Mit der neuen Strategie wird eine gewaltige Umverteilung von finanziellen Mitteln innerhalb
der EU stattfinden, die jedoch nur duch begrenzte Kontrollmechanismen gedeckt sein werden, weil die Sozialagenden und Minderheitenfragen überwiegend in den legislativen
und exekutiven Händen der Mitgliedsländer liegen, womit das Grundproblem von Monitoring, Kontrolle und Sanktionierung bereits beschrieben ist.
Der ungarische Premier, Viktor Orbán hatte fast ultimativ die Bewilligung von EU-Mitteln
gefordert, da man andernfalls befürchten müsse, dass sich große Teil des fahrenden Volkes wieder auf Wanderschaft begeben könnten und zwar dorthin, wo es die höchsten Sozialleistungen gibt. (Mehr dazu) Auch ein gemeinsames Positionspapier des noch von der
sozialliberalen Vorgängerregierung ins Amt des EU-Kommissars entsandten Andor und des jetzigen Regierungsbeauftragen für Romafragen, Zoltán Balog offenbarte gravierende
Fehleinschätzungen der staatlichen Rolle und ein unaufgeklärtes Romabild. (Mehr dazu). In
Ungarn hat es weder unter der vorherigen, noch unter der jetzigen Regierung einen nationalen Plan für die Roma gegeben, das Problem wurde stets auf die lange Bank
geschoben, Hilfe durch reine Lippenbekentnisse und Pseudo-Programm ersetzt, während die Stimmung in der Bevölkerung immer feindseliger wurde, vor allem auch durch die
kalkulierte ideologische Zuspitzung im parteipolitischen Machtkampf des Landes.
Ein Hauptziel ist der Pflichtschulabschluss für alle Romakinder
Trotz der vielen offenen Fragen, wie weit die europäische Strategie tatsächlich als
gemeinsame Aktion wirken kann, wenn die EU kaum Einflussmöglichkeiten auf die Umsetzung hat, sind einige Grundziele klar. Eines sei hier näher beleuchtet: so sollen
Romakinder endlich dazu befähigt werden, die gleiche Abschlussrate der Pflichtschulausbildung zu erreichen wie ihre Altersgenossen der Mehrheitsbevölkerung, wo
sie bei nahezu 100% liegt, während die Rate unter Roma in den Hot-Spot-Ländern Bulgarien, Ungarn, Slowakei, Rumänien, Litauen und Lettland bei gerade 42% liegt. Dazu
bedarf es erheblicher Bemühungen auf beiden Seiten. Zum einen müssen Eltern davon überzeugt, notfalls auch gezwungen werden, die Schulpflicht zu erfüllen.
Auf der anderen Seite muss der Staat endlich dafür Gewähr tragen, dass der freie,
nichtdiskriminierende Zugang für Roma zum öffentlichen Bildungswesen gewährleistet wird. Private Schulstiftungen, die sich allein zum Zweck der Ausgrenzung der Roma
massenweise in Ungarn gründeten und die kommunalen Einrichtungen übernahmen, die daraus resultierende Zusammenfassung der Roma in "Ghetto-Schulen" oder - wie z.B. in
Tschechien und der Slowakei an der Tagesordnung - die präjudizierende Einstufung sämtlicher Romakinder als geistig bzw. sozial unterentwickelt, um sie so in Sonderschulen
abschieben zu können, gehören abgeschafft. Dafür hat aber die EU kaum eine einfache direkte Handhabe, hier ist der Staat und die Obacht der Bürger gefragt, die beidseitigen
Forderungen nötigenfalls auch gerichtlich durchzusetzen.
Milliarden müssten neu verteilt werden
Die EU hat im Budget 2007-2013 insgesamt 28 Milliarden Euro für die "soziale Angleichung"
veranschlagt. Selbst wenn dieses Geld zur Gänze für Romaprogramme ausgegeben würde (was es natürlich nicht wird), fielen auf die besonders betroffenen Länder pro Jahr damit
gerade ca. 400 Mio. EUR an möglicher Untersstützung. Die Roma machen allein in Ungarn ca. 6-8% der Bevölkerung aus, zumindest 50% davon befinden sich in einer prekären
sozialen Lage. Das Geld wird also nicht reichen. Geld ist aber auch nicht alles, die Kommission will mit ihrem Entwurf vor allem erst einmal "den mangelnden politischen
Willen" erzeugen, heißt es aus den Reihen jener Taskforce, die nach den menschenverachtenden Abschiebungen aus Frankreich eingerichtet wurde. Vielmehr als "die
Hoffnung", dass die nationalen Regierungen aufgrund der Debatte "in Aktion" treten, hat man dort aber auch nicht.
Begleitet wird der Start der Aktivitäten zur EU-Romastrategie von einer Konferenz, die darin einen
Wendepunkt zwischen Vergangenheit und zukunft der Roma in Europa erkennen will. Organisiert wir die Veranstaltung am 7. April von ERIO, einem informellen Netzwerk, wenn
man so will einer Lobby-Organisation für Romarechte. Auch Kommissarin Reding und andere EU-Größen werden dort mit Reden vertreten sein, Seminare zu einzelnen Aspekten
werden abgehalten. Es steht jedoch zu fürchten, dass die Frage der Asylpolitik und der Migrationsbewegungen (bzw. der gleichnamigen Ängste der zuständigen Minister) die
notwendigen Debatten über Selbst- und Mitbestimmung der Roma in ihren Heimatländern übertönen könnten, was ein fatales Signal in einer ohnehin fatalen Lage wäre, wie uns die
Berichte aus der ungarischen Provinz tagtäglich vor Augen führen.
red.
Ausgelagert Ungarn: "Europäischen Romastrategie" und eigene Verantwortung http://www.pesterlloyd.net/2011_09/09romaAndorBalog/09romaandorbalog.html
www.erionet.org
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