THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

Das Pester Lloyd Archiv ab 1854

 

Hauptmenü

 

 

 

Effizient werben im
Pester Lloyd!
Mehr.

 

(c) Pester Lloyd / 04 - 2014 MEDIEN 24.01.2014

 

Die “Volksfreiheit” verkauft!

Österreichischer Finanzinvestor übernimmt wichtigste Oppositionszeitung in Ungarn

Heftige Bewegung auf dem ungarischen Zeitungsmarkt: Der Finanzinvestor Vienna Capital Partners übernimmt drei landesweite und acht regionale Tageszeitungen sowie einige Magazine aus dem Ungarn-Portfolio der Medienkonzerne Springer und Ringier. Mit der Népszabadság erwirbt man die größte klassische Tageszeitung des Landes und gleichzeitig das Flagschiff der oppositionellen Presse. Wie es mit den teils traditionsreichen Titeln weitergeht, ist - trotz warmer Worter der Investoren - völlig offen.

Während das Schicksal der linksliberalen Népszabadság, früher Zentralorgan, dann Flagschiff der freien Qualitätspresse im Nachwendeungarn, heute führende Oppositionszeitung am - politisch wie ökonomisch - seidenen Faden hängt, könnten andere Titel zu “Profit Centers” werden. Die Világgazdaság gilt als die renommierteste Wirtschaftstageszeitung des Landes, Nemzeti Sport wiederum, bedient, gerade 111 Jahre alt geworden, als landesweite Sportzeitung einen Massenmarkt. Die acht Regionalzeitungen sind in ihrer jeweiligen Gegend Marktführer, manchmal sogar Quasi-Monopolist. Mit im Einkaufskorb sind das Starlet-Magazin Hot!, Lakáskultúra (Wohnkultur) und Fanny sowie das Online-Gastroportal mindmegette.hu In Summe verkaufen alle Titel am Tag etwa 230.000 Exemplare, 700 direkte Arbeitsplätze hängen daran.

Der Investor, das in Wien ansässige Unternehmen “Vienna Capital Partners”, hat angekündigt, das Zeitungsportfolio "effizienter, interessanter und profitabler" machen zu wollen. VCP Senior Partner Heinrich Pecina wollte keinen Preis für die Übernahme der Titel nennen. Er sagte aber, dass seine "Investitions- und Beratungsunternehmung" "seine Anstrengungen darauf richten werde, den politisch und wirtschaftlich unabhängigen Journalismus in Ungarn zu verbessern" und man "in Journalismus investieren wolle". Hinsichtlich der Népszabadság wolle man die "Traditionen" der Zeitung beachten, auf ihnen aufbauen und mit dem Minderheitseigentümer (Freie Presse Stiftung, eine MSZP-Beteiligung) kooperieren. Mit dem Deal wechselt auch der derzeitige Generaldirektor von Ringier Ungarn zu VCP und wird dort der neue Chef für die Medienbeteiligungen.

 

Für Springer und Ringier sind die Verkäufe "notwendig", um die wettbewerbs- bzw. medienbehördliche Genehmigung zur Zusammenlegung ihrer sonstigen Ungarn-Beteiligungen in eine Ost-Holding zu bekommen, die ihnen 2011 wegen zu starker Marktkonzentration vom Medienrat bzw. dem ihm untergeordneten Aufsichtsgremium NMHH verweigert wurde. Die Ost-Holding wiederum, die längst nicht nur erfogreiche Geschäftsbereiche bündelt, wird womöglich veräußert, für Partner aufgehübscht oder sogar für einen Börsengang vorbereitet. Auch der Deal der Vienna Capital Partners in Ungarn muss sowohl von Medienrat wie Wettbewerbsamt noch genehmigt werden.

Wie es mit den Zeitungen wirklich weitergeht, ist - trotz der freundlichen Worte des VCP-Teilhabers - völlig offen. Nach der Markt- und Unternehmenslogik sind Schließungen, Weiterverkäufe und / oder radikale Profiländerungen nicht nur denkbar, sondern sogar Voraussetzung um die Gewinnerwartungen der Investoren mittelfristig zu erfüllen. Vienna Capital Partners, ein sogenanntes Private Equity Unternehmen, befasst sich mit der Kapitalbeschaffung für, aber auch mit Direktbeteiligungen bei Unternehmen. Diese werden dann "beraten", also meist saniert, die Anteile später möglichst gewinnbringend weiterverkauft.

VCP ist u.a. auch an den ungarischen Unternehmen Borsdochem, früher auch bei TVK der FHB, einer großen Hypothekenbank, aber auch polnischen Gas- und kroatischen Reedereiunternehmen beteiligt. In Serbien cofinanzierte man das Springer-Boulevard-Blatt Blic.

red.

Was bedeutet der Deal für Népszabadság und Co.? Es ist nicht auszuschließen, dass die Népszabadság - so sie unter VPC nicht profitabel gemacht werden kann - irgendwann im Portfolio eines rechten Medienmagnaten landet und sich auch die sensiblen politischen Kräfteverhältnisse auf dem ungarischen Medienmarkt weiter verschieben. Verkaufsgespräche für eine Komplettübernahme durch den Minderheitseigner (eine MSZP-Stiftung) scheiterten mehrfach, der Elan der Eigentümer, den Laden rundum zu erneuern, erlahmte zusehends, die Auflagen schrumpften, der Quasi-Anzeigenbyokott der Orbán-Regierung führten zu Umsatzrückgängen im zweistelligen Bereich seit dem Machtwechsel. Ohne frisches Geld ist einigen der von VCP erworbenen Titel nicht mehr zu helfen, vor allem nicht dem Flagschiff der Qualitätstageszeitungen Ungarns.

Ein Finanzinvestor wird und kann die Pressefreiheit und -vielfalt auch nicht über den Profit stellen, zumal die Journalismus-Expertise in Östereich eher bescheiden ist. Dort versteht man gar Eigenartiges unter freien Medien: Kirchen- und Banken als Mehrheitseigner, ein offen europa- und ausländerfeindliches Hetzblatt als Marktführer, vor dem Boulevard kriechende und in in der Qualitätspresse anmaßende Politiker, vor allem: Klientelblätter quer durchs Spektrum, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Und dass österreichische Kapitalhäuser ein besonderes Fabel für das links-liberale Spektrum hätten, wäre auch eine historisch neue Erkenntnis. VCP tut uns also bitte den Gefallen, keine österreichischen “Medienberater” nach Ungarn zu exportieren. Danke.

Der Kauf ist eine Investition und kein Liebhaberprojekt und ein weiterer Beleg dafür, dass den großen ausländischen Medienkonzernen, ob sie nun Ringier, Springer oder ProSiebenSat1 oder WAZ heißen, die Pressefreiheit und -vielfalt in Ungarn oder überhaupt in Osteuropa weitgehend gleichgültig ist. m.s.

Kürzlich sorgte in Ungarn der
Verkauf des privaten TV-Senders TV2 der ProSiebenSat1-Gruppe für Wirbel in Ungarn. Das Management übernahm den Sender mit einem internen Kredit seitens ProSiebenSat1 und will die Hintermänner des Deals nicht nennen. Nun wird gemutmaßt, dass es sich dabei um Fidesz-nahe Kreise handelt, die den Kredit später mit den Einnahmen aus staatlichen und staatsnahen Werbeaufträgen refinanzieren.

Mehr zur ungarischen
Medienlandschaft im Feuilleton (rechte Spalte "Boulevard & Medien"), wie steht es um die Pressefreiheit im Orbán-Jahr 3?
 

red.

Der Pester Lloyd bittet Sie um Unterstützung.