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(c) Pester Lloyd / 24 - 2012     POLITIK 11.06.2012

 

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"Transparenz" nervt die Mächtigen in Ungarn + Nachrichten aus Felcsút, Teil 4

Sie bombardieren Ministerien und Behörden mit Anfragen zu undurchsichtigen Ausschreibungen und Besitzverhältnissen, decken Skandale von Polit- und Wirtschaftsgrößen auf, helfen Bürgern beim Zugang zu Informationen und ziehen für die Informationsfreiheit vor Gericht. Zu regelrechten Nervensägen an den Säulen der Macht entwickeln sich die Journalisten und Aktivisten der Webseite www.atlatszo.hu (Átlátszó: Durchblick bzw. Transparenz). Die Reaktionen der Machthaber changieren zwischen Unsicherheit und Arroganz. Die Aufdecker werden allmählich zur Gefahr, denn sie nehmen auch Premier Orbán direkt ins Visier.

Ein Rausschmiss als Karrieresprung

Mehrere Journalisten hatten die Webseite, eine Mischung aus Bürgerhilfe und Magyar-Leaks, vor rund einem Jahr als Gegenmittel zum Mediengesetz, von Anfang an mit Name und Adresse (auch wenn einige Mitarbeiter aus gutem Grund `undercover` bleiben) und unter dem Dach einer Non-Profit-Kft. aufgesetzt. Einer der Gründer und Chefredakteur ist Tamás Bodoky (Foto), der zunächst bei dem kultigen Alternativ-Blatt Magyar Narancs reüssierte und dann zehn Jahre beim wohl besten News-Internetportal Ungarns, index.hu, zuletzt als Vizechefredakteur arbeitete. Dass er sich mit seinen Reportagen 2006 gegen die außer Rand und Band geratene Polizei profilierte, nutzt ihm heute. Ihn kann die Regierung nicht so einfach als linkslinken Schmierfink abkanzeln, wie sie es mit vielen anderen versucht. Bodoky wurde mehrfach ausgezeichnet, sein Name ist im Land bekannt, ebenso seine Unparteilichkeit.

Als Gesicht des Projektes und Vizechef fungiert der Journalist Attila Mong (Foto), der durch seine Schweigeminute im staatlichen Kossuth Rádió just am Tag der Verabschiedung des Mediengesetzes europaweit Berühmtheit erlangte. Die Aktion kostete ihn - wie zum Nachweis für den Spirit des neuen Medienrechts - den Job, doch etwas besseres konnte dem talentierten Schreiber kaum passieren, bekam seine Karriere nun erst richtig Schwung. Eines der führenden unabhängigen Newsportale, origo.hu, stellte ihn als leitenden Redakteur ein, beim "ungarischen Spiegel", HVG, schreibt Mong eine Kolumne und er betreut einige schlagkräftige Blogs. Ein Stipendium in Stanford führte ihn im Mai für ein Jahr in die USA, was ihn aber nicht davon abhält, weiter den Finger in die offenen und verdeckten Wunden der ungarischen Politik zu legen. Attilas Rache, sozusagen.

Auch er ist für die Machthaber schwer in die linke Ecke zu stellen, recherchierte er doch "sozialistische" Skandale wie den Postabank-Fall, der unter dem Stichwort des Haupttäters Kulcsár zum Synonym für mafiöse Verstrickungen zwischen Wirtschaft und Politik im Nachwendeungarn wurde. Die Sache brachte am Ende 23 Menschen ins Gefängnis und lieferte der nationalkonservativen Opposition damals eine Menge argumentativen Humus, um zu heutiger Ausdehnung heranzuwachsen.

Informationsfreiheit nach geltendem Recht

 

Mit www.atlatszo.hu mischen Mong, Bodoky und Kollegen jetzt wieder die Mächtigen auf, mit Fakten und Prozessen und werden so selbst zum Akteur, zu Aktivisten der Bürgerrechtsbewegung. Dabei können sie sich auf die investigativen Talente vieler Journalisten-Kollegen stützen, die so manches für den eigenen Verlag heute vielleicht zu heikle Thema auslassen können, weil sie es bei Atlatszo.hu in guten Händen wissen. Neuester Coup ist die Expansion ins Ausland. Mit Tulipedia nimmt man sich die Ungarnparteien in Rumänien vor (die größte, RMDSZ hat eine Art Tulpe als Symbol), um dortige Ungereimtheiten aufzudecken. Schließlich hätten alle Ungarn in Karpatenbecken einen Anspruch auf Transparenz, heißt es dazu nicht ohne Ironie auf den Allvertretungsanspruch der Orbán-Truppe.

Doch schon in Kernungarn gibt es jede Menge zu tun. Die Webseite will in erster Linie Infos liefern, die die Machthaber lieber für sich behalten. Sie bombardieren - mit einer Mischung aus Magyar-Leaks-Aktivismus und Rechtshilfegruppe Ministerien und Behörden mit Anfragen zu undurchsichtigen Ausschreibungen und Besitzverhältnissen, decken bzw. vertiefen die Aufarbeitung von Skandalem von Polit- und Wirtschaftsgrößen. Man will den Bürgern beim Zugang zu Informationen helfen und für diese Informationsfreiheit ziehen die Protagonisten der Seite auch regelmäßig vor Gericht. Häufig geht es oft sogar nur darum, geltendes Recht durchzusetzen. Denn pro forma hat der Bürger - wie in Demokratien üblich - das Recht auf, die Behörde die Pflicht zur Auskunft.

Wie man die Bürger am effektivsten abwimmelt...

Die Praxis ist freilich eine andere. Vor einigen Wochen kreirten die Aktivisten den automatisierten Anfragedienst KiMitTud (Werweißwas) und bieten den Bürgern dort Formschreiben, die so formuliert sind, dass die nach dem Gesetz eine behördliche Auskunft erbringen müssten. Die genaue Formulierung und Benennung soll verhindern, dass die antwortenden Beamten sich auf Formfehler oder Nichtigkeit herausreden können. Nun ist aus Ministerien und anderen Behörden zu höhren, dass Dienstanweisungen die Runde machen, die beschreiben wie man mit den Anfragen von dort umzugehen hat, genauer, wie man es umgeht, eine echte Antwort zu geben, denn nur das scheint der Ehrgeiz der Behörden - übrigens weltweit - zu sein.

Laut dem inoffiziellen Dekret sind Beamte gegenüber KiMitTud-Anfragen gehalten, möglichst knappe Abwimmeltaktiken anzuwenden. Entweder sollen sie sich dumm stellen, die Fragen seien nicht klar verständlich, daher auch nicht klar zu beantworten, die Infos lägen so nicht einfach vor oder man solle ein paar liebevolle Standardsätze dahintinterln, sich aber ja nicht auf längere Dialoge mit Bürgern einlassen, gar tatsächlich Informationen herausgeben. Atlatszo bietet freilich auch gleich ein Klageformbogen zum Download an.

Staatliche Immobilien als Staatsgeheimnis oder Wettbewerbsvorteil für Berufene?

Einige weitere aktuelle Beispiele belegen nicht nur die Vielfält der sich bietenden Angriffsflächen, sondern auch die Nervosität der Machthaber in Budapest. So fragte man bei der Staatsholding MNV nach einer Liste von staatseigenen Immobilien sowie nach Daten über geplante und vollführte Privatisierungen, eigentlich Informationen, die nicht offen, aber auf Anfrage jedem Bürger, also mittelbarem Miteigner zugänglich sein müssten. Zunächst schwieg die MNV, dann lehnte sie Angaben unter Berufung auf "Geschäftsgeheimnisse" ab. In einem erstinstanzlichen Urteil bestätigte jetzt das Hauptstädtische Gericht dieses Vorgehen, mit der lustigen Begründung, der Anfragende "wandte das Recht auf Informationsfreiheit irregulär an", da ihm die "angefragten Dokumente ungerechtfertigte Geschäftsvorteile" hätten verschaffen können. Im übrigen könnte die Auskunft "negative Effekte auf die Nationale Wirtschaft" haben.

Abgesehen davon, dass Atlatszo.hu keine wirtschaftlichen Interessen verfolgt, ist diese Begründung gerade im Lichte der aktuellen Landpachtskandale, siehe unten, verheerend. Denn genau der unterschiedliche Zugang zu Information ermöglicht ja die Vetternwirtschaft, die gerade wieder Urständ feiert, wie zuletzt zu den Hochzeiten der "Gyurcsány-Ära". Atlatszo will in Berufung gehen. Es sollte als Bürger Ungarns möglich sein, zu erfahren, welche Immobilien der Staat besitzt und wie sie verwertet werden...

Das Außenministerium blamiert sich vor Gericht

Die Reaktionen der Machthaber auf die "Nervensägen" aus dem Cyberspace, changieren zwischen Unsicherheit und Arroganz. Eine Arroganz, die ganze Ministerien der Lächerlichkeit preisgebgen kann. Das ungarische Gesetz sieht u.a. vor, dass sämtliche personellen Veränderungen in Ministerien im monatlichen Amtsblatt "Magyar Közlöny" zu veröffentlichen sind. Atlatszo wunderte sich, dass trotz gegenteiliger Pressemeldungen niemals das Außenministerium dort aufschien. Lediglich die numerischen Veränderungen wurden angegeben, aber nie namentliche Angaben gemacht.

Die Anfrage von Atlatszo blieb zunächst unbeantwortet. Vor Gericht stammelte der Ministeriumsjustitiar aberwitzige Ausreden, die soweit gingen, dass er vor dem Richter sogar behauptete, man habe im Außenamt keine vollständige Liste aller Mitarbeiter. Danach wurde gesagt, solche Listen könnten nicht veröffentlicht werden, denn "das würde ausländischen Geheimdiensten zuarbeiten." Das Gericht schüttelte nur ungläubig das Haupt und verdonnerte das Ministerium zur Nachreichung aller Personalveränderungen.

Nachrichten aus Felcsút, Teil 4

Die Aufdecker werden allmählich auch zur Gefahr für ganz ganz oben, denn sie haben mittlerweile auch Premier Orbán direkt ins Visier genommen. Die Affären in und um Felcsút wurden maßgeblich von dieser Seite aufgearbeitet, deren Mitarbeiter in nimmermüder Kleinarbeit jeden Verdacht, jede Behauptung mit Firmenbuchauszügen, Meldedaten, Adressen und anderen öffentlichen Dokumenten wasserdicht machten.

Über die "Junker von Felcsút", vor allem den dortigen Bürgermeister und seine sprunghafte Landvermehrung berichteten wir schon hier, dann kam Orbáns Vater als überraschender Schlossherr auf den Plan, anschließend folgte Frau Orbán mit ihren erstaunlich weitreichenden Geschäftsbeziehungen (darin auch weitere Links zu aktuellen Fidesz-Skandalen).

Nun, ganz aktuell, ist wieder der Bürgermeister von Orbáns Heimatort Felcsút dran, dessen Landhunger unstillbar scheint. Die Göbölpuszta, früher einmal ein Gut von Erzherzog Josef, war bisher eine Art informelle Kooperative von rund 30 Familien, die auf dem Staatsgrund mit einem ebenso informellen Pachtvertrag wirtschafteten. Nun sollten diese Pachtverträge in diesem Frühjahr "verifiziert", d.h. durch eine Ausschreibung seitens des staatlichen Bodenfonds erneuert werden.

Komischerweise wusste der Bürgermeister von Felcsút (auf dem Foto links, daneben Premier und Freund Orbán) davon schon vorigen Sommer, denn nur so lässt sich erklären, wie er die verdutzten Bauern "auffordern" konnte, ihre Tätigkeit einzustellen und ihre Pflanzen abzugrasen. Ohne die Ausschreibung abzuwarten, bei der sich auch die Alteingesessenen bewarben, begannen Leute von Bürgermeister Lőrinc Mészáros schon mit Vorarbeiten auf den Feldern und trieben sogar schon Vieh auf die Weiden.

Die Göbölpuszta gehört nun zur Hälfte, wie Hunderte Hektar in der Nachbarschaft um Felscút und Alcsútdoboz, auch dem Orbán-Freund bzw. einem seiner Unternehmen, während alle anderen Bauern (bis auf die Orbán-Freunde Flier und ein paar andere Nahestehende) leer ausgingen, darunter auch Familien, die hier über Generationen wirtschafteten. Die andere Hälfte der Göbölpuszta aber gehört nun zum Imperium von Sándor Demján, einem Immobilien-Tycoon, Banker, Bauunternehmer, dem reichsten Ungarn und damit einem von jenen Oligarchen, die es laut Orbán gar nicht gibt, sondern die nichts weiter als "verdiente Geschäftsleute sind, die das Land voranbringen". Nun wissen wir wenigstens, welches Land er meinte.

 

Was folgt, ist das übliche. Der für den Bodenfonds verantwortliche Staatssekretär sagt: alles war korrekt, Orbán schickt ein paar deftige Sprüche über das "Erbe der Vorgänger" hinterher. Dass selbst in seiner Partei zunehmend mehr Kopfschütteln zu sehen ist, ficht die Junker von Felcsút nicht an. Bodenspekulanten sind schließlich immer Ausländer und der Verdacht, Mészáros und Kollegen könnten nur Strohmänner für den Orbán-Clan sein, ist, wie immer, eine bösartige Verleumdungen der Linken.

Immerhin sorgt Atlatszo dafür, dass diese Dinge nicht so schnell in Vergessenheit geraten und - hoffentlich - auch zu Wahlzeiten abrufbar bleiben. Die letzten Umfragen zeigen, dass immer mehr Ungarn die wirklichen Interessen ihrer Regierenden immer besser durchschauen, www.atlatszo.hu, leistet dazu einen wichtigen Beitrag, in dem es darstellt, dass Niedertracht und Selbstsucht nicht an ein Parteibuch gebunden sind.

http://www.atlatszo.hu/
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red.

 

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