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(c) Pester Lloyd / 15 - 2012     POLITIK   13.04.2012

 

Alles klar, Herr Kommissar?

Orbáns Racheengel und der selektive Rechtsstaat Ungarn

Der "Abrechnungsbeauftragte", ein von Premier Orbán eingesetzter Sonderkommissar zur "Aufarbeitung von Vergehen der Vorgängerregierungen", Gyula Budai (Fidesz), hat wieder einmal einen Zwischenbericht vorgelegt und zeigt sich erwartungsgemäß äußerst zufrieden mit der Tätigkeit seines Büros. 90% der Arbeit sei geschafft, Gyurcsány sieht er schon hinter schwedischen Gardinen, im November sei man "fertig" mit der Aufarbeitung. - Eine Bilanz.

Budai in seiner Lieblingspose als investigativer Ermittler. Seine Pressekonferenzen hielt er immer gerne vor der Tür der Oberstaatsanwaltschaft ab, auch wenn er gar nicht dazu gehörte. Seine “Ermittlungsergebnisse” hatten die Profis meist längst schon vorliegen...

2010 ergingen nach Angaben Budais “736 Hinweise aus der Bevölkerung”, 2011 waren es nochmals 730, die letztlich zu 50 staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren geführt hätten. Gegenrecherchen ergaben freilich, dass die Staatsanwaltschaft in fast allen Fällen auch ohne das Büro Budai aktiv geworden ist, Bürger haben dort die Möglichkeit anonymer Sachverhaltsdarstellungen oder Anzeigen, auch ohne Budai. Insgesamt seien bisher rund 100 Milliarden Forint, ca. 330 Mio. EUR, an "hinterzogenen oder fehlverwendeten" Geldern auf Druck der Budai-Truppe an den Staat zurückgeflossen, den größten Posten machten dabei die 23,5 Mrd. Forint der Péti Nitrogen Chemiefabrik aus, wo es um ungerechtfertigte Staatszuschüsse ging.

Es geht nur um Gyurcsány und die “Sozialisten”

Hinisichtlich der erklärten "Hauptschuldigen für die Verwerfungen der letzten Jahre", der Premiers Gyurcsány und Bajnai, sagte Budai, dass Gyurcsány "ganz bestimmt" verurteilt werden wird, für "Sachen, die er als Ministerpräsident getan hat". "Sogar Gyurcsány selbst erwartet das mittlerweile ja." Hingegen mutmaßen Beobachter, dass die lange Ermittlungsdauer bei der Staatsanwaltschaft, wo Gyurcsány zumindest schon einmal offiziell als Beschuldigter geführt wird, eher auf eine dünne strafrechtlich relevante Faktenkette schließen lässt. Bisher ist überhaupt nur im Fall des King´s Kasino eine Anklage wegen Amtsmissbrauch auf dem Weg.

Immerhin sind die Gerichte nicht für politische und moralische Verfehlungen zuständig, auch wenn Budai die “Leistungen” der sozial-liberalen Vorgängerregierungen gerne pauschal in die Nähe strafrechtlicher Relevanz bringen mag und Fidesz bei Mangel an Paragraphen das "Gerechtigkeitsempfinden des Volkes" anführt und über das Gesetz stellen will. Eine Initiative von Budai und Fidesz-Fraktionschef Lázár, das "exzessive Ausweiten des staatlichen Haushaltsdefizits" als Straftatsbestand zu formulieren und rückwirkend anzuwenden, um "drei ehemalige Ministerpräsidenten hinter Gitter zu bringen", die "Lex Gyurcsány", scheiterte jedoch bereits an den Einsprüchen der Hausjuristen, zumal man sich einem solchen Gesetz unter Umständen irgendwann selbst ausliefern würde. Auch vor internationalen Gerichten hätte eine Verurteilung nach einem solchen Gesetz keinen Bestand.

Ex-Premier Ferenc Gyurcsány unmittelbar nach einer Vernehmung beim Staatsanwalt. Das gefischaugte MTI-Foto soll vielleicht einen geschlauchten Mann darstellen, die Ängste des heutigen DK-Parteichefs dürften sich jedoch in Grenzen halten.

Hinsichtlich des Kurzzeitpremiers Bajnai, der Ungarn nach dem peinlichen Gyurcsány-Abgang vor der Totalpleite während der Finanzkrise bewahrte, sei er ohnehin noch nicht ganz so weit, dass man schon über konkrete Klagsschriften reden könnte, aber seine "Ermittlungen" weisen mehrfach in dessen Richtung, so Budai gestern vor der Presse. Andere Missetäter können womöglich bald wieder ruhiger schlafen, Budai meint nämlich, dass 90% seiner Arbeit getan sei und man im November "vollkommen fertig" sein werde.

Jenseits aller rechtsstaatlicher Normen

Die Rolle Budais ist rechtsstaatlich nicht beschreibbar, da er außerhalb der Judikative agiert, ohne parlamentarische Aufsicht und zudem einen selektiven Auftrag hinsichtlich des politischen Gegners verfolgt. Die Grundsatzfrage, ob man "Regierungskriminalität" außerhalb bestehender Gesetze rechtlich ahnden soll, ist in rechtstaatlichen Demokratien eigentlich geklärt. Ansonsten wurde das Urteil über Gyurcsány und Co. vom Volke bereits deutlich gesprochen, nämlich bei den Wahlen 2010.

Seinen Ermessensspielraum - per ordre de mufti - nutzte Budai daher auch mehr für zahlreiche öffentlich vorgetragene Beschuldigungen, manche sprechen von regelrechten Rufmorden, die ihm auch eine ganze Reihe Klagen wegen übler Nachrede und Verleumdung einbrachten, u.a. von Gyurcsány und Bajnai. Er führte ohne rot zu werden die Beweisumkehr ein, und ignorierte die Unschuldsvermutung.

 

Die wirklich "harten Fälle", z.B. im Verteidigungsministerium , rund um den King`s Casino Grundstücksdeal (Ermittlungen seit 2009!), verschiedene Privatisierungsverträge sowie die Immobilienbetrügereien in Budapester Bezirken sowie der Diplomatenschwindel in Moskau und andere Affären mit politischer Beteiligung, waren schon vor Budais Amtsantritt gerichtsanhängig. Eine gut geschulte Sonderstaatsanwaltschaft wäre hier weit effektiver gewesen, um die wirklichen Verbrechen der Nachwendezeit aufzudecken, dummerweise stecken darin jedoch nicht nur Vertreter der "Linken". Budai sattelte auch gern auf lokale Interessenskämpfe auf. Ein Beispiel davon war der Angriff auf den Landwirtschaftsbetrieb Hubertus, der im Besitz eines Schweizer Großinvestors ist und der sich schon deshalb eignen sollte, um ihm die Hölle heiß zu machen.

Richtig blamiert hatte er sich bei der Malév-Pleite, als er erklärte, dem Staat drohe nun eine Konventionalstrafe von "bis zu 3 Milliarden Euro" (!) an den Airport Budapest. Bald stellte sich heraus, dass die Airport-Eigner darauf nur einen Anspruch hätten, würde der Flughafen selbst geschlossen. Das hätte Budai eigentlich wissen können, stellte er doch kurz zuvor die gesamte Airport-Privatisierung in Frage, also sollte er den Privatisierungsvertrag vielleicht einmal gelesen haben. Dennoch verbiss sich Budai in die Malév-Sache, auch hier tat er so als würde er das Rad neu erfinden und behauptete staatsanwaltliche Ermittlungen über miese Nebenabsprachen einfach als sein Werk. Als die EU feststellte, dass staatliche Zahlungen an die Malév unrechtmäßige Beihilfen waren, stürzte er sich auf die "Schuldigen", bis ihm Parteikollegen leise steckten, dass auch unter Fidesz-Management fleißig weiter Subventionen geflossen waren, die nur noch nicht Teil von EU-Untersuchungen gewesen sind.

Selektiver Rechtsstaat keine Fidesz-Spezialität, eher k+k-Erbe

Grundsätzlich wäre eine genauere Aufsicht über das Treiben von Beamten und Regierenden wünschenswert, ja möglicherweise die einzige effektive Maßnahme das Vertrauen der Bürger in den Staat zurückzugewinnen, dazu müssten aber die Verantwortlichkeiten im Gesetz genauer formuliert werden und ein außerhalb der Parteien stehendes Aufsichtsorgan existieren, vom Ethos der Staatsdiener selbst einmal ganz zu schweigen.

Budai als “verdeckter Ermittler” im ungarischen Parlament...

Institutionen, die zu diesem Behufe geschaffen waren, wie das Verfassungsgericht hat das Fidesz jedoch dahingehend kastriert, die Richter kommen nun Schritt für Schritt unter die Aufsicht der "Familie", eine höhere Transparenz als unter den Vorgängern, ist, trotz potentierter Lippenbekenntnisse bei den heute Herrschenden auch nicht erkennbar, wie allein die Beispiele der weiterhin ungeregelten Parteien- und Wahlkampffinanzierung beweisen. (Mehr zum Umbau der Judikative u.a. in dieser Liste)

Was "die da Oben" betrifft, ist und bleibt auch Ungarn ein selektiver Rechtsstaat, was man nicht unbedingt der heutigen Regierung anrechnen muss, sondern ein k+k-Erbe zu sein scheint, wie ein Blick zum österreichischen Schwager mit seiner gerade stattfindenden Korruptions-Operette zeigt. Und vergessen wir auch nicht, dass die “Vorzeigedemokratie” Deutschland auch nicht in der Lage war, die zahlreichen Schweinereien der Raubzüge in Ostdeutschland (Stichwort: Treuhand) aufzuarbeiten. Die Schande ist nur, dass diese Regierung es auch nicht anders anzugehen scheint als die Vorgänger, wo sie doch die “moralische Erneuerung” gepachtet haben will...

Als Hauptleistung des Orbánschen Sonderermittlers wird - sollte die Krönung: "Gyurcsány hinter Gitter" ausbleiben - wohl nur die lautstarke Diffamierung einiger linker und liberaler Geisteswissenschaftler in Erinnerung bleiben, die nicht einmal zu gerichtlichen Urteilen führten. Mehr zu diesen "Schauurteilen" in diesem Beitrag. Die selbstgerechten, an finsterste stalinistische Bezichtigungsinszenierungen erinnernden Auftritte des eher simpel gestrickten, dafür umso parteitreueren Budai, der sogar selbst ins Zwielicht dubioser Machenschaften geriet, werden wohl den Wenigsten fehlen, sie waren in Summe eher eine sehr durchsichtige, letztlich vielleicht sogar für die Regierungspartei selbst kontraproduktive Abarbeitung am politischen Gegner als eine Aufarbeitung des Geschehens, zumal sich die Meldungen über Selbstbedienungsaktionen á la Gyurcsány & Co auch bei den neuen Machthabern spürbar gehäuft haben.

ms.

 

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