THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 38 - 2014 POLITIK 19.09.2014

 

Oranger Teppich mit braunen und roten Flicken: Trends und Stimmungen vor den Kommunalwahlen in Ungarn

In drei Wochen, am 12. Oktober, finden in Ungarn die Kommunalwahlen statt. Laut Umfragen ändert sich an den Fidesz-dominierten Zuständen nichts, nur in einigen Gemeinden und kleineren Städten könnte es Überraschungen geben, - eher böse. Spannend wird der Kampf um die Hauptstadt, auch in Miskolc wird es knapp. Zur Sicherheit warnen Fidesz-Politiker landauf und -ab vor der "falschen Wahl", strukturell hat man ohnehin dafür gesorgt, dass die Macht in den “richtigen” Händen bleibt.

Verteilung der Direktmandate nach den nationalen Wahlen. Am 12. Oktober könnten noch etliche braune Punkte dazukommen...

Das Umfrage-Institut Ipsos legte zu den Kommunalwahlen einen Umfragetrend vor, dessen Aussagekraft jedoch wegen der lokalen Unterschiede und Besonderheiten nur mäßig sein kann. Insgesamt würden von den heute zur Wahl Entschlossenen 56% für Fidesz stimmen, also rund 12 Prozentpunkte mehr als bei den nationalen Wahlen im April und nochmals 7 Punkte mehr als im August. Was diesen aufschwung bewirkt haben soll, bleibt ein Geheimnis der Demsokopen. Die neonazistische Jobbik wäre mit landesweiten 17% zweitstärkste Kraft, die MSZP käme auf 16%, DK und LMP auf je 4, E2014-PM auf 3%. Nur 43% der Befragten würden bisher "definitiv" zur Wahl gehen, 23% "möglicherweise".

In der Hauptstadt behauptet der Amtsinhaber, Oberbürgermeister István Tarlós von Fidesz, einen zweieinhalbfachen Vorsprung vor seinem linksliberalen Herausforderer Ferenc Falus, den viele gar nicht oder kaum kennen. Allerdings wollen nur 33% der Budapester Fidesz wählen, Mitte-Links hätte hier mit 25% für die Mitte-Linksparteien und 10% für die LMP (in etwa die Grünen) eine potentielle Mehrheit - wenn die LMP sich auf eine Allianz einließe, was sie nicht tut. Jobbik kommt in Budapest auf 10%.

Der Bürgermeister von Érpatak. Hier bei der symbolischen Hinrichtung der “israelisch-freimaurerischen” Staatsspitze. Bis zu 40 Neonazis könnten ab 12. Oktober Bürgermeister sein. Ein knappes Dutzend sind es schon heute. Vor allem in den von Roma besiedelten Gebieten im Norden und Nordosten stehen ihre Chancen gut.

 

Da Fidesz die repräsentative Demokratie in Budapest durch eine Wahlgesetzänderung abgeschafft hat, kommt es - neben dem OB - vor allem auf die Erringung der Bezirksbürgermeisterposten an, um in der Stadt die Macht zu übernehmen. In rund der Hälfte der Bezirke einigte sich die Linksopposition auf gemeinsame Kandidaten, in den anderen soll je der Aussichtsreichste aus dem Spektrum das Rennen machen. Immerhin erlangten Linkskandidaten bei den nationalen Wahlen in fast der Hälfte der Budapester Wahlbezirke das Direktmandat, was - neben der Fidesz-Schwäche im "roten Budapest" - ein Grund für die Umwandlung des Stadtparlamentes in einen Rat der Bezirksbürgermeister war. Das Verfassungsgericht hatte übrigens keine prinzipiellen Einwände gegen diese Entmündigung des Souveräns.

Laut Ipsos wird Fidesz in allen Komitatsvertretungen (wie Bundesländer, nur ohne irgendetwas zu sagen zu haben) die Nase vorn behalten, Jobbik wird sich endgültig als zweite politische Kraft etablieren. Vor allem in Ortschften mit weniger als 10.000 Einwohnern werden klare Siege der Fidesz-Kandidaten bzw. der von ihnen unterstützten "Unabhängigen" prognostiziert, während in den größeren Städten der Vorsprung zur Opposition kleiner wird. In 30-40 Gemeinden könnten Jobbik-Neonazis oder entspr. gepolte "Unabhängige" den Bürgermeister stellen, bisher sind es 12.

Laut Umfragen stehen die Chancen für den gemeinsamen Herausforderer der Linksliberalen, Ferenc Falus (rechts) gegen Amtsinhaber Tarlós nicht gut. Aber mehrere Bezirke könnten an die Linke fallen und Budapest für Fidesz zum heißen Pflaster machen. Doch dagegen hat man vorgesorgt. Hier mehr dazu.

In Miskolc wird ein Dreier-Rennen um den Bürgermeisterposten erwartet, Fidesz, Jobbik und MSZP liegen hier nah beieinander, Szeged ist die einzige MSZP-regierte Großstadt des Landes, laut Umfragen bleibt sie das auch. Da die relative Mehrheit in nur einem Wahlgang für den Sieg genügt, sind - je nach Gegebenheiten - einige Überraschungen möglich, vor allem dort, wo der Tango corrupto seitens der Fidesz-Platzhirsche etwas zu heftig getanzt wurde und sich gleichzeitig ein gemeinsamer Alternativkandidat in Szene setzen konnte.

Um böse, wenn auch nur partielle Überraschungen in einzelnen Orten zu vermeiden, warnen die Amtsinhaber wie auch der Fidesz-Wahlkampfleiter, Parlamentspräsident Kövér bereits die Wähler vor einer "falschen Wahl". Es sei "sinnlos", Kandidaten zu wählen, "die nicht in der Lage sind, mit der Regierung zu kooperieren", so Kövér gestern in Nagykanizsa. Andere Fidesz-Politiker werden noch direkter. In vielen Orten präsentieren sie auf Bürgerfragestunden großartige Entwicklungsprojekte, nicht, ohne zu erwähnen, dass "das Geld dafür kommt, wenn ihr uns wählt." In anderen Orten, z.B. Orbáns Heimatort Felcsút, wird der Opposition das Leben so schwer wie möglich gemacht. In dem von einem Neonazi regierten Érpatak schreckt man auch vor körperlichen Übergriffen nicht zurück.

Doch das Schwingen der Geldkeule ist nur noch ein marginaler Aspekt bei der Fidesz-Strategie der Machtischerung in der Provinz. Seit 2010 wurde eine konsequente Zentralisierungs- ja Unterwerfungsstrategie seitens der Zentralregierung unternommen:

- die Schulden der Kommunen wurden in den Zentralhaushalt übernommen, dafür mussten die Bürgermeister die finanzielle und personelle Hoheit über ihre Einrichtungen, z.B. Krankenhäuser, Sportstätten etc. abgeben
- über 200 "Regierungsfenster", bestückt mit Budapester Fidesz-Beamten werden als Ansprechpartner für die Bürger kommuniziert, sorgen aber vor allem für die Umsetzung der Budapester Direktiven vor Ort, einschl. der öffentlichen Auftragsvergabe
- die kommunalen Schulen wurden unter der Staatsbehörde KLIK zusammengefasst (oder an die regierungstreuten Kirchen übergeben), Lehrer und Lehrpläne ideologisch ausgerichtet und gleichgeschaltet
- Bürgermeister erhielten über die vom Innenministerium gesteuerten Kommunalen Beschäftigungsprogramme starke Durchgriffsrechte, die "Kommunalbetriebe" werden so zu Machtzentren
- Fidesz-Funktionäre werden durch Tabakhandelslizenzen (Alkohol folgt sogleich) materiell gestärkt
- die Unterwerfung der lokalen Spargenossenschaften unter die erst zwangsverstaatlichte, dann an Fidesz-Manager rückprivatisierte Takarékbank stärkt die Abhängikeit kleiner Unternehmer und Landwirte von Parteisoldaten weiter

Das Ziel dahinter ist klar: wer immer Bürgermeister sein sollte, die Macht bleibt bei Fidesz.

"Selbstverwaltung" ethnischer Minderheiten nur gegen Aufgabe des Wahlrechts

Bei den parallel stattfindenden Wahlen zu den sog. "Selbstverwaltungen" für die anerkannten ethnischen und nationalen Minderheiten zeichnet sich ein Trend der Verweigerung ab, in Hunderten Orten, wo es eine solche lokale Selbstverwaltung, z.B. der Roma, Ungarndeutschen, Rumänien etc. gibt, registrieren sich nicht genug Wähler für diese Wahlform, wodurch den potentiellen Kandidaten die notwendigen Unterstützerunterschriften fehlen. Wie schon bei der nationalen Wahl, bedeutet die Registrierung für die Minderheitenwahl die Aufgabe des allgemeinen Wahlrechts.

Die Roma-Struktur der oppositionellen MSZP beklagt zudem eine Behinderung seitens der Wahlkommission. Die EKE-MSZP habe 1.774 Unterstützerunterschriften für die Aufstellung einer eigenen Roma-Minderheitenliste bei der Wahlkommission NVI eingereicht. Ein Novum, denn bei den Minderheitenwahlen ist es quasi Standard, dass die Mehrheitsinhaber (im Falle der Roma Lungo Drom, eine Fidesz-treue Organisation) eine Art Einheitsliste erstellen, weil opponierenden Kandidaten schlicht die Unterstützer fehlen (
in diesem Beitrag ist dieser demokratische Unfug am Beispiel der Ungarndeutschen von einem Insider genau erläutert). Die Wahlkommission erkannte jedoch nicht einmal die Hälfte der von EKE-MSZP eingereichten Unterschriften an, womit man ds Quorum für eine eigene Liste verfehlt. Die MSZP fordert eine Nachzählung, NVI und Oberstes Gericht lehnten ab, die Sozialisten rufen: Wahlbetrug.

Kampf um Budapest: Kann die Hauptstadt die Wende für Ungarn bringen?

Verfassungsgericht: keine Einwände gegen Auflösung des Budapester Stadtparlamentes

Die Entmündigung der Budapester: Regierungspartei formt Stadtparlament zum Ständerat um

red. / cs.sz., a.l., m.s.

 

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