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(c) Pester Lloyd / 04 - 2013   POLITIK / BILDUNG 22.01.2013

 

Hoffmanns Erzählungen

Politshow Bildungsmesse: Konfrontationen zwischen Politik und Studierenden in Ungarn

Am Montag unterschrieb die Studentenvertretung HÖOK eine Teilvereinbarung mit dem Minister für “Humanressourcen”. Außerhalb des Verhandlungstisches wächst die Unruhe und die Angst der Studenten, dass alles nur ein Scheinfrieden und ein Bluff sein könnte, die HÖOK sich womöglich einwickeln lässt. Bei der Bildungsmesse "EDUCATIO" stießen beide Seiten, ja Welten, aufeinander: hier die Arroganz der Macht, dort die nackte Zukunftsangst. Wir waren mittendrin...

Themenseite: Bildungsreform und Studentenproteste

Minister Zoltán Balog und Bildungsstaatssekretärin Rózsa Hoffmann.

Am vergangenen Freitag fand auf dem Budapester Expo Gelände die jährliche Bildungs- und Weiterbildungsmesse "EDUCACIO" statt, die in diesem Jahr durch die Hochschul- wie die Schulreform besondere Brisanz bekam. Ungarische Hochschulen und Universitäten stellten sich hier den angehenden Studierenden vor, ein Akt der Selbstvermarktung, der aufgrund der drohenden Mittel- und Studienplatzkürzungen vor allem für diejenigen Hochschulen zum Überlebenskampf wird, die "nationalwirtschaftlich nicht relevante" Studiengänge anbieten und damit von der Regierung dem freien Markt, also ggf. auch dem Untergang preisgegeben werden.

Die offiziell von der Regierung anerkannte Studentenvertretung HÖOK war mit einem Stand vertreten, auch die unabhängige Studentenvereinigung HaHa (Hallgatói Halózat) schaffte es, sich bemerkbar zu machen, obwohl ihr die finanziellen Mittel fehlen, um sich offiziell auf dieser Messe zu präsentieren. Das Bildungsministerium nutzte diese Bühne für eine ganztägige Konferenz, der registrierte Nutzer beiwohnen konnten. Den Auftakt der Veranstaltung bildeten der Minister für “Humanressourcen" Zoltán Balog, die Staatssekretärin für Bildung Rózsa Hoffmann (Foto) und Aranka Pintér Marekné, die Chefin der Schulverwaltung Klebelsberg mit einer Reihe Kurzvorträgen, welche die umfassende Bildungsreform in einem trügerisch positiven Licht widergaben. Diese Märchenstunde nahm eine kleine Gruppe von Studentenaktivisten zum Anlass, des Ministers Rede durch Zwischenrufe mithilfe eines Megaphones zu unterbrechen, was entsprechende Ordnungsrufe zur Folge hatte.

Anschließend füllte die Bildungsstaatssekretärin eine gute Stunde mit detailreichen Ausführung zum garantierten Erfolg der Bildungsreform. Hierbei hob sie die Rolle des ungarischen Pädagogen als Erzieher hervor, der seinen Schutzbefohlenen von den wichtigen Tugenden, vor allem die Heimatliebe nahe legen müsse, um deren späteren Verbleib im Lande zu sichern. Zum Untermalen ihrer These wählte sie ausgerechnet das Zitat einer Schülerin aus Csikszereda (in Rumänien). Die Studenten versuchten den Selbstdarstellungen ein Ende zu setzen, diesmal durch Handzeichen. Frau Hoffmann fragte trocken, ob die Fragen nicht bis Ende warten könnten. "Oder wir stimmen das Ganze demokratisch ab? Soll der Vortrag durch irgendeine Interaktion unterbrochen werden? Wer möchte, dass ich ungestört fortfahre, hebt die Hand." brav entschied das Publikum gegen eine Unterbrechung.

Natürlich nutzt die Opposition die Thematik für ihre Zwecke, hier die aktuelle Plakataktion der MSZP. Fidesz war vor 2010 gegen Studiengebühren angetreten, weil MSZP sie (teilweise) einführte. Nun tut sie das Gegenteil. - Die Studierenden müssen sich nun vorhalten lassen, sie würden sich für die “Hasskampagne” der Opposition einspannen lassen...

 

Studenten und Schüler müssen sich von Älteren belehren und beschimpfen lassen

Doch mit dem Ende des Vortrages stürmten die HaHa Aktivisten das Podium und versuchten ihren Stimmen Gehör zu verschaffen. Ein charismatischer Redner stellte sich direkt neben den wortführenden Organisator. Jener verwies die aufgebrachten Studenten auf die später stattfindende Pressekonferenz, wo Raum zur Klärung von Fragen geboten wird. Die Aussage sorgte für noch mehr Empörung, da den HaHa Mitgliedern zu dieser natürlich kein Zugang gewährt wurde. Aus dem Hintergrund nähert sich Marekné, grinst spöttisch, zückt ihr Handy und guckt amüsiert dem Geschehen zu.

Das Publikum reagiert mit Zwischenrufen, die die jungen Aktivisten zur Ruhe bringen sollen. Eine Dame in einem auffallend grünem Blazer richtet sich direkt an den Wortführer, Daniel Prinz: "Müsstest du nicht in der Uni sein? Geh lernen. Du bist unreif, sehr unreif. Was hast du für dieses Land getan?" Die entrüsteten Aktivisten versuchen verzweifelt die Dame zu übertönen, manch einer vergreift sich im Eifer des Gefechts im Ton. Prinz steht inzwischen vor den laufenden Kameras, um wenigstens der Außenwelt die Wahrheit zu vermitteln.

Ein älterer Herr tritt zu Dániel Prinz und scheint offenbar die Fassung verloren zu haben: "Pass auf, Kleiner, wir sind hier um den Vertretern des Landes zu zu hören. Keiner interessiert sich für euer Gerede. Ich bin der Meinung, dass du schön nach Hause gehen und deinem Vater links und rechts eine runterhauen solltest, dafür, dass er es nicht geschafft hat dich ordentlich zu erziehen."

Der Minister lädt zum Scheindialog

Blitzschnell weisen einige Sicherheitsmänner die Herrschaften auf ihre Plätze und Marekné beginnt immer noch spöttisch grinsend ihre Rede: "Liebe Zuhörer und angehende Politiker, ich freue mich sehr über ihr Interesse, aber wir sind hier auf einer Konferenz, keiner Podiumsdiskussion". Das, was sich in diesen wenigen Minuten abgespielt hat, ist ein Trauerspiel. Klarer hätte sich der gesellschaftliche Zwiespalt nicht widerspiegeln können. Es ist wohl kaum zu glauben, dass es Ungarn gibt, die lieber einer desorientierten Ministerin, deren Karriere ein interessanter politischer Gesinnungswechsel geebnet hat und so langsam den letzten Rest ihrer Glaubwürdigkeit verliert, zu hören, als den unmittelbar Betroffenen dieser Reform.

An der anschließenden, kurzen Pressekonferenz durften zwei Mitglieder der HaHa teilnehmen. Sie erhielten erstmalig die Chance von Angesicht zu Angesicht mit dem Ministern Balog und Hoffman zu sprechen. Die eloquente Fruzsina Márta Tóth wollte die Möglichkeit wahrnehmen, um auf ihre zahlreichen Fragen Antworten zu finden. Genehmigt wurde, wie üblich auf solchen Veranstaltungen, eine Frage. Aber Balog bot ihr einen Dialog  an, um den dringenden beidseitigen Gesprächsbedarf zu stillen. Tóth nahm dieses Angebot dankend an und fing den Minister im Anschluss ab.

Im Späteren erläuterte sie: "Der Minister zeigte sich beeindruckt, wie gut ich informiert war. Er hätte nicht erwartet, mit mir auf gleicher Augenhöhe gegenüber treten zu können." Ein weiterer Beweis für den mangelnden Respekt der Regierungsvertreter gegenüber den Studenten. Um ein möglichst wahrheitsgetreues Bild der aktuellen Situation abzugeben, hat die HaHa bewusst Pressevertreter der nicht regierungsnahen Presse (index, hvg) auf die Bildungskonferenz eingeladen. Ferner beläuft sich die derzeitige Aktivität der Studentenvereinigung auf eine ständig aktualisierte Facebook Präsenz , sowie Teilnahme und Organisation von Foren. Täglich sind etwa 100 Mitglieder aktiv, die sich in den verschiedenen Arbeitsgruppen: Recht, Propaganda und Kommunkation engagieren.

Es fehlt an Struktur und es fehlt an Unterstützung

Konkrete Pläne nach dem baldigen Ablauf eines Ultimatums haben auch sie noch nicht. Was der engagierten Studentenbewegung trotzdem fehlt: ist klare Struktur und ein großes Netz von ständigen Mitgliedern. Sie wollen sich allerdings in keinem hierarchischen System verstricken, wie die gesetzlich anerkannte HÖOK , sagt Daniel Prinz. Es ist schwer sich innerhalb der ungarischen Gesellschaft als anerkannte Bewegung zu etablieren, vor allem im Kreise der älteren Mittelschicht. Ihnen erscheinen das Auftreten und die Belange der "Kinder" als pubertär und kontraproduktiv. "Inmitten von Menschen, die eingeschüchtert auf ihren Beamtenposten sitzen und heilfroh sind ihrer Arbeit nachgehen zu können, wird es schwierig aktive Mitstreiter zu finden."

"Meine Eltern haben auch Angst. Es geht um ihre Existenz. Sie können nichts tun, aber wir können etwas verändern", meint Dániel G. Szabó ein weiterer Aktivist. "Wir hoffen, dass irgendwann sich die EU einschaltet und sieht, dass diese Regierung nur auf Lügen aufgebaut ist. Ich kann Rózsa Hoffmann zum Beispiel nicht ernst nehmen, sie lügt, sobald sie den Mund aufmacht. Der Studienvertrag verstößt außerdem gegen das geltende europäische Arbeitsrecht", empört sich Dániel Prinz. Die beiden jungen Erwachsenen, Dániel Prinz und Dániel G. Szabo sind verzweifelt und enttäuscht. "Ich habe sogar Fidesz gewählt. Aber ich weiß beim besten Willen nicht, welche Partei ich 2014 wählen soll..."

Immerhin schaffte es die HÖOK von der Straße mit dem Minister an einen Tisch, ein erster, wenn auch noch zu hinterfragender Kompromiss, wurde geschlossen, am 31. Januar wird erstmalig der Runde Tisch tagen. Das war vor 2 Monaten noch undenkbar, da campierte HÖOK-Chef Nagy (Foto, hier im aktuellen Interview) höchstpersönlich vor dem Parlament. Die HaHa schreibt diesen Fortschritt des Geschehens vor allem ihrem Engagment zu, denn sie haben die Massen auf die Straße bewegt. Aber leider schenkt ihnen die Regierung dafür zu wenig Anerkennung, das kurze Gespräch zwischen Tóth und Balog war vielleicht ein erster Schritt...

Zsófia Schmidt / red.

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Themenseite der Studentenproteste und Bildungsreform:
http://www.pesterlloyd.net/html/1250updatestudenten.html

 

 

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