THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 35 - 2014   POLITIK   26.08.2014

 

Premier von Ungarn will Einwanderung in EU "ganz" stoppen: Roma sollen Drecksarbeit machen...

Nachdem sich Orbán bereits mehrfach als Europa- und Demokratiefeind geoutet hat, gibt er jetzt auch den Rassisten. Wieder hat eine seiner Reden Widerspruch und Entsetzen ausgelöst. Orbán legte auf seine zentrale These, wonach "Einwanderung keine Lösung für die demographischen Probleme in Europa" sei und "die Geschichte gezeigt hat, dass nur die Nationen überleben, die sich biologisch selbst erhalten können", beim jährlichen Briefing seiner Botschafter am Montag in Budapest noch eine dicke Schippe drauf.

Orbán sei bei den “europäischen Werten päpstlicher als der Papst”, das beweise schon allein “unsere Verfassung”, desehalb müsse man sich dazu “keinerlei Fragen gefallen lassen”, diktierte Orbán seinen dimplomatischen Aposteln am Montag in die Blöcke. Bei dem gleichen Briefing vor zwei Jahren schwadronierte er darüber, dass er “alle Konflikte mit der EU geplant und gewonnen” habe. Die Medien- und Fachwelt streitet noch darüber, ob der ungarische Regierungsspitze allmählich den Verstand verloren hat oder alles wirklich einem sehr nüchternen Plan folgt.

Er habe sich beim EU-Gipfel in Ypern Ende Juni dafür stark gemacht, in die gemeinsame Erklärung der Regierungschefs einen Passus einzubringen, der Einwanderung als "falsch" kennzeichnet und Europa auffordert Immigration "abzuschaffen", sagte er seinen Botschaftern.

Darauf habe es zwei Arten von Reaktionen gegeben: "...einige beneideten mich, weil sie solche Dinge, über die sie genauso denken, so nicht sagen dürfen", andere wiederum "...widersprachen mir, weil sie zu Hause ihre demographischen Trends nicht durch eine passende Familienpolitik umkehren konnten, die sozialen Spannungen nicht abbauen, weil sie die Arbeitslosen sponsern und sich nicht im Klaren darüber sind, dass sie die ethnische Basis ihrer Nation zerbrechen." Jedenfalls will er sich für eine "felsenfeste" Einschränkung der Immigration einsetzen und "verhindern", dass es eine "zentrale, liberale Einwanderungspolitik" in Europa gibt.

 

Dieses für Rechtspopulisten typische, irgendwo zwischen “christlichem” Eurozentrismus und Rassenwahn vagabundierende Menschen- und Weltbild, das die ganz berechtigten Zukunfts- und Existenzängste vieler Bürger und die tatsächlich ungelöste Einwanderungsproblematik so geschickt wie verlogen in eine wahnhafte Xenophobie kanalisiert und mit einem "Europa der Nationen" bewirbt - bei Lichte einem Widerspruch in sich - konkretisierte der Premier vor seinen Botschaftern nochmals, doch ohne dessen Gehalt sinnstiftender zu machen. "Das Ziel ist, Einwanderung ganz einzustellen", denn die "derzeitige liberale (lies: gegen die Interessen der Nationen gerichtete) Einwanderungspolitik, die als moralisch gerechtfertigt und unvermeidlich dargestellt wird, ist heuchlerisch."

Hier verschränkt Orbán sein Credo von einem "christlichen Europa der Nationen" mit der Abkehr von den "gescheiterten liberalen Gesellschaftsmodellen" hin zu einer "arbeitsbasierten Gesellschaft". Die vielen exekutiven und mehr noch legislativen Schritte, die seine Regierung in Ungarn dazu bereits unternommen hat, belegen, dass ihm dabei in Wirklichkeit ein klassischer Ständestaat vorschwebt, der von einer Art angeborenem Schicksal ausgeht, dem man sich zu fügen hat und das durchaus feudalen Mustern folgt. Dass Ungarn das einzige Land der Region ist, in dem die Armut und Armutsgefährdung kontinuierlich steigt, wird natürlich verschwiegen, denn das ist Teil Plans.
Orbán selbst jedoch forciert indirekt Einwanderung sogar, auch wenn er das nie so nennen würde. Denn durch seine Staatsbürgerschaftspolitik wurden binnen 3 Jahren rund 500.000 Ausländer (auch aus der Nicht-EU) zu ungarischen Staatsbürgern gemacht. Freilich handelt es sich dabei um "ethnische Ungarn" aus den Vor-Trianon-Gebieten, nach völkischem Verständnis also nicht um "Ausländer". So etwas nennt man Rassismus. Zwar bleiben die meisten dieser "Rückkehrer" lieber in ihren "Gastländern", aber sie können jederzeit nach Ungarn kommen, sie sind "eingebürgert".

Diese Politik, genauso wie Orbáns Ausagen beruhen auf einer ethnisch ausgrenzenden, also völkisch orientierten "Nationenpolitik", wie sie in der von Fidesz im Alleingang eingesetzten neuen Verfassung des Landes verankert ist. Dort werden ethnische Ungarn im In- wie Ausland als nationenbildend, die 13 anerkannten ethnischen und nationalen Minderheiten lediglich als staatsbildend eingestuft. Gewollte und Geduldete.

“Europas 10 Millionen Roma könnten die ungelernten Tätigkeiten ausüben, die heute überwiegend von Einwanderern erledigt werden”

Orbán unterstreicht seine ahistorischen Gedankengänge von einem auf dem ethnischen Stauts quo beruhenden Europa der Zukunft in einem Vorschlag, wie die Europäer den demographisch bedingten Arbeitskräftemangel ausgleichen sollten. Seinen Botschaftern diktiert er in die Blöcke: "Europas 10 Millionen Roma könnten die ungelernten Tätigkeiten ausüben, die heute überwiegend von Einwanderern erledigt werden." Noch zynischer: Anstatt Unmengen Geld in Trainings-Programme in den Herkunftsländern von künftigen Einwanderern zu investieren, könnten "die Leute dort Jobs finden, wo Gott entschieden hat, sie zur Welt kommen zu lassen." Übersetzt: die Zigeuner - die eigentlich gar nicht nach Europa gehören, sondern nur eine Laune Gottes hat sie hierher gespült, sollen die Drecksarbeiten erledigen. Ob man die Roma-Arbeitskolonnen dann auch bedarfsgerecht über die europäischen Länder verteilen sollte, zu solchen technischen Details, ließ sich Orbán noch nicht hören.

Doch auch hierzu läuft das passende Pilotprojekt in Ungarn bereits auf Hochtouren, wo ein Heer von billigen Arbeits"sklaven" - per Gesetz müssen es monatlich mindestens 240.000 sein - für umgerechnet 170.- EUR im Monat und damit rund 50% unter dem "gesetzlichen Mindestlohn" ihren kommunalen Herren zu Diensen sein müssen - ohne Perspektiven, ohne Chance auf einen richtigen Job. Auch die Versendung über Land ist Teil dieses Programmes. Die Mehrheit der solcherart Geförderten sind ungarische Roma, dieses "Volkes ohne Geschichte" (Minister Balog). Der beaufsichtigende Projektleiter, Innenminister Pintér, drohte bereits wörtlich, dass diese Art der "Kommunalarbeit bald in ganz Europa zum Standard" werden wird.

Bei dem anderen Aspekt der nationenrettenden Politik, der Kinderplanung läuft es nicht ganz so auf Zuruf: die Steueranreize für Kindesmütter (eigentlich nur die Rücknahme von vorherigen Freibetragskürzungen) haben noch keinen zählbaren Erfolg gezeitigt, die demographischen Statistiken Ungarns brechen monatlich immer wieder ihre eigenen Negativrekorde. Mehr als patriotische Fertilitäts-Aufrufe und ins Absurde reichende "Anreize", wie z.B. die staatliche Finanzierung von Diskotheken zur Verkuppelung junger Ungarn, gibt es nicht. Die wirklichen "hard skills", die es für eine kinderfreundliche Atmosphäre braucht: Arbeit, Einkommen, Stabilität und Perspektive, Selbstbestimmung (!) hat Ungarn nicht ausreichend, zum Teil überhaupt nicht mehr zu bieten. Immer mehr potentielle Eltern, 600.000 an der Zahl in den letzten vier Jahren, kehrten Ungarn den Rücken. Dass sie dort rassisch vermischte Kinder produzieren und vielleicht noch "liberal" erziehen könnten, - das ist der Albtraum von Orbáns Nationenrettungsgarde, die gerade einen Plan ausarbeitet, wie man die werdenden Mütter rechtzeitig "zurückholen" könnte.

 

Das internationale Netzwerk von Roma-Vereinen "Romano Liloro" reagiert schockiert auf die "unverantwortliche" Äußerung Orbáns zur Beschäftigung von Roma als europäischese Billigarbeiterheer, die nur zeige, wie er (dem in Ungarn übrigens vehement selbst Romablut nachgesagt wird) über die größte ethnische Minderheit in Ungarn denke - seine Politik ist dementsprechend. So wie ganz Europa nur als wissens- und technologiebasierte Gesellschaft eine Zukunftschance habe, müssten auch die Roma durch Bildung und Qualifikation integriert werden, anstatt sie von vornherein mit minderwertigen Tätigkeiten abzuspeisen, so die Romavertreter.

Wall Street Journal und Washington Post, zwei führende Blätter aus einem Land, das ganz auf Einwanderung basiert, nahmen die Äußerungen Orbáns kopfschüttlend auf, bis Neuseeland und Jamaika reagierten Medien auf Orbáns Ausführungen, Reuters sei Dank. In Ungarn selbst, erwähnten die Medien eher Orbáns Aspekte zur Außenhandelsförderung "Richtung Osten". In Europa scheint diese "Episode" durch das Sommerloch zu fallen. Liegt es daran dass Merkel, Hollande zur Zeit Wichtigeres bzw. mit sich selbst zu tun haben, manch Einer Orbán klammheimlich zustimmt oder - unsere Vermutung - der politische Schwachsinn aus Budapests Machtzentrale derart inflationär geworden ist, dass man darauf einfach nicht mehr reagieren mag?

Weitere einschlägige Statements von Orbán:

Orbán zündelt wieder - Rede in Rumänien: Das neue Ungarn wird "keine liberale Demokratie" mehr sein

Tisza, Orbán und die Vorsehung: Ungarns Premier bekennt sich öffentlich als Antidemokrat und Antieuropäer

Der ewige Blutbund: Orbáns Blut-und-Boden-Rede in Ópusztaszér

red. / ms.

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