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(c) Pester Lloyd / 02 - 2013   POLITIK 07.01.2013

 

Attilas Traum

Wahlen 2014: "Sozialisten" in Ungarn wähnen sich schon auf der Siegerstraße

Folgt man den Aussagen des MSZP-Vorsitzenden Attila Mesterházy, ist der Machtwechsel 2014 bereits so gut wie in trockenen Tüchern, der Weg dahin nur eine Formsache. Doch neben den noch wenig überzeugenden inhaltlichen Angeboten, gefährdet der vehement eingeforderte Führungsanspruch der 2010 so schwer geschlagenen Partei das gemeinsame Projekt der immer noch mäandernden Opposition: die Ablösung Orbáns.

MSZP-Vorsitzender Mesterházy im Jahresauftaktinterview mit MTI. Foto: ebenda

"Die ungarischen Sozialisten haben ihre Position als wirkliche Alternative zu Fidesz zurückgewonnen und bis Ende des Jahres wird klar sein, dass die heutigen Regierungsparteien die Wahlen 2014 verlieren werden." Das sagte der Parteichef der größten Oppositionspartei MSZP am Freitag in Budapest gegenüber der Nachrichtenagentur MTI. Mesterházys Siegeszuversicht ist nicht einer nachsilvesterlichen Champagnerlaune entsprungen, schon seit Monaten redet er vom "Machtwechsel 2014". Mesterházys Marschrute mag für ihn zwar schlüssig klingen, blendet aber den eifrigen Detailteufel aus.

 

Er "erwartet", dass "die linken Parteien sich auf gemeinsame Kandidaten bis Ende des Jahres" geeinigt haben werden, bis dahin sollte auch ein gemeinsamer "Ministerpräsidentenkandidat" gefunden sein. Noch sei es für ihn jedoch zu früh, selbst über die Spitzenkandidatur nachzudenken, was den Anspruch darauf aber impliziert. "Zuerst einigen wir uns auf ein Wahlprogramm, dann auf das Team und zuletzt auf den Kapitän." "Ohne die Sozialisten wird es "aber " nicht möglich sein, die Orbán-Regierung abzulösen", schiebt er hinterher.

Allianzen nur, wenn MSZP die Führungsrolle bekommt?

Seit den letzten Wahlen habe man die eigene Wählerbasis um das Eineinhalbfache vergrößern können (bei den Wahlen 2010 hatte man sie allerdings mehr als halbiert), zur Zeit würden 1,5 Millionen Wahlberechtigte MSZP wählen, glaubt der MSZP-Chef und "die Tendenz ist weiter steigend." Auch liege schon heute auf der Hand, dass "mehr Menschen Orbán weghaben wollen als ihn behalten...". Damit ist aber noch nicht gesagt, ob sie einen Mesterházy oder Bajnai haben wollen.

Hinsichtlich möglicher Wahlallianzen sagte Mesterházy, dass man darüber verhandeln wolle, welche Kandidaten die aussichtsreichsten in den jeweiligen Wahlbezirken (für Direktmandate) sind. Dazu müssten aber "nicht nur die Sozialisten zu Kompromissen bereit sein", worin schon anklingt, dass die gemeinsame Kandidatenfindung, mithin auch der -verzicht das wohl größte Problem für eine echte Allianz werden könnte. Wegen solcher Streitereien ging im Oktober 2010 schon Budapest bei den Kommunalwahlen verloren. Und ohne eine Mehrheit der Direktmandate, dafür sorgt schon das neue ungarische Wahlgesetz, ist eine Mehrheit auch im nationalen Parlament insgesamt ausgeschlossen.

Eine neue Verfassung muss her
- Armut, Arbeitslosigkeit und Wirtschaftslaute müssen weg

Das letzte Jahr stand für Mesterházy ganz im Zeichen der "Programmgestaltung" (zum MSZP-Programm zu anderer Zeit mehr), in diesem geht es vor allem um die Bildung eines Bündnisses. Doch auch diese Bündnisse sollten sich an inhaltlichen Gemeinsamkeiten ausrichten. Bei der Frage einer konstitutionellen Umgestaltung sei man sich im wesentlichen einig, hier geht es vor allem darum, das Land wieder regierungsfähig zu machen (was anhand der Struktur der Verfassung, der darin gebundenen Kardinalsgesetze, die sehr viele alltagspolitische Regelungen enthalten, fast unmöglich wird, wenn keine 2/3-Mehrheit vorliegt).

Nun komme es auch darauf an, auf die brennendsten Probleme der Gesellschaft Antworten zu finden: den Abbau von Armut, die Schaffung von (echten) Arbeitsplätzen und die Ankurbelung der Wirtschaft. Mesterházy nannte die Zahl von 500.000 Kindern, die hungerten (die EU sieht 31% aller Ungarn arm oder armutsgefährdet), "ganze soziale Schichten rutschen in die Armut" und die Chancen auf Bildung und Arbeit seien ungleicher verteilt denn je.

Wer wird Spitzenkandidat? Mesterházy hat den Apparat, Bajnai Kompetenz...

Die MSZP wird kaum die notwendigen Nichtwähler mobilisieren

Die LMP hatte eine Kooperation mit der MSZP (wie mit "Gemeinsam 2014") bereits ausgeschlossen und ist dabei, an der Frage der Allianzen zu zerbrechen. Sie liegt in Umfragen zwischen 4 und 7%. Die außerparlamentarische "Gemeinsam 2014", aus dem Stand auf 10-14% geführt, bemüht sich jedoch auch selbst um derartige Kooperations-Gespräche und sieht sich als Mitte-Links-Plattform, der sich die MSZP als primus inter pares anschließen kann und nicht als Gruppe, die sich der MSZP anschließen oder unterwerfe wird.

 

Doch Mesterházys Statements betonen stets den Führungsanspruch in der Opposition, was die für einen Machtwechsel notwendige Mobilisierung von Nichtwählern erschweren wird, von denen wiederum viele weder Fidesz, noch die MSZP für geeignet halten, das Land in eine bessere Zukunft zu führen. Ein bipolarer Wahlkampf würde dieses riesige Potential wohl eher von einer Teilnahme abhalten, denn beider Performance ist nun leidvoll bekannt.

Fast herablassend erwähnte Mesterházy in dem Interview mit MTI, dass "Gemeinsam 2014", jenes neue, hoffnungsvolle Bündnis aus freier Gewerkschaftsbewegung Szolidaritás, der linksliberalen Milla-Bewegung sowie dem Ex-Premier Gordon Bajnai, sich "jederzeit unseren Gesprächen anschließen kann", womit er anzeigt, dass die MSZP nicht gewillt ist, ihren Führungsanspruch aufzugeben.

Mehr dazu in: Linke "Bad Bank": Sozialisten in Ungarn ringen um die Oppositionsführerschaft, koste sie was sie wolle

Es ist zwar richtig, dass man ohne die MSZP den Machtwechsel nicht schaffen kann, doch nur die MSZP kann ihn eben auch nicht schaffen, weshalb ihr taktische Vorsicht bei der Rollenverteilung anzuraten wäre. Denn bei Lichte betrachtet, ist sich die ungarische Opposition nur in einem einig: "Orbán muss weg." Das allein, darüber soll man sich bei aller aufgestauten Wut in vielen Teilen der Bevölkerung keiner Illusion hingeben, wird aber nicht reichen.

Rechenbeispiele vom Machtwechsel bis zum demokratischen Super-Gau

Nimmt man die derzeitigen optimistischen Konstellationen zur Hand, käme die MSZP bei Wahlen derzeit auf knapp 30%, die LMP auf 6, "Gemeinsam 2014" auf 12%. So wäre, nach dem Mehrheitswahlrecht (immer vorausgesetzt, dieses Ergebnis spiegelt sich in einer ausreichenden Anzahl Direktmandaten wider) der Machtwechsel zu vollbringen. Fidesz hätte dann sogar mit 35%, bei ca. 12-14% für Jobbik, das Nachsehen. Die DK von Gyurcsány und andere Gruppen kann man vernachlässigen, sie werden kaum die 5%-Hürde überspringen.

Doch sieht die Sache schon ganz anders aus, sollte "Gemeinsam 2014" seine heutige Newcomer-Attraktivität nur etwas einbüßen und z.B. nur bei 8-10% landen, die LMP aus dem Parlament fliegen und die MSZP nur 27-28% schaffen. Kommt Fidesz dann noch auf ca. 40%, was im Rahmen des Denkbaren liegt und erstarkt die neofaschistische Jobbik auf bereits einmal prognostizierte rund 17-20% (bei entsprechenden Anlässen wären sogar bis zu 25% denkbar), säßen Orbáns-Leute mit weit über 50% der Mandate genauso fest im Sattel wie heute, denn eine 2/3-Mehrheit ist für sie aufgrund des konstitutionell und instiutionell bis dahin abgeschlossenen Totalumbaus gar nicht mehr nötig, um genauso durchregieren zu können wie heute.

Im Lichte dieser Beispiele, liest sich Mesterházys Siegesgeheul geradezu traumwandlerisch. Bei entsprechender Stärke der Neonazis wäre sogar ein absolutes Patt zwischen den Lagern denkbar, einschließlich einer Fidesz-Minderheitsregierung mit (natürlich offiziell nicht gewollter) Jobbik-Duldung. Das wäre der demokratische Super-Gau.

Warum eine Partei wählen, die dem heutigen Chaos den Weg bereitete?

Immerhin dürfte es Mesterházy mit seinen bisher dünnen programmatischen Ansätzen und der fundamentaloppositionellen Parlamentsarbeit schwer fallen, Nichtwähler oder enttäuschte Fidesz-Wähler davon zu überzeugen, die richtige Alternative zu dem zu sein, was das Volk seit 2010 geboten bekommt. Der Tenor geht eher dahin, dass die Menschen zwar von Fidesz un- bis asozialen, ständischen Klientelpolitik, ihrer chaotisch-stümperhaften Wirtschaftspolitik, die tatsächlich mehr Armut und Chaos brachte und ihren nationalistischen Übertreibungen schwer enttäuscht und frustriert sind, aber auch wissen, dass Orbán und die Seinen ihren Machtrausch nur ausleben konnten, weil die MSZP-Eliten auf ganzer Linie, politisch, wirtschaftlich und moralisch versagt hatten und damit der "nationalkonservativen Revolution" eigentlich das Feld bereiteten.

Europa-Lüge oder Nationaloperette: für die Menschen kein großer Unterschied

Ob man nun im Namen Europas, der Freiheit und neoliberaler Modernisierung ausgeplündert wird wie unter MSZP-SZDSZ oder unter Fidesz-KDNP mit dem rot-weiß-grünen Banner der Nation gefesselt ist und darbt, also die Alternative: Europa-Lüge oder Nationaloperette, macht für die meisten (44% wollen nicht wählen gehen...) nicht den großen Unterschied. Jedenfalls nicht so einen großen, um wieder einen "totalen Umbau" riskieren zu wollen, hatten die Umbauten vorher bisher ja nie etwas Besseres, als das Schlechte zuvor gebracht. Klingt simpel, kommt aber der Realität am nächsten, wenn man sich so umhört. Es müssen schon sehr stichhaltige Pläne und Programme mit glaubwürdigen Leuten her, um die Ungarn politisch nochmal hinter dem Ofen hervor zu locken.

Die Aufarbeitung der Zeit 2002 bis 1010 wäre für die MSZP wahrscheinlich die beste Grundlage für die Formulierung eines neuen Programmes, - es müsste gleichzeitig die Suche nach einem dritten, den Bürgern zugewandten Weg sein, nicht nur die Frage nach einem neuerlichen "Machtwechsel". Doch dafür fehlt der MSZP nicht nur das Sozialdemokratische an sich, sondern auch die Fähigkeit zu Reflektion und Selbstkritik sowie politische Sensibilität und auch frisches Personal, das sich durch die Netzwerke der alten Granden arbeiten könnte. Die MSZP begreift sich noch immer als eine Partei, die das Volk regieren will, nicht als eine, die für das Volk arbeiten soll, ein Erbe der Einheitspartei, das auch den heute Regierenden in Fleisch und Blut sitzt, aber auch einen generellen pathologischen Befund der heutigen Parteiendemokratien darstellt.

Taktik statt Führungsanspruch, Zuhören statt Aufdrängen

Taktisch wäre es für die MSZP schlauer, auf kleiner Flamme die Stammklientel zu sammeln und zu aktivieren, anstatt schon wieder landesrettende Parolen auszugeben. "Gemeinsam 2014"-Mann Bajnai wäre außerdem der viel bessere Spitzenkandidat für eine breite Allianz, aus zwei Gründen: er hat allgemein anerkannte Wirtschaftskompetenz, die Fidesz-KDNP vollständig abgeht - und, er ist nicht in der MSZP!

Die Mobilisierung von Nichtwählern, enttäuschten Bürgerlichen und freien links-liberalen Gruppen, vor allem aber den Arbeitern, Studenten und Angestellten, in Summe also der "Mittelschicht", jene Menschen, die von ihrer eigenen Hände Arbeit leben sollen, es aber immer weniger können, sollte man "Gemeinsam 2014" und ein wenig auch LMP überlassen. Die MSZP mag sich um Nostalgiker, Rentner und den öffentlichen Dienst bemühen, woanders wird sie nur Schaden anrichten.

MSZP-Chef Mesterházy, der sich seinerseits des Sieges schon so gewiss ist, will nun im Frühjahr bei einer "Gegenoffensive" (die Kriegsrhetorik ist in Ungarn Alltag) Klinken putzen gehen und die Leute direkt "an ihrer Haustür" besuchen. Mesterházy schloss sein Jahresauftaktinterview mit: "Niemand"  könne "die Sozialisten davon abhalten, an die Türen der Menschen zu klopfen und ihnen zu sagen, was die MSZP anders machen will als die Regierung...". Vielleicht sollten die "Sozialisten" einfach einmal zuhören, wenn sich denn die Türen für sie öffnen...

red. / cs.sz. / m.s.

Mehr zu den inhaltlichen Ansätzen von "Gemeinsam 2014" in "Wie rettet man Ungarn?"
http://www.pesterlloyd.net/html/1243anderezweidrittel.html

Aktuelle Umfragen und taktische Überlegungen hinsichtlich der Allianzen der Opposition
http://www.pesterlloyd.net/html/1245gemeinsamaufplatz2.html

 

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