THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

Das Pester Lloyd Archiv ab 1854

 

Hauptmenü

 

 

 

Effizient werben im
Pester Lloyd!
Mehr.

 

(c) Pester Lloyd / 07 - 2014   GESELLSCHAFT 11.02.2014

 

Heldenkult in Wehrmachtsuniform

Regierungsamtlicher Opfermythos am Beispiel des "ungarischen Stalingrads"

"Das Beispiel der 2. Ungarischen Armee zeigt, dass die körperliche Unterlegenheit und die Hilflosigkeit unserer Kameraden die mächigste Kraft für die Verbreitung der spirituellen und seelischen Kraft der ungarischen Menschen zu entfalten im Stande ist." Mit diesen - für Außenstehende schwer erklärungsbedürftigen - Worten beging der Parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Tamás Vargha, die öffentliche Ehrung für die "gefallenen Helden der Don-Schlacht" am 7. Februar in Sárospatak.

Unter der Teilnahme von "NGO´s", Kommunalvertretern und Traditionsverbänden, darunter solchen, die den Untergang der "2. Magyar Hadsereg" während der Winteroffensive der Roten Armee am Don 1942/43 in "lebendigen Schaubildern" nachstellen, wurde den "Helden" gedacht.

Der parlamentarische Staatssekretär des Verteidigungsministers, Vargha,
am Freitag in Sárospatak, neben ihm ein Vertreter eines “Traditionsvereins”

Der Festakt im nordostungarischen Sárospatak fand bezeichnenderweise an einem Soldatendenkmal für den Ersten Weltkrieg statt, das - so die Regierung wörtlich in ihrer Aussendung - "einen ungarischen Soldaten beim Werfen einer Handgranate verewigt" und damit ziemlich direkt die Botschaft transportiert, dass Ungarn im Zweiten Weltkrieg praktisch nur die Ungerechtigkeiten des Ersten bekämpfte, also im Recht und somit das Opfer war.

Die Traditionsvereine eskortierten das Geschehen in historischen ungarischen "Wehrmachts"-Uniformen. Spätestens an dieser Stelle würden in Deutschland - und manchmal auch in Österreich - Polizei und Staatsanwaltschaft einschreiten. In Ungarn ist es ein Staatsakt...

Nach einem gemeinsamen Gebet durch die "historischen Kirchen" (zu denen laut Verfassung auch das Judentum zählt, das aber aus unerfindlichen Gründen bei dem Festakt nicht anwesend war), legten die verschiedenen Delegationen Kränze und Blumengebinde nieder, übermittelt uns das Honvédelmi Minisztérium in einer Aussendung, die mit "Den Helden vom Don Tribut zollen" überschrieben ist.

Der Staatssekretär sprach lang und breit über das bewegende Vorbild, in tiefster Not für die Heimat einzustehen, verwischte aber die historischen Spuren bis zur Unkenntlichkeit. Mit keinem Wort erwähnte er den Horthy-Hitler-Pakt, der den Kriegseintritt Ungarns und damit u.a. auch die 2. Ungarische Armee zum Tribut des Landes für die Wiederbesetzung der Vor-Trianongebiete machte. Horthy hatte den Tod Zigtausender Soldaten und Bürger als Preis zum Erreichen territorialer Expansion billigend in Kauf genommen. An Horthys Händen klebt das Blut seiner Landsleute. Ein Fakt, der unter "nationalkonservativen" Geschichtsverstehern bis heute häufig noch ignoriert wird. Erst Recht von der Regierung.

Helden? Schlachtvieh, versandkostenfrei geliefert vom Reichsverweser...

Auch der Umstand, dass im Schlepptau dieser Armee zigtausende Zwangsarbeiter aus Ungarn, rund 50.000 Juden aus ländlichen Gebieten, aber auch "Andersdenkende" an die Front deportiert wurden und dort unter grauslichen Umständen zu Tode kamen, war dem Regierungsvertreter nur einen verallgemeinenden Nebensatz wert und das genau einen Tag, nach dem die ersten jüdischen Organisationen aus dem offiziellen Regierungsgedenken zum 70. Jahrestag des ungarischen Holocaust ausgestiegen waren. u.a. auch deshalb, weil sie sich die Deportationen unter Horthy von einem staatlichen Institutsleiter pardou nicht als "fremdenpolizeiliche Maßnahme" erklären lassen wollen.

Im übrigen wurde die 2. Armee damals von ihren deutschen Kameraden schmählich im Stich gelassen, die die Ungarn als Kanonenfutter zur Deckung des eigenen Rückzuges nutzten, wie sie stets ihre "Hilfstruppen" mit gröbster Verachtung behandelten. Über Feigheit und falsche Freunde sowie dumme Bündnisse, eigene Schuld, Obrigkeitshörigkeit, die Verantwortung der eigenen "Eliten" und so weiter, darüber hätte der Staatssekretär referieren können. Wollte er aber nicht. Sollte ja keine Lehrveranstaltung werden.

Natürlich kann man darüber spekulieren, was gewesen wäre, wenn... und welche realpolitischen Optionen des Heraushaltens Horthy gegenüber dem übermächtigen "Bündnispartner" überhaupt hatte. Dazu muss man aber zunächst akzeptieren, was gewesen ist und es auch so benennen. In Ungarn bietet man der Jugend dafür lieber "Soldatenlager" und Militärunterricht sowie den Pfeilkreuzler Nyirö und Blut-und-Boden-Proheten Wass als "Literatur" an. Das ist auch eine Möglichkeit. Eine, die irgendwann wieder in großem Jammer endet...

 

Die Forschung ermittelte, dass von den rund 200.000 ungarischen Soldaten am Don letztlich nur 40.000 lebend nach Ungarn zurückkehrten. Ca. 90.000 fielen in den Schlachten, die anderen starben in Gefangenenlagern oder auf den Märschen dorthin an Hunger, Krankheiten, Auszehrung, durch Hinrichtungen. Ungefähr 50.000 jüdische und andere Zwangsarbeiter kamen um, wenn nicht gleich bei der Zwangsarbeit am Ostwall oder während der Schlachtwirren am Don, dann später in Arbeitslagern und KZ´s in Deutschland und Polen. So viel zum Thema: Horthy hat selbst keine Juden deportiert...

Ein weiteres Beispiel geschichtsklitternden Revisionismus` der Orbán-Regierung? Ja, zumal in dieser penetranten Realitätsausblendung von neuer "Qualität". Das Phänomen Helden- und Opfermythen ist aber längst nicht eines der Orbán-Regierung, sondern ein Ohrwurm ungarischer Selbstbeweinung. Die Don-Heldenverehrung ist hier "common sense". Horthys Reinwaschung Staatsräson. Der "sozialistische" Verteidigungsminister
Imre Szekeres sprach 2010 ebenfalls vom "Heldentod" der Don-Soldaten und hatte kein Problem damit, dass das Traditionskabinett der Honvéd das "ungarische Stalingrad" in eine Reihe mit der Schlacht bei Mohács (verlorener Kampf gegen die Besetzung durch die Osmanen 1526) stellt. Hauptsache Ungarn bleibt immer das Opfer und Horthy bleibt rein. Am Don genauso wie beim Holocaust.

red. / ms.

Der Pester Lloyd bittet Sie um Unterstützung.