THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 31 - 2014 POLITIK 28.07.2014

 

Orbán zündelt wieder - Rede in Rumänien: Das neue Ungarn wird "keine liberale Demokratie" mehr sein

So lautete der zentrale "Aufreger" in Orbáns Rede auf der alljährlichen Sommerakademie im rumänischen Siebenbürgen am Samstag, - sondern eine "auf Arbeit basierte Gesellschaft", bei der die Nation mehr zählt als das Individuum. Das Narrativ ist so bekannt wie bewährt: wegen der dünnen ökonomischen Suppe, die er dem verzweifelten Volk anzubieten hat, muss ein größeres Ziel, eine höhere Bestimmung vorgekauelt werden. Rede, Analyse & Reaktionen.

Infantil oder gefährlich? Beides. Orbán vor der Kulisse der Sommerakademie in Siebenbürgen am Samstag. Hinten grinst nicht schon der russische Bär hervor, es ist nur das Logo der Veranstalter. Passend ist es so oder so.

 

Orbán benennt die Vorbilder für “seinen Kampf” klar und namentlich: Russland, die Türkei, China. Er bewundert deren Effizienz, auch wenn es natürlich eine Effizienz der Unterdrückung ohne Mitbestimmung der Masse ist, was er unterschlägt. Es sei daher schlicht "unnatürlich", dass 2/3 der ungarischen Wirtschaftsbeziehungen mit der EU abgehandelt werden, 50:50 wäre für die Zukunft besser.

Orbán warnte weiter, dass "Einwanderung keine Lösung für demographische Veränderungen" darstelle und es sogar denkbar sei, dass die biologische Erhaltung der Nation bald "in Frage gestellt" wird. Dem will er entgegen arbeiten, mit einem magyarischen Ungarn, daher sei auch der Zusammenhalt "aller Ungarn auf der Welt" so wichtig. Seid fruchtbar und mehret Euch! Man könnte das belächeln, wenn es nicht längst sichtbare Folgen in der praktischen Politik zeitigt, wo Superminister Balog ganz offen von förderungswürdigen und parasitären Bürgern faselt und auch die Förderpolitik derart ausrichtet. Orbán bedauerte in Siebenbürgen, dass "derzeit" nur über Staatsbürgerschaften, "nicht auf territorailer Basis" eine "rechtliche Verbindung" zwischen den Ungarn im Karpathenbecken hergestellt werden könne.

Ob er lieber Putin oder doch eher Erdogan (unser Tipp) nacheifert, ließ er offen, doch die Richtung ist klar: "Wir oder sie...", unter diesem trennenden Schlagwort brandmarkt er den Feind: Profitgierige Multis, die spekulativen Finanzmärkte, die demokratische Opposition als fremdfinanzierte, fünfte Kolonne und die NGO´s als "Vertreter fremder Interessen", die eingedämmt gehörten (und bereits auch mit "Schwarzen Listen" verfolgt werden.) Der "liberale Westen" ist der Gegner, von dem es sich abzuwenden gilt, einen ungarischen Sonderweg suchend, dessen Pfad freilich nur er, Orbán, kennt. Dass dieser nicht unbedingt demokratisch beschritten werden muss, auch diese Ansicht Orbáns ist keineswegs neu. Das Recht auf die Entdemokratisierung bezieht Orbán dabei vor allem aus dem Scheitern der Demokratien bei der Bewältigung der Krise. Es ist eine Art Notstandsrecht, die vor dem ökonomischen, demographischen oder - Gott behüte - dem spirituellen Untergang bewahren soll.

Mit derlei weltanschaulicher Simplizität stößt er nicht nur in der von der "Transformation" zu recht enttäuschten Heimat auf viel Beifall, es jubeln ihm auch viele Verängstigte im Westen zu, alle jene, die in AfD, Front National, FPÖ oder Sarrazin ihre Sammelbecken des inneren Protestes sehen, auch wenn deren Antworten nichts weiter als Hass und Spaltung in das geschundene Europa tragen und genau jene wieder gegeneinander hetzen, die eigentlich aus den Ereignissen vor hundert Jahren gelernt haben müssten, dass die Barrieren nicht zwischen den Völkern, sondern stets und immer noch zwischen Oben und Unten verlaufen. Doch ohne "Unten" funktioniert Orbáns neues Ungarn nicht, daher hat er diesen Menschen auch nur Antworten aus dem vorigen Jahrhundert zu bieten. "Auf keinen Fall" dürften in Europa "Vereinigte Staaten" entstehen.

 

Orbán machte wieder einmal Front. Gegen die komplexe, krisengeschüttelte, westliche Welt, die mit ihrem Individualismus, ihrer "Freiheit" gescheitert sei und deren Nachahmung "uns umbringen" würde, wirbt er für seine Vision eines nationalistischen Ständestaates, den er als "arbeitsbasierte Gesellschaft" schönredet. Dass die Ungarn Arbeit derzeit eher im Westen finden und man vor 25 Jahren eben wegen der fehlenden Freiheiten das System stürzte, sind Widersprüche, die ihn kalt lassen, so lange das Volk folgt.

Orbán, der simple Charakter, ein politischer Betrüger, getrieben von Eitelkeit, Rachsucht und Ehrgeiz, wird sich wieder diebisch über die Wirkung seiner Rede freuen, die eigentlich nichts weiter als ein weiteres lächerliches Schmierenstück aus der nationalistischen Theaterwerkstatt des Direktors Gernegroß ist und der wir hiermit eine viel zu große Bühne geboten haben.

Das Entsetzen, das westliche und einheimische Reaktionen auf die Rede von Premier Orbán hervorrief, ist einigermaßen überraschend, denn diese Rede war noch vergleichsweise harmlos, mehr ein schusseliges Staubwischen, wenn wir uns im Gegensatz dazu an die wegweisend-martialische
Blut-und-Boden-Rede von 2012 betrachten erinnern oder an die deutliche Absage an Europa und Demokratie bei einer Denkmalseinweihung vor wenigen Wochen, bei der Orbán erstmals wörtlich über eine "Vorsehung" fabulierte. Auch der Auftritt beim Europaforum in Berlin, wo er sich mal eben als "Mitte Europas" erdete, sollte kaum Unklarheiten belassen haben. Den Rest gab er sich und uns dann mit ”seinem Kampf” gegen die Wahl Junckers.

red. / cs.sz. / m.s.

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Die Reaktionen der ungarischen Oppositionsparteien auf Orbáns Frühschoppen-Ansprache bei der 25. Sommeruniversität am Samstagmorgen im rumänischen Baile Tusnad fielen heftig aus und sind doch nur Rufe in einer politischen Wüste, noch zum Teil von Kräften, die entweder selbst versagt haben, aus Ungarn die Bürgergesellschaft zu machen, deren Zerstörung man jetzt beklagt oder die alles noch viel schlimmer machen würden. Eine Auswahl:

Gemeinsam 2014 / Dialog für Ungarn:

Orbáns "schockierende Äußerungen" bedeuten nicht nur das Ende der liberalen Demokratie, sondern der Demokratie überhaupt.", heißt es in einer Aussendung der Partei von Ex-Premier Bajnai. Orbán "kopiere den russischen Präsidenten", auch in Ungarn "repräsentiert der Staat längst nicht mehr alle Einwohner, sondern einen kleinen Kreis von Günstlingen: jene, die mit Land, Tabakläden, öffentlichen Aufträgen" bedacht werden. Auch der Angriff gegen die Zivilgesellschaft, die aus "sicherheitstechnischen Gründen" eingeschränkt werden soll, sei eine "Übernahme von Putins Ideen". Dies aus dem Munde des Mannes, der mehr als das 1000fache des Betrages, das NGO´s von den Norway Grants erhielten, von Putin als Kredit angenommen habe, weise daraufhin, dass "Orbán der eigentliche Auslands-Agent" sei.

Grüne (LMP):

Orbán brauche sich gar nicht als Befreier Ungarns aufspielen, findet der LMP-Chef András Schiffer, denn dessen Partei Fidesz habe die "unkontrollierten Privatisierungen nach 1989" ebenso mitgetragen und seine Wirtschaftspolitik unterscheide sich "kein Stück" von jener der Regierungen der letzten 20 Jahre. Die "Alternative zu einer liberalen Demokratie dürfe keine `arbeitsbasierte Gesellschaft` sein, unter der Orbán eine Art Leibeigenschaft versteht, sondern eine Demokratie, die auf der Mitwirkung der Wähler gründet." Die zunehmenden Entlassungen und Betriebsschließungen bei "Multis" zeige, dass die Wirtschaftspolitik gescheitert sei, auch ließen sich durch "Kommunale Beschäftigungsprogramme" die jungen Leute nicht davon abhalten, im Ausland Jobs zu suchen.

MSZP:

"Orbán hat die Werte Europas und eines demokratischen Ungarns hinter sich gelassen", teilt der neue Parteivorsitzende der größten demokratischen Oppositionspartei, József Tobiás mit, der die "Freiheit der Wahl" als eine "realistische Erfahrung" im Lande wissen will, "sei es die Freiheit von Bürgerbewegungen oder die Freiheit zur Wahl des Arbeitsplatzes".

DK:

Die MSZP-Abspaltung "Demokratische Koalition" von Ex-Premier Gyurcsány nannte Orbáns Rede den "Aufruf zu einem faschistischen Staat und der Abschaffung der Freiheit". In der Aussendung wurde es als "schockierend" bezeichnet, Länder wie Russland oder China als Vorbilder anzusehen, "nur weil sie effizient organisiert" seien, dabei seien nicht nur die Freiheiten, sondern auch die sozialen Grundsicherungen wie Renten oder Wohlfahrt weit hinter den Mindeststandards in der EU. Orbáns Aufruf, eine Scheindemokratie ohne freiheitliche Grundrechte aufzubauen, müsse mit "zivilem Ungehorsam" begegnet werden, denn Orbán "zündele nicht nur an Ungarn, sondern an Mitteleuropa und am ganzen demokratischen Westen."

Jobbik:

Die neonazistische Partei begrüßte Orbáns Äußerungen zu einer "arbeitsbasierten Gesellschaft" als Gegenstück zu einer "liberalen Demokratie", ergänzt aber, dass der Premier sich dann nicht mit dem "Herumgedoktor an statistischen Aufstellungen" verzetteln solle, sondern "Anreize für Familien, die Kinder großziehen" schaffen solle (lies: Angst vor dem Aussterben des Magyarentums, Roma sollen solche Anreize natürlich nicht erhalten, die will man lieber in Lager sperren und ihnen die Kinder wegnehmen, auch Zwangssterilisation der Mütter findet sich im Forderungsrepertoire der Jobbik). Auch habe Orbán es in Rumänien gegenüber der dortigen "um ihre Rechte gebrachten ungarischen Minderheit" versäumt, daraufhin zu weisen, dass die EU ihnen "keine Lösung" bieten könne.

Orbáns Vize, der "Nationenminister" Zsolt Semjén, ritt diesmal nicht (wie im März des Vorjahres) wie Horthy durch Siebenbürgen, sondern nahm lediglich an der Hissung einer Széklerflagge teil, eine wahre Partisanentat, da die Zeremonie zuvor von den rumänischen Behörden verboten worden war, da es sich um ein verfassungsfeindliches Hoheitssymbol handelte.

a.l.

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