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(c) Pester Lloyd / 44 - 2013   WIRTSCHAFT   29.10.2013

 

Aneignung statt Regulierung

Forex-Zwangsumtausch in Ungarn als weiterer Schritt zur Nationalisierung des Finanzmarktes - UPDATE

Der Vorschlag der Vereinigung der Geschäftsbanken in Ungarn zur "Eliminierung" der Forex-Kredite wurde von der Regierung abgelehnt. Sie will nun das toxische Produkt “eliminieren” und die "Bürden" für Staat, Schuldner und Banken "gerecht verteilen", sprich: die Banken sollen den geplanten Zwangsumtausch selbst bezahlen. Damit soll eine soziale Zeitbombe entschärft und die “Nationalisierung” des Finanzmarktes im Sinne einer Aneignung forciert werden.

Das Gesprächsangebot der Regierung, das die Banken nicht ablehnen konnten, ist ein Zugeständnis an den Forintkurs und die Einsicht gewesen, dass es ganz ohne Banken doch (noch) nicht geht. Allerdings werde man, so der Vorschlag der Bankenvereinigung nicht "ausreichend" die Bedürfnisse des Gesetzgebers spiegelt, eine "eigene, radikale Lösung" vorlegen. Finanzminister Varga und Fidesz-Fraktionschef Rogán wechselten sich in den vergangenen Wochen zum Thema als "guter Bulle" und "böser Bulle" ab. Allen war klar, die “Konsultation” der Banken war wieder nur eine Show.

Wirtschafts- und Finanzminister Mihály Varga am Montag vor der Presse.

Seit Montagabend ist es offiziell: die Banken können sich ihren eigenen Vorschlag weitgehend in die ohnehin schon gelgeglätteten Haare schmieren, denn die Regierung hat längst entschieden, wie es laufen soll. Finanzminister Varga befand den Vorschlag der Bankenvereinigung dann als nicht ausreichend. Die Regierung wird nun selbst einen Gesetzesentwurf formulieren und setzt als Minimalziel: die monatliche Belastung für Forex-Kreditschuldner soll 2014 um 15-20% gesenkt werden, die Forex-Kredite selbst in den kommenden 3-5 Jahren "auslaufen", also schrittweise, zu einem gesetzlich festgelegten Forintkurs und einem gedeckelten Zinssatz in einen Forintkredit umgewandelt werden, wobei die Wertdifferenz von den Banken abzuschreiben ist. Womöglich kann ein Teil davon auf die Bankensondersteuer gut geschrieben werden. Die MNB würde sogar die Devisenreserven abzapfen, um den Banken beim Umtausch kostengünstige Angebote zu machen.

Unklar ist noch, ob alle Forex-Schuldner in dieses Schema gelangen oder ob nur die Forex-Hypothekenkredite für Wohnraum zum Eigenbedarf für diese Aktion vorgesehen sind. Die Zahlen, die Varga in den Raum stellte, lassen auf Letzteres schließen, wonach er von 750.000 Betroffenen sprach, was ungefähr der Zahl der Hypothekenkredite in Fremdwährungen entspricht.

Am Ende, so die Maßgabe, sollen die Forex-Kreditnehmer nicht besser oder schlechter gestellt sein als jene, die zur gleichen Zeit Forintkredite aufgenommen haben, heißt es im Finanzministerium. Das ist insofern keine so schöne Aussicht, da die Raten der Forint-Schuldner zwar nicht am Währungsrisiko hingen, dafür aber zweistellige Zinsraten, effektiv nicht selten mit einer 2 davor hatten, was ja auch ein Grund war, warum die Konsumenten und Kleinunternehmen in Massen in den Franken flohen. Das und der Drang nach einem vermeintlichen Wohlstand in Konsum. Nichtsdestotrotz ist der soziale Sprengstoff, der aus der überbordenden Verschuldung von Millionen Bürgern resultiert, hochexplosiv, er gefährdet auch den Nimbus der Orbán-Regierung als Volksversteher und -tribun. Daher soll eine Lösung her, die möglichst das Notwendige mit dem Nützlichen verschmilzt.

Aktivisten der Forex-Schuldnerbewegung werden von Polizisten von einer Bank ferngehalten. Andere campieren vor Orbáns Wohnhaus oder verfolgen Bankmanager, auch Straßenblokaden mit Ausschreitzungen gab es bereits. Die Proteste sind gegen Banken und Regierung gleichermaßen gerichtet und haben nationalistische bis antisemitische Untertöne, rechte Gruppen infiltirierten die Bewegung.

Finanz- und Wirtschaftsminister Varga resümierte, dass die Banken jeden "Konsens" ablehnten, sobald "er sie auch nur einen einzigen Forint" kostet, daher gehe man nun - wie gesagt noch vor Ablauf des Ultimatums - diesen Weg. Man muss nicht viel Mitleid mit den Banken entwickeln, um doch zu sehen, dass sie bei ihren zusätzlichen Belastungen längst nicht mehr in einzelnen Forint rechnen. Gleichzeitig soll gesetzlich abgesichert werden, dass "Forex-Kredite" als "Finanzprodukt in Ungarn eliminiert und dauerhaft verboten" werden. Damit wird man - wieder einmal - in Konflikt mit dem Gebot des freien Kapitalflusses in der EU geraten, zumal es den Kreditnehmer in keiner Weise vor den Schandtaten der Banker bewahrt, die nämlich auch bei Produkten mit der einheimischen Währung genug Fantasie und Verwirrungstechniken an den Tag legen, um dem Schuldner überraschende Bilanzen präsentieren zu können.

Die Abschreibungen fauler Kredite und die Sonderbesteuerung haben viele ausländische Banken bereits zum inneren Aufgeben des Marktes Ungarn bewegt, der sich in einigen Jahren - bei Beibehaltung der Politik - zum Rückzug einer handvoll heute noch maßgeblicher Institute steigern wird. Eine Zusatzbelastung von bis zu 10% der Bilanzsumme durch die Umstellung halten einige Insitute nicht aus. Das ist im Sinne der
Nationalisierungsbestrebungen der Orbán-Regierung auf dem Finanzsektor, ob es im Sinne einer prosperierenden Wirtschaft, die nun einmal auch auf Fremdkapital, das nicht durch die Regierung gefiltert und zugeteilt wird, angewiesen ist, sein wird, darf als fraglich gelten.

 

Ein autarkes Finanzsystem mitten im globalisierten Europa ist eine weitere Illusion Orbánscher Wirtschaftsversprechen, die nur für eine protegierte Minderheit in Ungarn - eine Weile - Profit versprechen dürfte. Es geht ihm nicht um die dringend notwendige Regulierung, die das System der Finanzmärkte in den Dienst der Allgemeinheit stellt, sondern es geht ihm um Aneignung zum Ausbau seiner Machtposition. Deshalb ist jeder Jubel über den "unorthodoxen" Weg Orbáns, wie er von Euro-Hassern, eindimensionierten Globalisierungskritikern, Verschwörungshteoretikern und Sympathisanten "starker Hände" Orbán zu Teil wird, fachlich unbegründbar, denn die Lasten der normalen Bürger werden durch ihn auch nicht einen Deut leichter.

Zum Thema:

Finanzieller Amoklauf + ökonomische Irrfahrt
Was tun gegen die Massenverschuldung der Bürger in Ungarn?
http://www.pesterlloyd.net/html/1326finanzielleramoklauf.html

Schuldneraktivisten in Ungarn treten in Hungerstreik, Politik und Banken feilschen weiter um Kosten eines kommenden Forex-Zwangsumtausches
http://www.pesterlloyd.net/html/1336hungerstreikforex.html

cs.sz.

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