THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 33 - 2014 NACHRICHTEN 16.08.2014

 

Das Vorzeigeopfer: Nobelpreisträger Kertész erhält höchste Auszeichnung von Ungarn

Der Orden des Heiligen Stephan, die höchste staatliche Auszeichnung Ungarns, soll am Nationalfeiertag des 20. August an den Literaturnobelpreisträger Imre Kertész verliehen werden. Was wie die würdige Ehrung eines Lebens und eines Lebenswerkes im Schatten des Holocaust´ an den ungarischen Juden aussehen soll, ist im Gebäude der Skandale um das offizielle Holocaust-Gedenkjahr der ultimative Schlussstein. Eine monströse Taktlosigkeit.

(UPDATE 18.8.: Regierungssprecher Bertalan Havasi bestätigte am Montag, dass Kertész am Mittwoch bei einer Zeremonier im Präsidentenpalast der “St. Stephans Orden” überreicht werden soll. Mit ihm wird auch Ernö Rubik, Erfinder des gleichnamigen, weltbekannten Würfels, geehrt werden. Die Auszeichnung gehe an “Persönlichkeiten mit unbestreitbarer, internationaler Bekanntheit, die Ungarns Reputation in der Welt erhöht haben.”)

"Imre Kertész wird der Holocaust-Clown der Regierung". Mit dieser trockenen und brutalen Einschätzung titelt der Kommentator des unabhängigen, führenden Newsportals index.hu die Information über die Auszeichnung, die sozusagen die Apotheose der Parade von Peinlichkeiten und Böswilligkeiten der Orbán-Regierung in ihrem Wahn, die Geschichte umzuschreiben, darstellt. Die linke Népszabdság befand schlicht: "Imre Kertész wird verstaatlicht."

 

Der von Premier Teleki im 19. Jahrhundert gestiftete “Königliche Heilige Stephans-Orden” wurde 1938 zum “Ungarisch königlichen...” und erst 2011 wieder zum “Ungarischen Heiligen Stephans-Orden” wiederbelebt und erlebte seine Hochzeit ausgerechnet unter Horthy. Die Auszeichnung ging vor dem Krieg fast ausschließlich an Adelige, aber auch an Göring (später getilgt), von der neuen Version ging 2013 je ein Orden an eine fünffache Olympiasiegerin und einen Banker.

Die Ehrung für Kertész soll vom Veritas-Institut (Deportation = fremdenpolizeiliche Maßnahmen) sowie von der Hofgeschichts(um)schreiberin Mária Schmidt (Haus des Terrors) lanciert sein, die sich nach etlichen geschichtsrevisionistischen Beiträgen in der vergangenen Woche in einer reigierungsnahen Zeitschrift mit einer vierseitigen Eloge an Kertész (v)erging. Staatspräsident Áder und Premier Orbán wollen anwesend sein.

Eine Entschuldigung dafür, was Ungarn Kertész angetan hat, ist die Ehrung jedenfalls nicht, denn nach dem neuen Geschichtsverständnis, endete die "Staatlichkeit" mit dem Einmarsch der Deutschen, Ungarn ist von da an für Handlungen auf seinem Territorium nicht mehr verantwortlich. Die Mutter dieser These, Schmidt, stellte in ihrer Laudatio in "Heti Válasz" denn auch vor allem das Werk Kertész´ in den Vordergrund, seine Unabhängigkeit im "kommunistischen Regime", in dem er - so Schmidt "ein Außenseiter" gebleiben sei und seine Feinfühligkeit für Instrumentalisierungen. Nur, um ihn dann selbst zu instrumentalisieren und auf den Regierungssockel zu heben. Kertész selbst stellte in einigen späten Interviews seine Rolle und die der Gedenkarbeit in Europa bezüglich des Holocaust` durchaus in Frage, allerdings aus der Perspektive seines Lebens und Schaffens und nicht aus jener des amtlichen Geschichtsrevisionismus´ im heutigen Regierungs-Budapest. Das ist ein gewaltiger Unterschied, jedoch nicht für die PR-Maschine der Orbán-Regierung. Vergessen wir auch nicht, wie Kertész - als er der Regierung nicht so passende Äußerungen tat - verbal praktisch ausgebürgert und “unungarischen Verhaltens” geziehen wurde - längst nicht nur aus dem ganz rechten Lager.

Als Kontext für die Dimension dieser monströsen Taktlosigkeit an dem Mann, der in seiner Erinnerungsarbeit den kompletten Gegenentwurf zu den Leistungen der Regierungstrolle darstellt, sollen die unten stehenden Verweise auf die Umstände der Errichtung des Besatzungsdenkmals, die Kontroverse um das offizielle Holocaust-Gedenkjahr, sowie die neue "Judenfrage" in Ungarn genügen. Darin ist alles ausführlich erläuert.

Ob und wie der Ausgezeichnete, dessen Gesundheitszustand sehr schlecht sein soll, auf die "Ehrung" zu reagieren gedenkt, ist bis dato nicht bekannt. Dass er bei Annahme die Regierungspolitik legitimiert - egal, wie kritisch die Annahme gedankt würde - ist ihm oder wenigstens seiner Umgebung hoffentlich klar.

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red / m.s.

 

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