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(c) Pester Lloyd / 10 - 2013   WIRTSCHAFT 04.03.2013

 

Linientreu

Neuer Wirtschaftsminister von Ungarn gibt sich bedeckt

Der neue Minister für Nationalwirtschaft (Wirtschaft und Finanzen), Mihály Varga, hat am Freitag erklärt, dass ihn seine erste Auslandsreise nach Deutschland führen wird, "unserem wichtigsten Geschätspartner". Ansonsten blieb der eigentlich als deutlich fähiger als sein Vorgänger eingeschätzte Varga Konkretes schuldig und sprach nur artig die Parolen seines Chefs nach. Der neue MNB-Chef Matolcsy fraß zwischenzeitlich Kreide.

In der Vorwoche sandte man bereits den Kommunikationsstaatssekretär, Ferenc Kumin, nach Berlin, der dort "allfällige Missverständnisse" durch "gute Nachrichten" hinsichtlich Wirtschaft und Verfassungsmäßigkeit geklärt haben will. Es gibt keine Anzeichen, dass die Regierung Merkel sich auf irgendwelche kritischen Debatten mit ihrer Schwesterpartei hinsichtlich der neuesten Attacke Orbáns auf das Verfassungsgericht oder die Gleichschaltung der Zentralbank einlassen mag. Kumin behauptete, dass nun auch die deutschen Medien besser verstehen würden, "was in Ungarn geschieht" und die Berichterstattung entsprechend eine andere Richtung nehmen werde. Varga wird weiter um Investitionen werben, dabei Daimler, Audi, Opel, Knorr als leuchtende Beispiele anführen und mit “strategischen Partnerschaften” werben.

Minister Varga machte bei einem Fernsehauftritt am Freitag klar, dass er der Orbán-Linie in seiner neuen, nominal machtvollen Position, bedingungslos folgen wird. Er wählte für das Statement, dass derzeit keinerlei Anpassungen am Budget 2013 notwendig seien, sogar die gleichen Worte wie sein Chef. Haushaltsexperten halten, wegen diverser, kaum vermeidbarer Ausfälle, Justierungen in Höhe von bis zu 1,5% des BIP für notwendig, um die Konvergenzkriterien, also u.a. max. 3% Defizit einzuhalten. Ausfälle ergeben sich aus falschen Wachstums- und Wechselkursprognosen der Regierung sowie Einbußen durch verspätete Einführung der Registrierkassen-Finanzamts-Kopplung und der E-Maut für LkW (auch wenn die Regierung hier behauptet, man habe alles im Griff).

Die BIP- und Defizitdaten als realistisch erscheinen zu lassen, ist jedoch noch in diesem Quartal wichtig, da von den aktualiserten Prognosen die EU-Kommission ihre Haltung zur erwünschten Einstellung des Defizitverfahrens abhängig macht. Diese Einstellung ist zwar politisch unter den EVP-Freunden längst abgemacht, ließe sich aber nur schlecht darstellen, wenn die Werte aus Budapest deutlich am Ziel vorbeischießen.

Varga vertritt, wie sein Vorgänger Matolcsy und Orbán sowieso, den Standpunkt, dass nicht die Budgetzahlen realitätsfern seien, sondern die Einschätzung der EU dazu. Er "hofft", dass man in Brüssel noch zu anderen Zahlen komme und "Ungarn aus dem Verfahren entlassen wird, ohne dass dafür zusätzliche Maßnahmen notwendig seien". Die Aussicht auf Wachstum solle als Versicherung für die EU genügen, so Varga. Allerdings wird eben jene Aussicht von EU, EBRD und anderen als gar nicht so rosig angesehen. Während die Regierung in Budapest nämlich von einem Wachstum von über 1 Prozent ausgeht, rechnen die meisten externen Analysten mit einer roten bis schwarzen Null.

Varga deutete an, dass die Umgestaltung der Politik der Zentralbank (MNB), die
von dem neuen Gouverneur Matolcsy, also dem nun ehemaligen Nationalwirtschaftsminister angestrebt wird, in konzertierter Aktion mit Varga angegangen wird. Beide sprachen - wieder unisono - davon, dass "die Banken" einen "größeren Anreiz für Wachstum" durch eine erhöhte Kreditvergabe bieten könnten, wofür man ihnen Nachlässe bei den Dauer-Sondersteuern einräumen würde. Varga schloss seinen Auftritt mit einer Kausalität, die bereits frappant an seinen Vorgänger erinnerte: das Wirtschaftswachstum von (stark aufgerundeten) 6% in den letzten beiden Jahren der ersten Fidesz-Regierung, ging damals auf das harmonische Verhältnis zwischen Regierung und Nationalbank zurück, so Varga. Nun sei diese Harmonie wieder hergestellt.

 

Was an Vargas Auftritt auffiel, was das gänzliche Fehlen von Ankündigungen wirklich wirtschaftsfördernder Maßnahmen, der enge Orbán-Berater, der als IWF-Chefverhandler überflüssig geworden war, kam über ein paar Gemeinplätze nicht hinaus. Als wirtschaftlicher Chefberater Oráns braucht er jedoch eigentlich keine Einarbeitungszeit und ihm müssten die Schwachstellen bekannt sein. Gerade im Bereich Mittelstandsförderung und aktiver Arbeitsmarktpolitik blieb diese Regierung bisher substantielle - und allgemein zugängliche - Maßnahmen schuldig, ganz abgesehen von der extremen sozialen Schieflage der straff ständischen Wirtschafts- und Steuerpolitik. Wie man angesichts der zeitgleich veröffentlichten, desaströsen Daten zur Investitionstätigkeit im Vorjahr das Wachstum einzig auf Hoffnung bauen will, bleibt eines der großen Gehemnisse der Orbánschen "Wirtschaftsstratgen".

Denkbar ist, wenn man das bisherige Wirken Vargas im Hintergrund hinzuzieht, dass er still und leise doch einige Korrekturen vornimmt, ohne dass diese als solche kommuniziert werden dürften. Sollte sich die Lage des Mittelstandes dadurch verbessern, wäre das immerhin ein Fortschritt. Varga weiß - im Gegensatz zu Matolcsy - um die bescheidenen Möglichkeiten einer “eigenständigen” ungarischen Wirtschaft, er weiß um die Abhängigkeit von den großen Partnern und ist auch eher geeignet mit ihnen zu verhandeln als sein Vorgänger. Es ist zwar nur ein kleines Zeichen, aber immerhin war Varga in der Lage, die letzten BIP-Zahlen von 2012 als “tragisch” zu kommentieren, für Matolcsy war nämlich sogar bei 1,7% Minus bzw. 2,4% Minus im 4. Quartal immer noch alles in Ordnung. Ob er daraus die richtigen Konsequenzen zieht, ist nicht die Frage, sondern, ob er die daraus resultierenden Schritte auch gegenüber Orbán durchsetzen kann, für den die Ideologie immer über der Pragmatik stand.

Interessanterweise ließ sich der neue MNB-Chef Matolcsy, der in den Monaten vor seiner Ernennung als Verfechter einer "kreativen Zentralbankpolitik" im Rahmen der "unorthodoxen Wirtschaftspolitik" auftrat, am Freitag mit der Aussage vernehmen, dass er ein ausgesprochener Anhänger einer "konservativen, vorsichtigen" Zentralbankpolitik sei. Ein Satz, der sicherlich auf die Beruhigung der skeptisch abwartenden Märkte gemünzt war, der jedoch angesichts der Verbaleskapaden und fachlich desaströsen Bilanz des Ministers kaum zu einer wirklichen Beruhigung bei Wirtschaftstreibenden, Investoren und am Finanzmarkt führen wird.

Einen Überblick über Wollen und Sein der ungarischen Wirtschaftspolitik

 

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