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(c) Pester Lloyd / 36 - 2012   MEDIEN 03.09.2012

 

Flagschiff ohne Flotte

Die wichtigste Zeitung in Ungarn vor der Zerreißprobe

Die Bereinigungen auf dem ungarischen Medienmarkt gehen in eine nächste, womöglich entscheidende Runde. Es geht dabei um die größte Qualitätstageszeitung des Landes, die linksliberale Népszabadság. Ringier will das Blatt verkaufen, ein rechter und ein linker Bieter stehen in den Startlöchern. Dabei geht es im Kampf um das Flagschiff der Zeitungsszene weniger um Informationsvielfalt oder Marktanteile als vielmehr um die Deutungshoheit und darum, dem politischen Gegner zu schaden. Ein Blick in eine wüste Medienlandschaft.

Die Konzerne wollen ihre Osttöchter noch versilbern

Der Mehrheitseigner, der Schweizer Konzern Ringier, will, ja muss die Népszabadság, die er zuvor von Axel Springer übernommen hat, loswerden. Ungarische "Investoren" von links und rechts stehen nun in den Startlöchern um das Flagschiff der ungarischen Sozialisten zu retten, resp. zu entern. Die Ringier Holding AG (Schweiz) und die Axel Springer AG (Deutschland) fusionieren gerade ihre Tochtergesellschaften im osteuropäischen Ausland. Die neue Holding soll irgendwann an die Börse, man will sein jahrelanges, kleinteiliges und schwieriges Engagement im Osten endlich auskoppeln, bestenfalls noch versilbern, so das überhaupt noch möglich ist.

In Ungarn allerdings, hat der Medienrat die Fusion unterbunden, da die entstehende Marktmacht gegen Kartellregelungen verstoßen würde. So die offizielle Version. Ringier gehört bereits die Népszabadság sowie das Massenkäseblatt Blikk, während Springer die meisten der regionalen Tageszeitungen besitzt. Doch im Hintergrund können andere Begehrlichkeiten die Entscheidung der regierungstreu besetzten Medienbehörde gelenkt haben.

Die linke und die rechte Hand des Teufels

Zwei potentielle Käufer haben vitales und nicht nur finanzielles Interesse an dem einstigen Zentralorgan der Kommunistischen Einheitspartei Ungarns. Zum einen die "Stiftung Freie Presse", gegründet durch die Sozialistische Partei und geleitet vom früheren Vorsitzenden der MSZP László Kránitz und ausgestattet auch mit Geldern aus schwer erklärlichen Quellen, diese hat bereits 27,7% der Anteile in ihrem Besitz und zum anderen der "Geschäftsmann" László Csintalan, der vor 14 Jahren noch MSZP-Funktionär war, sich dann Stück für Stück zum heute regierenden Fidesz wendete. Csintalan wird als Strohmann für Lajos Simicska betrachtet, jenen Oligarchen, der als zentrale Schaltstelle für die Interessen der Regierungspartei in der privaten Wirtschaft gilt. Simicska ist u.a. Miteigner des Unternehmens Közgép, dem seit Orbáns Machtantritt eine zentrale Stellung bei Auftragsverschiebungen zukommt.

UPDATE: Am Montag wurde ein konkretes Angebot Ringiers an die MSZP-Stiftung bekannt. Danach verlangt der Schweizer Konzern für seinen Anteil von 70,8% 1,5 Milliarden Forint, ca. 5,6 Mio. EUR in bar sowie einen Vertrag, der den Druckauftrag für die nächsten 5 Jahre bei Ringier belässt. Gleichzeitig soll die Zeitung ihren Anteil an der Firma Medialog an Ringier verkaufen, für die Begleichung der rund 1,6 Mrd. angehäuften Schulden. Ringier bietet der Stiftung zudem eine Art Teilzahlungsmodell an. So wäre man mit einer Anzahlung von 3 Mio. Forint zufrieden, ließe sich dann aber für die nächsten 13 Jahre bzw. bis 2025 5% der Umsätze abtreten. Geht der Druckauftrag zwischenzeitlich an eine andere Druckerei, stiege der Anteil auf 8%. Der Umsatz im Vorjahr betrug 3,8 Mrd. Forint. Die Stiftung legte ein Gegenangebot von 1,2 Mrd. Forint bzw. 3% der Umsätze vor und verlangt vor dem Verkauf noch eine “Reorganisation”, einschließlich der Auffüllung des Stammkapitals von den derzeit 677 Mio. Forint auf die nominal registrierten 1,3 Mrd.

Andauernder Niedergang

Die Fachwelt zweifelt nicht so sehr an der finanziellen Potenz beider Interessenten für den Erwerb der Mehrheitsanteile bei Ringier, viel mehr aber an der fachlichen Qualifizierung dafür, dem heute linksliberalen Meinungsführer das mittel- und langfristige wirtschaftliche Überleben zu sichern und erst recht an der ethischen Qualifikation, dieses namhafte Blatt nicht vollends zu vergewaltigen. Die Népszabadság ("Volksfreiheit") hatte in den letzten vier Jahren ein stetig steigendes Defizit zu verkraften und hat seit der Wende drei Viertel seiner Leserschaft eingebüßt, auch wenn sie mit 63.000 täglich verkauften Expemplaren den Markt klassischer Tageszeitungen in Ungarn immer noch anführt. Noch vor zehn Jahren lag man bei fast 120.000 und auch die Anhängerschaft der MSZP hat sich in dieser Zeit ja ungefähr halbiert.

Zuwendungen von Gewerkschaften und der MSZP werden in Oppositionszeiten zwangsläufig geringer, die amtliche Anzeigenpolitik und jene der großen staatlich kontrollierten Betriebe tut ihr übriges. Generell sieht man für zwei linke Tageszeitungen, neben der Népszabadság gibt es noch das ehemalige Organ der Zentralgewerkschaft "Népszava" (Volksstimme), die einen noch linkeren, teils demagogischen Kurs fährt, in der heutigen politischen Umgebung kaum einen Markt.

Staats- und Parteigelder für regierungsfreundliche Medien

 

Gleiches gilt auch auf der anderen, der nationalkonservativen Seite der "Qualitätszeitungen". Die  Konstellation ist mit der "Magyar Nemzet" und der "Magyar Hírlap" ähnlich. Während erstere als Sprachrohr der Regierung gelten kann, ist die zweite, im Besitz des rechtsgerichteten Oligarchen Gábor Széles, ein der Hetze nicht abgeneigtes Kampfblatt der Hardliner, mit dem Hassprediger, Antisemiten, Orbán-Freund und Fidesz-Mitgründer Zsolt Bayer an der publizistischen Spitze. Auch diese Zeitungen überleben mehr als sie florieren, allerdings sind ihnen neben potenten Geschäftsleuten auch Anzeigenserien von Staatsbetrieben und steuerlich finanzierten Ämtern und Behörden sicher sowie neuerdings Zahlungen aus eigenartigen "Kooperationsvereinbarungen" mit Fidesz-regierten Stadtbezirken, die sich sogar vertraglich eine "gute Presse" sichern. Im August wurde auch aufgedeckt, dass die staatliche Entwicklungsbank gezielt regierungsnahe Medien finanziert, in Größenordnungen.

Untergang oder Umpolung der Népszabadság wäre ein Verlust

Politisch ausgewogene Beobachter schätzen das journalistische Potential der Népszabadság in der eher wüsten Medienalandschaft Ungarn noch am höchsten ein. Ihr Untergang oder ihre Umpolung wäre ein echter Verlust, denn keine andere Zeitung verfügt über eine derart umfängliche innenpolitische Berichterstattung, keine über derart viele professionelle Journalisten, die - selbst eingedenk ihrer politischen Präferenz - immer noch und immer wieder einen wichtigen Beitrag zum Meinungsbild und zur Informationsvielfalt in Ungarn leisten. Dass die Népszava auf der Kippe steht, kann man hingegen nur aus sentimentalen Gründen bedauern, immerhin war die 1890 als "Volkes Wort" gegründete Zeitung die erste Zeitung der Sozialdemokratie des Landes.

Politische Biotope im Schatten der Medienriesen

Außerhalb des Boulevards und des den Medienmarkt dominierenden kommerziellen TV-Marktes haben sich in der ungarischen Medienlandschaft relativ klar zuordenbare politische Medienbiotope gebildet, deren Konturen jedoch vor allem im linken Bereich immer weiter verschwimmen, weil viele ehedem linksliberale Blätter und Sender (Beispiel hier ATV) ihr Heil im Boulveard oder dem Kommerz suchen, wo politisches Anecken nicht unbedingt förderlich ist. Mit
Klubrádió und NEO FM, die unter dubiosen bzw. offen rechtsstaatswidrigen Verfahren ihre Lizenzen verloren oder einfach Pleite gingen, verliert die Linke ihre wichtigsten Radiosender. "Élet és Irodalom" ist ein reines Intellektuellenblatt ohne Massenwirkung, "Magyar Narancs" zwar oft witzig, aber der alternativen Szene vorbehalten. Hoffnungsträger war lange das Wochenmagazin "HVG" als "ungarischer Spiegel", doch auch dort nehmen Verweichlichungstendenzen auffallend zu. Die Népszabadság ist damit im linken Spektrum sozusagen zum Flagschiff ohne Flotte geworden.

Mit Hír TV, den oben genannten Tageszeitungen "Magyar Nemzet", "Magyar Hírlap" und einigen weiteren unsäglich niveaulosen Kampfblättern sowie den einflussreichsten Radiostationen ist die Regierung medienseitig bereits ziemlich gut aufgestellt, zumindest quantitativ. Sehr aktiv ist vor allem die Holding Infocenter, deren Teilhaber der nunmehrige Ex-Minister Tamás Fellegi war. Seine Anteile sind jedoch nur geparkt gewesen, seine neue Freizeit kann er jetzt wieder ganz der Mehrung des Einflusses im Medienzirkus widmen.

Nicht vergessen sollte man auf der Habenseite der Regierung auch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, mit den TV-Sendern M1, M2, Duna TV, dem Kossuth-Rádió und den "angeschlossenen Sendern" sowie der Nachrichtenagentur MTI als zentralem und einzigem News-Inhaltelieferanten. Sie wurden durch Medienrat und Personalpolitik konsequent gleischgeschaltet und sind heute die wichtigste Basis der Regierungspropaganda, wenn auch mehr durch Unterlassung, denn durch gezielte Manipulation wie sie bei den "Parteimedien" üblich ist.

Pressefreiheit ist kein Verkaufsargument

 

Wer im Kampf um die Népszabadság den Kampf um Informationsfreiheit in Ungarn erkennen mag, muss ehrlicherweise auch erwähnen, dass auch diese Zeitung, so wie die "Kollegen" von Rechts, Links oder von der reinen Kommerzschiene allesamt etwas wesentliches vermissen lassen: bedingungslose System- und Machtkritik außerhalb des Parteienspektrums und abseits kommerzieller Interessen. So gesehen, ist die ungarische Medienlandschaft insgesamt als korrumpiert zu betrachten, sie verfehlt das, was Presse ausmachen sollte. Der Untergang einer Zeitung dieses Systems kann also auch als Strafe für jahrzehntelange Sünden begrüßt werden, wäre er nicht nur der Erfolg einer Seite.

Eines kann jedenfalls als gesichert gelten: die Auswirkungen auf Pressefreiheit- und vielfalt werden für Ringier kein Argument in den Verkaufsgesprächen um die "Népszabadság" sein. Welchen Stellenwert die Pressefreiheit für RTL, Gruner & Jahr, Springer und Co. haben, haben die großen westlichen Konzerne in der Debatte um das neue Mediengesetz durch beredtes Schweigen längst demonstriert.

red. / mb. / ms.

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