Hauptmenü

 


Kleinanzeigen für
Ungarn und Osteuropa
Stellenanmarkt
Immobilienmarkt
Geschäftskontakte
Privatanzeigen
Anzeigen ab 35.- / Monat

 

(c) Pester Lloyd / 21 - 2012     GESELLSCHAFT 25.05.2012

 

Zeugnis mit Lücken

Lage der Roma in Europa bleibt katastrohpal - Berichte aus Ungarn, Rumänien, Slowakei

Amnesty International hat seine Länderberichte für 2011 veröffentlicht, in denen Verstöße gegen Menschen- und Grundrechte verzeichnet werden. In Mittelosteuropa fokussiert sich die Problemlage auf die Friktionen zwischen Roma und der Mehrheitsbevölkerung sowie den staatlichen und kommunalen Behörden. Dabei wird klar: eine EU-Romastrategie gibt es im realen Leben nicht, nationale Maßnahmen bauen nur auf Eindämmung und Restriktion, nicht auf Perspektive. Ungarn weist natürlich jede Kritik, nicht nur zur Romapolitik, zurück.

Eine Romasiedlung in der Slowakei.

Gyöngyöspata und die Folgen

Schwerpunkt der Klagen über Ungarn ist weiterhin die Diskriminierung der Roma, die in "vielen Bereichen des Lebens" vorzufinden ist, benannt wurden dabei sowohl die Eskalationen im März und April des Vorjahres in Gyöngyöspata als auch das zögerliche Handeln der Regierung sowie die Schuldsuche bei NGO´s und Medien, wie sie auch im gerade erschienenen Untersuchungsbericht des Parlamentes niedergelegt ist. Es wird zur Kenntnis genommmen, dass es mittlerweile ein Gesetz gegen uniformierte Garden gibt, seine Wirksamkeit wird, angesichts andauernder uniformierter Terror-Aufmärsche nicht untersucht. Auch über den immer noch stattfindenden Prozess gegen die mutmaßlichen Mörder an 6 Roma in den Jahren 2008/09 wird berichtet. Besonders enttäuscht zeigt sich AI darüber, dass mehrere Anzeigen wegen rassistischer Beleidigungen und körperlicher Angriffe weder von der Polizei noch der Staatsanwaltschaft nach "internationalen Standards" behandelt wurden. Einige Ermittlungen wurden umgehend eingestellt, die Betroffenen nicht über den Stand informiert. Derzeit hat die Staatsanwaltschaft in einigen Fällen die Wiederaufnahme von Ermittlungen angeordnet.

Kriminalisierung von Obdachlosen

Weitere schwerwiegende Kritikpunkte der Organisation sind die Inhaftierung, Stigmatisierung und Kriminalisierung von Obdachlosen per Gesetz. Der Staat verneine hier die Verantwortlichkeit für Hilfsbedürftige und gleiche seine eigenen strukturellen Schwächen durch menschenverachtende Regularien aus. Kein anderes Land in der Region geht - per Gesetz - so mit obdachlosen Menschen um wie Ungarn.

Bedenken bei Mediengesetz sind geblieben

Hinsichtlich der Mediengesetzgebung weist AI auf die fortbestehende Kritik des UN-Berichterstatters, der OSZE sowie des Menschenrechtsbeauftragten des Europäischen Rates hin, vor allem die "weitreichenden Machtbefugnisse und die fehlende Distanz der Behördenleitung von der Regierung" würden weiterhin ein "Klima der Selbtzensur" und Benachteiligungen für nicht genehme Medien bedeuten bzw. bedeuten können. Allein dieser Umstand ist als Grundrechtsbruch zu werten, woran auch die Gesetzesanpassungen nach den Urteilen der EU-Kommission sowie des Verfassungserichtes nichts grundlgendes geändert haben. Am Donnerstag gab es zumindest einen bemwerkenswerten Fortschritt, wonach Medien hinfort nicht durch die Medienbehörde unter Strafandrohung verpflichtet werden können, ihre Quellen und Informanten offenzulegen.

Zweifel an der Religionsfreiheit

Auch die Bedingungen der Neuregistrierung von Glaubensgemeinschaften
nach dem neuen Kirchengesetz spricht laut AI gegen die Religionsfreiheit, müssen religiöse Gruppen nun mindestens 1000 Mitglieder und 20 Jahre Aktivität im Lande nachweisen, um die steuerlichen und sonstigen Privilegien einer Kirche erhalten zu können, während die als "historische Kirchen" eingestuften Gemeinschaften diese Privilegien automatisch genießen. Auch hier merkte man an, dass ein Urteil des Verfassungserichtes nur teilweise berücksichtigt wurde. AI stellt jedoch nicht die naheliegende Frage, warum Religionsgemeinschaften überhaupt priviligierten Status gegenüber anderen privaten Interessensvereinen bekommen und ob dies - zumal in unserer offiziell weitgehend säkular organisierten Gemeinschaft - nicht eine Diskriminierung des nichtreligiösen Teils der Bevölkerung darstellt, der ja u.a. die Steuerprivilegien mittragen muss...

Gay Pride und Polizeigewalt 2006

Das versuchte Polizeiverbot der letzten Gay Pride Parade, das von einem Gericht überstimmt wurde (
in diesem Jahr gab es wieder das gleiche Spektakel), kommt im AI Bericht ebenso vor wie die Erwähnung "verschiedener Fälle von Hassrede und gewaltsamer Übergriffe" auf Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung. Bei der Aufarbeitung der Polizeigewalt von 2006 stimmte AI weitgehend mit den Gerichtsurteilen überein. Der exzessive Einsatz von Gummigeschossen, Wasserwerfern und Tränengas auch gezielt gegen friedliche Demonstranten sowie die teils unmenschliche Behandlung von vorläufig Festgenommenen, zum Teil verletzten Protestierern endete mit Schuldsprüchen und Entlassungen aus dem Polizeidienst.

Kritik an der Verfassung

Amnesty International stellte durchaus in Rechnung, dass sowohl
die Verfassung als auch andere Gesetze die erforderlichen Paragraphen enthalten, um gegen rassistische Diskriminierung und andere Menschenrechtsverletzungen vorzugehen, merkte aber auch an, das das Recht auf Selbstbestimmung der Frau durch den "Schutz des Lebens ab der Zeugung" in der Verfassung eingeschränkt wurde und der Schutz von Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung bei der Aufzählung der schützenswerten Minderheiten herausgefallen ist. Die Regierung Orbán stellte gestern nochmal klar, dass man die derzeit herrschende Fristenregelung nicht ändern wolle, die ja in gewissem Widerspruch zur neuen Verfassung steht und auch im Widerspruch zu der Erregung um eine Pille danach, wie sie der Premier gerade vorgespielt hat.

Der AI-Bericht ist sehr unvollständig

Nicht im AI-Bericht enthalten sind: der durch
Fidesz-Gesetze gestützte Rassismus gegen Roma bei der Umsetzung der lokalen Beschäftigungsprogramme durch Jobbik-Bürgermeister, aber auch “Unabhängige”, die fortgesetzte Segregation im Schulbereich, der mangelnde Zugang zu Rechtsschutz resp. -beratung, die nicht vorhandene Vertretung in Exekutive und Legislative, die - auch durch die UN dokumentierte - menschenrechtswidrige Behandlung von Flüchtlingen und Asylbewerbern, die Entrechtung von Arbeitnehmern durch das neue Arbeitsrecht, der Eingriff in das Recht auf freie Lebensentfaltung bei Frührentnern durch die "Wiederzuführung auf den Arbeitsmarkt"  und die Enteignung der privat Rentenversicherten, die Einschränkung des Grundrechts auf Freizügigkeit von Studenten und Absolventen durch Knebelverträge.

Diese Sachverhalte sind aber - so wie es AI in seinen Berichten hält - alle auf offizielle Maßnahmen und Gesetze der Regierung zurückzuführen und gehören daher dazu. Da aufgrund dieser Selbstbeschränkung der erstarkende Antisemitismus, Revanchismus gegenüber den Nachbarn, das öffentliche Auftreten neofaschistischer Bewegungen nicht in diese Lageeinschätzung aufgenommen werden können, bleibt das Gesamtbild unvollständig und blass und ist auch für eine Ursachenanalyse nicht geeignet.

Die Regierung lobt die Theorie und ignoriert die Praxis

Die Regierung wies auf die neue Verfassung "aus europäischem Geiste" hin und nannte die Einschätzung von AI daher durchgehend "fehlerhaft". Dabei geht es AI in erster Linie um eine Dokumentation der vorgekommenen Fälle, nicht der Rechtsgrundlage und damit dem theoretischen Schutz von Minderheiten. Die Regierung wies im wesentlichen alle Kritikpunkte mit dem Hinweis auf die "europakonforme" Gesetzeslage zurück, ging aber auf die konkreten Vorgänge gar nicht erst weiter ein. Im Gegenteil: in Ungar gibt es keine Diksriminierung, traut sich diese Regierung zu schreiben. AI habe nicht das Recht, mit dem Finger auf Ungarn zu zeigen, wo alles seinen rechtsstaatlichen Weg gehe, während reihenweise Menschenrechtsverletzungen an ethnischen Ungarn in den Nachbarländern begangen würden, hieß es, sinngemäß, in einer Stellungnahme der Regierung. Allein, solche Verstöße sind logischerweise Teil der anderen Länderberichte, auch wenn in Ungarn andere Karten an den Wänden hängen.

Das Romaproblem ist ein europäisches, einen Plan gibt es immer noch nicht

Schaut man die Berichte über die ungarischen Nachbarn durch, ist dort nichts von amtlichen (und nur um diese geht es AI) Menschenrechtsverletzungen gegen ethnische Ungarn zu lesen, man erkennt aber auch schnell, dass es hinsichtlich der Roma überall die gleichen Probleme gibt, da diese Bevölkerungsgruppe auch überall ähnlich asozialisiert worden ist.

Dass diese Entwicklung längst zum Selbstläufer geworden ist und die Abneigung, ja der Hass zwischen den Bevölkerungsgruppen auf Gegenseitigkeit beruht, ist wenig überraschend. Die Kommunen, die konkret mit den Auswirkungen der gesellschaftlichen, sozialen und ökonomischen Verlendung umgehen müssen, werden von den Zentralregierungen allein gelassen und reagieren, auf Druck der durch Diebstähle, Konfrontationen, aber auch Müll ebenfalls in ihrem Leben eingeschränkten Mehrheitsgesellschaft oft sehr rabiat und diskriminierend, sie sind schlicht überfordert, übrigens nicht nur in Osteuropa, wie uns die Vorkommnisse in Italien, aber auch in Frankreich, Großbritannien und Deutschland im Vorjahr beweisen.

Besonders deprimierend: von der 2011 angekündigten EU-Romastrategie ist so gut wie nichts zu spüren. Es hat sich in den letzten Jahren nichts geändert. Es gibt keinen Plan, keine Strategie, in keinem der Länder, schon gar nicht in Ungarn, das sich mit seiner "nationalen Romastrategie" ganz zu Unrecht als Vorreiter bei dieser Thematik behauptet. Hier hat man seit Jahren nur große und abwiegelnde Sprüche parat .

Rumänien: Zwangsumsiedlungen und ein Präsident als Zigeunerhasser

Behörden diskriminieren Roma, sogar der Präsident als auch andere hochrangige Offizielle bedienten sich "negativer ethnischer Stereotype". So die einleitenden Sätze des AI-Berichtes zu Rumänien. In einem Gesetz, das letztlich abgeändert wurde, sollten die Roma offiziell als "Tigan" (Zigeuner) bezeichnet werden (in Ungarn nennen sie sich oft selbst so, z.B. heißen die Selbstverwaltungen so, aber das ist ein weites Feld). Mehrfach wurde der Präsident des Landes vom Nationalen Antidiskriminierungsrat wege antiziganstischer Ausfälle abgemahnt (u.a. im TV und bei einem Besuch in Slowenien). In Baia Mare wurde eine Mauer um die dortige Romasiedlung errichtet, offiziell aus verkehrstechnischen Gründen, offensichtlich aber zur "Errichtung eines Ghettos".

Auch die Segregation im Schulbereich wird an Beispielen belegt, einige davon gerichtsamtlich bestätigt. Wieder in Baia Mare wollte der Bürgermeister hunderte Roma umsiedeln lassen. Ein Gericht verhinderte im letzten Moment den Abriss einer Romasiedlung mit 450 Einwohnern, darunter 200 Kindern, errichtet auf Bahngelände. Eine andere Umsiedlungsaktion in Cluj-Napoca wurde gerichtlich als diskriminierend eingestuft und mit entsprechenden Entschädigungszahlungen belegt. Dokumentiert wurde auch der Fall eines HIV-infizierten Roma, der ohne Indikation in eine geschlossene Psychatrie eingewiesen wurde. Laut AI hätten Fehlbehandlung und dortige Umstände direkt den Tod des Mannes herbeigeführt.

Slowakei: Abriss, Segregation und Zwangssterilisation

Auch im nördlichen Nachbarland Ungarns ist der Abschnitt über die Roma-Diskriminierung mit Abstand der längste. Trauriger Höhepunkt neben dem mangelnden Zugang zu Gesundheitsversorgung, Bildung und Unterkunft - ganz zu schweigen von politischer Beteiligung - sind die als "Zwangssterilisationen" überführten "Behandlungen" an Romafrauen, die vorher nicht über den Sinn und die Konsequenzen des Eingriffes informiert wurden. Diese Vorfälle sind auch nicht neu, sie gab es schon seit Jahren, der Staat hat es nicht geschafft, dagegen vorzugehen.
Vergleiche hier den Bericht von 2008.

Segregation im Wohn- und Bildungsbereich sind an der Tagesordnung, so wird u.a. berichtet, dass Kommunen teilweise mitten durch den örtlichen Kindergarten eine Mauer gebaut haben, um Roma und Mehrheitsbevölkerung zu trennen. Den Mauerbau dokumentierten wir schon seit 2009. Auch die automatische Zuweisung von Romakindern in Sonderschulen ohne individuelle Prüfung wird angeprangert, auch schon seit Jahren Praxis. In anderen Schulen gibt es eine Roma-Quote pro Klasse, der Rest wird dann in Romaklassen zusammengefasst, so läuft es übrigens auch in Ungarn, Tschechien, Serbien, Rumänien und anderen Ländern. Hier unser Bericht aus der Slowakei von 20120 "Standardmodell Sonderschule", so aktuell wie eh und je.

 

Umsiedlungen, Siedlungsabrisse, verweigerte Gewährung von Sozialhilfe, Gesundheitsversorgung etc. sind Alltag in der Slowakei. Ein neues Baurecht, verabschiedet im letzten September, ermöglicht es Kommunen nun auch ohne eine Abrissgenehmigung Gebäude, die den neuen Standards nicht entsprechen, z.B. "aus hygienischen Gründen" zu beseitigen. Mehr als 300 Bürgermeister unterschrieben eine Petition an die Regierung, sie möge strengere Regeln und Kontrollen für "asoziale Einwohner" schaffen, daraufhin entstanden separierte Containerdörfer, wer dort keinen Platz fand, wurde obdachlos. Bei anderen illegalen Siedlungen wurde die Wasserversorgung gekappt. Rund 90 Familien, die Klage gegen die Räumungen einreichen wollten, wurden von der örtlichen Staatsanwaltschaft abgewiesen.

Link zum AI-Bericht 2012 für alle Regionen der Welt

ms.

 

IN EIGENER SACHE
Der PESTER LLOYD möchte sich verbessern - Helfen Sie mit? ZUM BEITRAG