THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 07 - 2014   GESELLSCHAFT 09.02.2014

 

Getrenntes Gedenken

Das Holocaust-Gedenkjahr in Ungarn ist endgültig zur Farce verkommen. Auch der wichtigste jüdische Dachverband stieg aus.

Dem Boykott der offiziellen Feierlichkeiten zum Holocaust-Gedenkjahr der ungarischen Regierung durch eine Reihe jüdischer Organisationen schloss sich am Sonntag auch der Dachverband Mazsihisz an. Das war ein Wirkungstreffer. Orbáns Adjudant versuchte noch als Gedenkfeuerwehrmann zu retten, was nicht mehr zu retten war. Nun werden Opfer- und Täternachkommen der größten Tragödie des Landes getrennt gedenken. Ein neues Kapitel im alten Buch der politisch forcierten Entfremdung zwischen ungarischem Staat und ungarischen Juden wurde aufgeschlagen.

Die sonst um schnelle Reaktionen nie verlegene Regierungsmaschine ist ratlos. "Kanzleramtsminister" János Lázár eilte noch am 6. Februar, dem Tag der Absage seitens des Jüdischen Sommerfestivals, mehrerer Gemeinden und zwei wichtiger Synagogen zum turnusmäßigen Runden Tisch der jüdischen Dachverbände, um die Wogen zu glätten und vorzutasten, wie man den Schaden reparieren bzw. möglichst klein halten kann, ohne regierungsseitig das Gesicht vollständig zu verlieren. Doch das Rumgeeier dort konnte Niemanden mehr überzeugen.

Die Geduld ist zu Ende: Der Vorstand der Mazshisz sprach am Sonntag ein Machtwort

Man habe "ohne negative Gefühle", "konstruktiv und respektvoll" die offenen Punkte angesprochen, sagte Lázár im Anschluss und die Knackpunkte herausgearbeitet. Diese seien: 1.  die Äußerung von Veritas-Institutschef Szakály (Deportationen als fremdenpolizeiliche Maßnahme), 2. das neue Holocaust Gedenk- und Schulungszentrum in der Józsefstadt (Konzeption ohne Beteiligung der jüdischen Organisationen und anderen Opferverbände u.a. durch das oben genannte Veritas-Institut) sowie 3. das "geplante Denkmal zur deutschen Besetzung".

Er werde "Premier Orbán über die verschiedenen Meinungen" informieren, dieser wiederum "wird in der kommenden Woche auf die Bedenken der jüdischen Organisationen antworten". Orbán kehrt erst am 13.2. von einer China-Reise zurück...

Der Chef des wichtigsten Dachverbandes, MAZSIHISZ, András Heisler, begrüßte zwar, dass die Regierungsseite sich ihre Fragen angehört habe, alleredings habe man "wieder keine Antworten bekommen". Dabei habe "Lázár genaz genau verstanden, was wir meinen." Am Sonntag dann entschied die Generalsversammlung des Dachverbandes, dem rund zwei Dutzend Organisationen mit über 5000 Mitgliedern angehören: Wir machen nicht mit. Über Einzelprojekte wie das neue Holocaust-Zentrum könne man reden, aber aus dem Organisationskomitee und den offiziellen Feierlichkeiten ist man raus!

Die o.g. Probleme schwelten  bereits seit Wochen. Die Regierung wollte sie aussitzen. Das Denkmal hätte man längst stoppen (Gerüchte dazu gibt es) können, die Konzeptionierung des Gedenkzentrums endlich vorlegen und das Projektteam entsprechend erweitern können, den - durch Regierungsdekret ernannten - Veritas-Chef hätte man längst feuern müssen, Struktur, Trägerschaft und Ziele des Veritas-Institutes zur Disposition stellen sollen. Doch dazu bedarf es einer anderen als der in der Regierungspartei gängigen geschichtsrevisionistischen Einstellung zum Thema, die auch das Holocaust-Gedenkjahr für ihr politisch-ideologischen Ziele instrumentalisiert.

Herumgeeier am Runden Tisch. Orbán-Adjudant Lázár und ein Regierungssprecher
am Donnerstag zu Gast bei den jüdischen Verbänden...

Das "Krisenmanagement" der Regierung lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass man die historischen Deutungen und Umsetzung der Projekte im Rahmen des Holocaustgedenkjahres nicht aus den Händen geben, nur hier und da einige Zugeständnisse bei der Beteiligung - vor allem für das internationale Publikum - einräumen wollte. Lázár wörtlich: die "Regierung wünsche, das Gedenkjahr gemeinsam mit den jüdischen Organistationen des Landes" zu begehen, so als wäre das Gedenken an den Holocaust von vornherein ein Regierungsprojekt und nicht ureigenstes Anliegen der Betroffenen und ihrer Nachfahren. Lázár dekorierte diesen Funktionalismus einmal mehr mit den üblichen Lippenbekenntnissen zur Mitschuld ungarischer Täter und dass "man nicht leugnen könne, dass Deutschland und Ungarn zusammenarbeiteten. Beide waren für die Deportationen verantwortlich." Die "Verbrechen der Deutschen verringern nicht die Verbrechen der Ungarn, die darin involviert waren."

Ohne die Mitwirkung der jüdischen Organisationen sei das neue Holocaust-Gedenkzentrum (Haus der Schicksale) zudem "wertlos", so Lázár, der in seinen Aussagen nie auf den Kern des Problems kommt, das vor allem in der Anmaßung der Regierung, Geschichte definieren und Gedenken mit Dekreten lenken zu wollen, liegt.

Kritiker werfen der Regierung vor, dass auch in diesem Projekt ein "betreutes" Geschichtsbild entworfen werden soll, das "Schicksal" (war der Holocaust ein Schicksal?) der ungarischen Juden würde mit denen der Ungarndeutschen oder der Trianon-Ungarn in eine "Opferreihe" gestellt, die Täter wären in jedem Falle Deutsche, Russen, Siegermächte (ähnlich wie es das "Haus des Terrors" unter der sog. Historikern Schmidt bereits vollführt). Die Rolle Ungarns, vor allem der Horthy-Ära und dessen, was unter dem Reichsverweser geschehen ist, wird weitgehend ausgeblendet oder verharmlost, die ganze Epoche sträflich verbürgerlicht. Das ist auch deshalb notwendig, weil antisemitische Haltungen, revisionistischer Grundton und der Horthysche Ständestaat in der Regierungspartei nicht nur salonfähig, sondern auch praktische Politik sind. Man kann schwer verdammen, was man selbst für richtig hält.

Dazu muss man wissen, dass es in Budapest bereits seit Jahren ein Holocaust-Gedenkzentrum gibt, dessen wissenschaftliches Personal vor zwei Jahren auf Zuruf eines Fidesz-Staatssekretärs ausgetauscht worden ist, weil diesem die dargestellte Nähe Horthyscher Besatzungstruppen in der Vojvodina und Siebenbürgen mit Naziokkupanten nicht in den Kram passte.

Ihren Geschichtsrevisionismus hat diese Regierung bereits belegt, das hätten die ausländischen Botschafter, die der Regierung bei der Initiierung ihrer Gedenkshow zur Seite saßen (darunter Israel und Deutschland, aber auch der WJC), wissen und danach handeln müssen. Es gab ja keine Beteiligungspflicht. Nur eine “mangelnde Debatte” zu bedauern, wie es der deutsche Botschafter vor einigen Tagen tat oder vor “Geschichtsfälschung” zu warnen, ist zu spät und zu wenig. Unter nicht-diplomatischen Gegebenheiten könnte man es als peinlich und feige bezeichnen.

 

In den Vorjahren hatte die ungarische Regierung Konflikte mit den jüdischen Gemeinden und Organisationen meist über die Vergabe zusätzlicher Geldmittel gelöst, sich sozusagen freigekauft, was man anschließend noch als Beleg für die großartigen Beziehungen mit den Vertretern der Glaubensgemeinschaft verkaufte. Innerhalb der jüdischen Gemeinden führte diese Politik zu schweren Konflikten, die u.a. im Rücktritt des langjährigen Mazsihisz-Chefs mündeten. Die neue Riege fährt offenbar einen klareren Kurs.

Man darf gespannt sein, wie Lázár und Orbán die Sache diesmal wieder "zurechtbiegen" wollen, denn mit ein paar Millonen Forint hier und da dürfte es nicht mehr getan sein, schließlich hatten die Boykottierer bereits zugesagte Fördermittel abgewiesen. Dass ein grundsätzliche Umdenken einsetzt, kann als ausgeschlossen gelten. "Nichts hat sich geändert", heißt es auch in der Erklärung der MAZISHISZ zum Boykott der Regierungsshow. Ungarische Regierung und jüdische Gemeinde gehen - im Gedenken an die größte Tragödie Ungarns - getrennte Wege. Ein neues Kapitel der Entfremdung wurde aufgeschlagen.

red. / ms

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