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(c) Pester Lloyd / 24 - 2013   POLITIK 12.06.2013

 

Das Beispiel Gyöngöyspata

NGO in Ungarn klagt gegen Kumpanei von Behörden und Neonazis

Zwei Jahre nach den rassistischen Aufmärschen in Gyöngyöspata beginnt am 13. Juni vor einem Gericht in Eger, Komitat Heves, eine teilweise juristische Aufarbeitung. Doch stehen nicht die Nazibanden vor dem Richter, die wochenlang die Polizeigewalt in dem Ort übernahmen, das Romaviertel abriegelten und die Anwohner terrorisierten, sondern die Polizei selbst ist es, die von der Bürgerrechtsorganisation TASZ vor Gericht gebracht wurde und zwar wegen des Vorwurfs der Diskriminierung aus rassischen Motiven sowie daraus folgenden Taten wie unterlassene Hilfeleistung. Der Prozess beleutet auch Fragen der politischen Verantwortlichkeit.


Gyöngyöspata 2011: Die Bürgerwehr “zur besseren Zukunft” riegelt das Romaghetto ab,
die Polizei beobachtet aus einer Nebenstraße.

TASZ, eine Hilfsorganisation, die sich seit Jahren sehr kompetent und vor Ort um die Belange rechtlicher und behördlicher Gleichstellung von Roma kümmert, begründet die Klage damit, dass die lokale Polizei im Vorfeld der Ereignisse über Wochen besonders streng und selektiv nach ethnischer Herkunft Befragungen und zum Teil entwürdigende Kontrollen in Gyöngöyspata vornahm, die nicht allein mit den Anforderungen der Polizeiarbeit aus einer gewachsenen Kriminalität in dem Ort resultierte. Bereits die Polizei hatte in dem Ort eine Art Terrorregime errichtet, so wurden für geringfügige Vergehen im Straßenverkehr horrende Strafen gegen Roma verhängt, u.a. wurde eine Frau mit mehreren Hundert Euro Buße belegt, die ihren Kinderwagen auf der Straße schob, weil der Bürgersteig zu klein dafür war bzw. abschnittsweise gar nicht vorhanden. Es wurden reihenweise Platzverbote und "Hausarreste" verfügt, die Bewegungsfreiheit eingeschränkt, die Privatsphäre ohne richterliche Anordnung verletzt. TASZ erkennt hierin eindeutig Diskriminierung aus rassistischen Motiven. Die Menschen wurden systematisch entrechtet, entwürdigt und sollten letztlich aus dem Ort vertrieben werden.

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Mehr zum Thema

Das Musterdorf
(Links zu den Ereignissen 2011)
Ungarn und die "Lösung des Zigeunerproblems" - Ortstermin in Gyöngyöspata
http://www.pesterlloyd.net/2011_46/46gyongyospataReportage/46gyongyospatareportage.html

Dokument der Schande
Der Kallai-Bericht belegt amtlichen Rassismus in Ungarn
http://www.pesterlloyd.net/2012_05/05kallaibericht/05kallaibericht.html

Dass es auch anders geht, ist hier bewiesen: Der Best-practice-Zigeuner
Wie ein Roma als Bürgermeister in Ungarn seinen Ort umkrempelt
http://www.pesterlloyd.net/html/1320bestpracticezigeuner.html

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Als dann kurz vor Ostern 2011 die "Bürgerwehren" einmarschierten, zog sich die Polizei auf eine reine Beobachterfunktion zurück und überließ ihre hoheitlichen Aufgaben und das staatliche Gewaltmonopol dafür nicht legitimierten Leuten, mit offen rassistischen Beweggründen. Die von diesen begangenen Straftaten wurden nicht geahndet, die beeinträchtigten Bürgerrechte nicht wiederhergestellt. Die Polizei verhielt sich "offen empathisch" für die Nazibanden, so der Kläger. Erst nach Wochen des Terrors, wachsender medialer Aufmerksamkeit und der Tätigkeit von NGO´s schritt die Polizei, auf Anweisung des Innenministers, ein und stellte die äußere Ordnung wieder her. Zwischenzeitlich wurden über 150 Roma des Ortes durch Hilfsorganisationen evauiert, weil durch eine angekündigte "Wehrsportübung" die Gefahr von direkten Angriffen auf Leib und Leben bestand.

Die Praxis der diskriminierenden Behandlung aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit hielt im Ort auch nach der Entfernung der "Garden" an und verfestigte sich mit der anschließenen Übernahme des Bürgermeisteramtes durch einen Politiker der neonazistischen Jobbik-Partei. Auch die Art und Weise der Umsetzung der Kommunalen Beschäftigungsprogramme belegt diesen mittlerweile amtlichen Rassismus.

Der damals für die Romaintegration zuständige (heute) Minister Balog sowie der Paralmentsausschuss, der sich mit einer Aufarbeitung befassen sollte, gaben die Schuld an der Eskalation den NGOs, denn ohne ihre Anwesenheit hätte es nie so ein Aufsehen darum gegeben, auch "fremde Mächte" wurden als Schuldige angerufen, weil einer der Helfer und Geldgeber der Evakuierung ein amerikanischer Immobilieninvestor war. Es wurden sogar die Geheimdienste bemüht, herauszufinden, wer Ungarns Ruf derart zu beschädigen gedachte. Es hat sich - nicht nur in diesem Ort - herausgestellt, dass die Regierung nicht die diskriminierenden Zustände, die Kumpanei von Behörden und Neonazis, ihre verfehlte Politik als Problem ansieht, sondern die Veröffentlichung dieser Umstände und damit eine Schuldumkehr betreibt.

 

Die Klage der Bürgerrechtsgruppe TASZ wird daher nicht nur die diskriminatorischen Vergehen der Polizei selbst ahnden, sondern auch die wirklichen Verantwortlichkeiten und Ursache-Wirkung-Kausalitäten benennen. Die Zustände in Gyöngyöspata, die so ähnlich in vielen anderen Gemeinden auch herrschten und herrschen und auch ihre Aufarbeitung durch übergeordnete Stellen sind vor allem das Ergebnis einer verfehlten und in sich ebenfalls diskriminierenden Politik und Pseudomaßnahmen, die bis heute ihre Fortsetzung finden. So gab Gyöngyöspata z.B. den Anlass für ein Gesetz, das uniformierte Aufmärsche in bewohnten Gegenden strikt verbietet, das aber bis heute keinerlei Anwendung fand. Es ist immer das gleiche Schema: offiziell also tut die Regierung "alles gegen Diskriminierung und Rassismus", doch in der Praxis duldet sie nazistische Aufmärsche als Ventil und bezieht durch ihre eigene Law-and-Order-Politik die Sympathisanten der Jobbik in ihr wahltaktisches Kalkül mit ein.
 
Die erste Anhörung in Eger findet am 13.6. um 13 Uhr statt.

red.

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