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(c) Pester Lloyd / 20 - 2013   POLITIK 19.05.2013

 

Immer auf die 12

Ungarn als Wahlkampfthema in Deutschland, Orbán antwortet und mehr

Deutschland solle die Kavallerie im Stall lassen, rät Premier Orbán in Reaktion auf ein Streitgespräch zwischen Kanzlerin Merkel und Herausforderer Steinbrück über Ungarn. Die Konflikte mit Brüssel sind Folge der Macht der Multis, die ihre Gewinne maximieren wollen, "der Rest", also Demokratie und Menschenrechte, nur vorgeschoben. Die "ganze Welt erkennt an, dass Ungarn es besser macht!", daher werde er so weitermachen, Brüssel verlangt dagegen "ständig, den Bürgern mehr Geld wegzunehmen". EP-Präsident Schulz vergaloppierte sich in einem Zeitungsinterview und die Deutschen schenken Ungarn "12 Punkte" beim Songcontest. Raten Sie mit, warum.

Illu aus dem Video “Kedvesem” (Liebling), dem ungarischen Songcontest-Beitrag von ByeAlex, das - natürlich - deutlich besser abschnitt - als die globalisiert-gleichgeschaltete Nullnummer der Deutschen. Wir wissen nicht so richtig warum, finden aber, dass die beiden irgendwie toll zu den hier besprochenen Themen passen...

Überzeugen oder zwingen? - Merkel, Steinbrück und die Kavallerie

Kanzlerin Angela Merkel, CDU und SPD-Herausforderer Peer Steinbrück haben auf einem WDR-Europaforum in Berlin am vergangenen Donnerstag über ihre Positionen zur ungarischen Regierung debattiert, die SPD glaubte wohl, die CDU bei dem Thema ein bisschen bloß stellen zu können, immerhin ist die Solidarität der Konservativen gegenüber Orbáns Ungarn längst in beiläufigen Kadavergehorsam umgeschlagen. Doch über Schlagwort-Propaganda kommt man bei solchen Foren nicht hinaus und daher brachte der Sozialdemokrat auch gleich einen Stimmrechtsentzug ins Gespräch, wenn andere Instrumentarien den Bestand der EU-Grundwerte in Ungarn nicht mehr garantieren können. Merkel möchte dagegen lieber weiter "Überzeugungsarbeit" leisten. "Dort, wo Gesetze oder die Verfassungsänderungen nicht im Einklang mit EU-Verträgen stehen, (müssen) eben auch Veränderungen vorgenommen werden". Sie habe schon mehrmals mit Ministerpräsident Viktor Orbán gesprochen, der ihr zugesagt habe, die EU-Kritik "ernst zu nehmen".

Steinbrück kritisierte diese aus seiner Sicht viel zu lasche Gangart. Er wundere sich, dass Orbán mit seiner Fidesz-Partei ebenso wie die CDU Mitglied in der Europäischen Volkspartei sei und die Bundeskanzlerin nicht mehr Druck mache. Mit Blick auf Artikel 7 des EU-Vertrages, der auch den Ausschluss eines Landes vorsieht (schreibt Reuters, was aber so nicht stimmt, höchstmögliche Sanktion ist der Stimmrechtsentzug, ein Ausschluss kann nur über völkerrechtliche Mechanismen abgewickelt werden), sagte er: "Mit Blick auf eine Entwicklung in Ungarn, die ich klar als antidemokratisch und auch als diskriminierend empfinde, würde ich eine solche Entwicklung nicht ausschließen wollen." zitiert ihn die Agentur Reuters.

Merkel sagte daraufhin (in Anspielung auf einen früheren Steinbrück-Sager zum Steuerstreit mit der Schweiz), man solle nicht immer die Kavallerie aussenden, sondern die Partner in Ungarn durch offene Worte auf den richtigen Weg bringen. Nach einem Ausschluss habe man keinen Einfluss mehr auf die innenpolitische Entwicklung. Die beiden haben eine Klasse Chance verpasst, Klartext zu reden. Denn der Vorschlag eines neuen Mechanismus` zur ständigen Kontrolle der Einhaltung der EU-Grundwerte nach Artikel 2 in allen Mitgliedsländern, hätte womöglich beider Zustimmung gefunden, zumal er schon längst - von einem Regierungsmitglied Merkels - auf den Tisch gelegt wurde. Siehe hier.

Premier Orbán ging auf das Streitgespräch der beiden deutschen Politiker am Freitag in seiner Radiosendung "180 Minuten" im Staatsfunk ein, in dem er sich von seinem Stichwortgeber (früher Journalist) die passende Frage stellen ließ, ob Ungarn nun mit dem Einmarsch der deutschen Kavallerie zu rechnen habe. "Die Deutschen haben in der Vergangenheit schonmal die Kavallerie nach Ungarn geschickt, in der Form von Panzern, wir bitten doch höflichst, dies nicht noch einmal zu tun. Es war damals schon keine gute Idee, es hat nicht funktioniert."

Menschenrechte und der andere Rest

Orbán wiederholte, dass seiner Auffassung nach die "momentanen Streitigkeiten zwischen Brüssel und Ungarn" aus "dem Lobbying internationaler Unternehmen resultieren, die Brüssel dazu benutzen wollen, die Regierung von Ungarn zur Rücknahme bestimmter Maßnahmen zu zwingen, wie der Bankensondersteuer, der Steuer für Multis und den Wohnnebenkosten." "Der ganze Rest, die politischen, menschenrechtlichen und sonstigen Sachen sind nur Ausreden". Auch der
Tavares-Report über den "Stand von Rechtsstaat und Demokratie in Ungarn" ist nur eine derartige Ablenkung, weil "unsere Wirtschaftspolitik die Interessen der großen, westlichen Unternehmen beeinträchtigt" hat. "Wie kann sich jemand darüber beklagen, dass wir Beschränkungen des Verfassungsgerichtes vornehmen würden, wenn andere EU-Länder nichtmal ein Verfassungsgericht haben".

Tavares-Bericht "untragbar", denn: Ungarn macht´s besser

Die EU solle, anstatt ideologische Kriege zu entfesseln, Doppelstandards anzuwenden und die "Kompetenzen ihrer Institutionen zu missbrauchen". In gleichem Sinne schrieb auch EU-Staatssekretärin Enikö Györi eine Antwort auf den Tavares-Bericht, der "natürlich" wie immer von Fehlern, Missinterpretationen, Vorurteilen nur so wimmelt und der als Gesprächsgrundlage daher "untragbar" sei. Orbán weiter: Europa solle sich an Ungarn lieber ein Beispiel nehmen: Die aktuellen BIP-Zahlen sind viel versprechend, alles liegt im Rahmen der Regierungsplanung. "Wir erleben das erste Jahr der Ernte", man habe "die europäische Krisenwelle 2012 erfolgreich abgewehrt", "die ganze Welt erkennt an, dass es Ungarn besser macht". "Ungarn machts besser" ist die aktuelle Überall-Losung der Orbán-Regierung.

Die kommt besonders gut, garniert man sie mit den aktuellsten Zahlen zur Staatsverschuldung, die nur wenige Stunden nach Orbáns Radioauftritt von der Nationalbank geschickt wurden: Ende März standen die Schulden in Summe bei 82,2% des BIP und damit exakt 3 Prozentpunkte über dem Wert von Ende 2012 und im kaufkraftbereinigten Wert auf einem neuen Allzeithoch. Versprochen hatte Orbán genau die gegenläufige Entwicklung und er wird nur schwer belegen können, dass der Forintabsturz, der allein seit Januar allein 1,6 Mrd. EUR an der Neuverschuldung ausmachte, so gar nichts mit seiner Politik und nur etwas mit der Eurokrise zu tun hat (er wird es trotzdem so erklären). Auch die Neuaufnahme von Krediten schlug mit 1,7 Mrd. EUR zu Buche und war nötig, weil man das praktisch zinsfreie IWF-Geld als erpresserische Darlehen schnöde zurückwies.

"Brüssel verlangt ständig, den Bürgern mehr Geld wegzunehmen"

Wie verhindert man weitere Budgetengpässe oder Neuverschuldung? Nach propagandistisch bewährtem, gesamtökonomisch eher grob fahrlässigem Muster: "Ich werde die Möglichkeit von Steuererhöhungen für Banken und Multis oder die Anhebung der Transaktionssteuer nicht ausschließen" (lies: sollte die EU weiter auf ihren "falschen" Annahmen beim EDP bestehen) Sparpakete sind mit ihm hingegen nicht zu machen (vor einer Woche gab es das letzte, hieß nur anders), die "Rentenerhöhungspläne" werden fortgeführt, außerdem wird es weitere Reduzierungen der Wohnnebenkosten geben, eine Anhebung der Einkommenssteuer (16% auf alles, entlastet werden dadurch nur die Besserverdiener, siehe hier) wird mit ihm nicht zu machen sein, auch wenn "Brüssel ständig verlangt, den Bürgern mehr Geld wegzunehmen", behauptete Orbán auf Kossuth Rádió.

Embedded Teachers und verbilligte Schornsteinfeger

Weitere Ankündigungen Orbáns in dem Radiomonolog waren:
- Gehaltserhöhungen für Lehrer
"eingebettet" in ein "Karrieremodell binnen der nächsten 12 Monate (sollten eigentlich nur bis Herbst aufgeschoben werden)
- Start eines "demographischen Wachstumsprogrammes", das sicherstellen soll, dass "die Bevölkerungszahl binnen der nächsten 25-30 Jahre zunimmt" (
hier mehr zum Anwurf der Gebärmaschinere)
- die Trafiklizenzvergaben sind in Ordnung, hier wird gar nichts zurückgenommen,
alle Vorwürfe sind politisch motiviert, im übrigen, wenn er wollte, so Orbán, könne er tatsächlich dafür sorgen, dass nicht ein einziger Linker eine Tabakhandelslizenz in Ungarn bekommt... Es sei aber Blödsinn, generell alle Bewerber mit politischem Hintergrund auszuschließen, dann blieben ja gar keine mehr übrig.
- Schornsteinfeger-Gebühren werden fast halbiert, in Budapest um 44%, das Abpumpen von Abwasser wird ab 31.1.2014 um 10% verbilligt

Schulz lag voll daneben, traf aber trotzdem

Für Aufgeregtheit auf Seiten der ungarischen Regierung und ihr folgender Medien sorgte am Freitag ein Interview des (deutschen) Europaparlamentspräsidenten Martin Schulz mit der belgischen Zeitung Metro, in der u.a. ein Satz mit der Aussage publiziert wurde, dass Ungarn Juden registrieren wolle. Regierungssprecher, Außenministerium etc. waren außer sich und drückten ihre höchstmögliche Empörung aus, forderten Richtigstellung und Entschuldigung für diese "pauschale Beleidigung einer ganzen Nation". Sollte Schulz das so gesagt haben, lag er natürlich daneben, denn lediglich die neonazistische Jobbik stellte mehrmals diese Forderung, nicht die Regierungsseite und schon gar nicht "Ungarn". Schulz ließ am Samstag über einen Sprecher mitteilen, dass das Zitat nicht mit seinen getätigten Äußerungen übereinstimmt und die Zeitung zu einer Richtigstellung aufgefordert werde. Eine Entschuldigung wäre dennoch eine Selbstverständlichkeit, denn Schulz hat einen Stab, der in der Lage sein muss, solche Ausrutscher zu verhindern.

Der überlaute Aufschrei aus Budapest kann jedoch den durchaus existierenden Antisemitismus in der Regierungspartei Orbáns nicht wirklich übertönen. Vielleicht sollte sich Schulz auf solche Interviews einfach besser vorbereiten (lassen). Orbán hat sich bis heute weder zu den hochrangigen und amtlichen Fällen Kövér/Nyirö, Balog/Szaniszló & Co. sowie seinem rassistischen Freund Bayer geäußert (siehe unter vorherigem Link) oder von irgendetwas davon distanziert. Solange dies so bleibt, ist seine wiederholte Behauptung einer "Null-Toleranz-Politik" gegenüber Antisemitismus eine glatte Lüge. Schulz traf also, auch wenn er daneben lag, voll auf die Zwölf.

Hungary: 12 points

 

Apropos 12. Am Samstagabend erhielt Ungarn von den deutschen Zusehern des Eurovision Song Contest in Malmö die höchste Punktzahl, 12. Dies lässt folgende Schlüsse zu:
1. die deutschen haben Geschmack (unwahrscheinlich), 2. sie wurden von dem schwer auftaktigen, einlullenden ungarischen Singsang hypnotisiert, 3. sie wollten einen Song Contest in Budapest 2014 erzwingen, um - wie beim WJC - Orbán durch die Manege zu treiben (Regierungsversionsvorschlag B), 4. die ung. Botschaft in Berlin hat die Telekom gehackt, 5. die deutsche SchlagerSchwulengemeinde fand ByeAlex einfach süß (worst case scenario für die Regierung) 5. das kluge deutsche Volk hat die Abwegigkeit jeglicher Kritik an der Orbánschen Politik durchschaut und drückt mit den 12 Punkten seine Solidarität mit der nationalen Revolution im Karpatenbecken aus (Regierungsversionsvorschlag A und daher am wahrscheinlichsten).

red. / cs.sz. / a.l. / m.s.

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