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(c) Pester Lloyd / 13 - 2013   NACHRICHTEN 29.03.2013

 

Bajnai, ruf die Soldaten zurück...

Vor Demo: Regierungspartei in Ungarn schürt Angst vor der Opposition
- UPDATE: Erste Verhaftungen

Die Regierungspartei Fidesz warnt in einer Pressekonferenz vor der Militanz der Opposition, bezeichnet Protestierende als “militante Vandalen” und Oppositionsgruppen als “Truppen”. Die politische Kommunikation in Ungarn geniert sich vor nichts mehr, auch nicht davor, Lüge und Dummheit in die Öffentlichkeit zu blasen. Aber dann meckern, wenn das Ausland lacht...

Hier gehts zum Demo-Ticker

UPDATE 30.03., 10:30 Uhr: Nächtliche Razzia im Sirály, Befragung über Demoteilnahme

Die NGO TASZ hat ihre Anwälte zum Schutz der “polizeilich vorgeführten” Jugendlichen in Stellung gebracht, eine erste Einschätzung von dort lautet: illegale Polizeimethoden.

UPDATE 14:30 Uhr:

Wie jetzt bekannt wurde, sind am Freitagmorgen zwei Aktivisten der Studentenbewegung HaHa verhaftet worden, ein Dritter wurde zu Hause bisher nicht angetroffen. Die Verhaftung steht im Zusammenhang mit der Demo am 7. März vor der Fidesz-Zentrale, den beiden Personen wurde Vandalismus vorgeworfen, sie bestreiten das. Nach einem Verhör und der erkennungsdienstlichen Behandlung konnten sie wieder gehen. Die Polizei beruft sich darauf, dass erst am 22.3. Ermittlungen eingeleitet wurden und daher erst jetzt die "Befragung" stattfinden konnte. Warum dies nicht über den üblichen Weg einer Ladung erfolgte, sondern per Verhaftung, dazu gab es keine Erklärung.

Dass diese Aktion drei Wochen nach den Ereignissen stattfindet, unmittelbar nach der alarmistischen Pressekonferenz des Fidesz und direkt vor der nächsten Demo, sind ein Zufall zu viel. Wenn Straftaten von einer Schwere begangen worden sind, die ein Aus-dem-Verkehr-Ziehen der entsprechenden Person rechtfertigen, dann nicht 3 Wochen nach der Tat. Am 7.3. wurde kurz ein Demonstrant verhaftet und - wie bei solchen Delikten wie Landfriedensbruch u.ä. üblich - nach einem kurzen Verhöhr auf freiem Fuß angezeigt. Die Aktion ist daher - ob auf Eigeninitiative der Polizei oder auf Anweisung von oben - als politisch motiviert zu bewerten und soll ein klares Zeichen aussenden, die Opposition diskreditieren sowie potentielle Teilnehmer der Demo am Samstag abschrecken. Parlamentspräsident Kövér kommentierte die Verhaftung damit, dass "deren Eltern bekannte Funktionäre des alten Systems" gewesen seien. Die Bemerkung zog er kurz später zurück.

Mittlerweile reagierte auch der von Fidesz angesprochene Bajnai: die Regierungspartei solle einmal belegen, wie hier junge Leute aufgehetzt werden. Viele Menschen in Ungarn seien besorgt wegen der "Abschaffung der Verfassungsmäßigkeit und des Angriffs der Zweidrittelmehrheit auf die Freiheit der Menschen" so der Kopf der Wahlallianz Gemeinsam 2014, der ein weiteres Mal eine Beteiligung an der Aktion vom 7.3. seitens seiner Bewegung verneinte. Er bezeichnete sowohl die PK (siehe unten) als auch das Vorgehen gegen die Studentenaktivisten als "finsterste Methoden aus der Kádár-Zeit", um die "Opposition zum Schweigen zu bringen." In einer Aussendung unterstrich er die o.g. Zweifel am rechtsstaatlichen  Vorgehen der Behörden und kündigte an, den Ombudsmann für Grundrechte, Máté Szabó einzuschalten.

Erstmeldung:

Wie berichtet, planen Bürgerrechtler und Aktivisten am Samstag, 30.03. vor der Fidesz-Zentrale in Budapest (Lendvay utca, 16.30 Uhr) eine Demo aus Anlass zum 25. Geburtstag der Partei und des Inkraftretens der 4. Verfassungsänderungen. Wie ebenfalls berichtet, gab es kürzlich bereits an gleicher Stelle eine kleine Demo, die von den "Opfern" zu einer regelrechten Staatsaffäre aufgeblasen wurde, mit teils bedenklichen Auswirkungen, bis hin zum illegalen Einsatz des Atniterrorkommandos und der Drohung der Gründung einer Partei-Schutzgarde.

Fidesz-Sprecher Máté Kocsis mit sorgenvoller Miene. Foto: fidesz.hu

Am Donnerstag hat die Regierungspartei nun extra eine Pressekonferenz abgehalten, deren Bericht unter dem Titel "Gordon Bajnai, ruf Deine Soldaten zurück!" auf der Webseite der Partei veröffentlicht wurde. Darin sagt Fidesz-Sprecher Máté Kocsis u.a., dass die meisten Ungarn ruhige Osterfeiertage verbringen wollen, während Bajnai (Ex-Premier und Chef der offenbar panisch gefürchteten Oppositionsallianz `Gemeinsam 2014`) "junge Leute aufhezt" um "erneut die Fidesz-Parteizentrale gewaltsam zu belagern" und das Bürogebäude als "Ziel für den politischen Kampf" ausgewählt wurde. "Es sind die gleichen Leute", die am 7. März "gewaltsam und illegal in das Hauptquartier des Fidesz eindrangen, Türe und Fenster zerstörten und die hier Arbeitenden bedrängten".

Der Running-Gag der politischen Satire in Ungarn: Der Nachrichtenreporter des Staatssenders M1 erlangte Berühmtheit als er von einer von mehreren Zenhtausend Menschen besuchten Oppositionsdemo Anfang 2012 vor einer leergefegten Straße berichtete (im Verkehr steckengeblieben...) Seitdem kommentiert der Mann unfreiwillig alle möglichen Ereignisse. Hier von der sog. Demo vor der Fidesz-Zentrale, die in Wirklichkeit nur eine “Feier zu Ehren der Verfassungsänderungen” ist.

Die Polizei untersuche noch "einige Taten von Vandalismus" und hat Ermittlungen gegen die Täter eingeleitet (Anm.: es kletterten einige junge Leute über den Zaun, zweifellos illegal, ansonsten passierte nichts, wie auch die Polizei bestätigte). "Es scheint so, dass Bajnai die Methoden militanter Garden anwendet." (Anmerkung: die Initiierung der damaligen Demo durch Bajnai ist eine reine Fidesz-Legende und Fidesz-Generalsekretär Kubatov hatte nach der Minidemo selbst die Gründung einer Parteigarde angeregt, aus welchem Umfeld er rekrutiert, ist hier nachzulesen.) Für die Militanz von G2014 führte Kocsis an, dass ja mit dem Szolidaritás-Chef Péter Kónya ein ehemaliger Offizier in den Reihen der Oppositionsgruppe sei, der bestens für solche Untergrundaktivitäten ausgebildet sei und der sich auch schon "antidemokratisch" geäußert habe. Bajnai müsse Kónya und seine "Truppen" zurückrufen und diese "militante Hasskampagne" beenden.

Da sind sie die aggressiven “Soldaten Bajnais”

 

Dieses besonders schrille Exempel der politischen Lüge, der dumpfen Propaganda und der dümmlichen Weinerlichkeit sowie pauschalen Kriminalisierung von Andersdenkenden ist keine Ausnahme, sondern die Regel der Polit-PR dieser Regierungspartei (vor allem verantwortet von Herrn Kocsis und - der noch dümmeren - Frau Selmeczi). Man geniert sich vor nichts mehr, Fakten spielen keine Rolle, “das Volk” wird im wahrsten Sinne des Wortes für dumm verkauft (und dann ärgert man sich laut darüber, dass die ganze Welt lacht...). Zwar sind die Aussendungen der Opposition, hier vor allem der MSZP, auch nicht gerade vom Genius geküsst und erschöpfen sich meist in simplifizierender "Die Regierung ist schlecht"-Rhetorik, doch Fidesz ist Sachen Propaganda bisher uneinholbar, übrigens auch in den Wahlumfragen, man scheint es also "richtig" zu machen.

Alles weitere zur Demo am Samstag

red. / cs.sz.

 

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