THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 39 - 2014 WIRTSCHAFT 22.09.2014

 

Pipeline in der Schwebe - Trumpf im Ärmel: EU lässt Russland bei South Stream zappeln

Am Freitag könnte sich die Zukunft der South Stream Pipeline entscheiden. Denn das Thema soll bei den dann in Brüssel stattfindenden Drei-Parteien-Gesprächen zwischen der EU, Russland und der Ukraine über die Gasproblematik mitbesprochen werden, wie ein russisches Delegationsmitglied mitteilt. Russland hat ein vitales Interesse an einem direkten Martkzugang für sein Erdgas, vom Energiexport hängt nämlich sein Überleben ab. Doch auch einzelne Mitglieder arbeiten gegen die EU...

Das von Gazprom (im Verbund mit Wintershall, EDF und ENI) vorangetriebene Pipeline-Projekt, das über das Schwarze Meer und den Balkan kommend, bei Umgehung der Ukraine russisches Erdgas bis Mitteleuropa liefern soll, steht wegen der Friktionen mit Russland politisch derzeit auf der Kippe.

Doch auch zuvor gab es schon regulatorische Bedenken seitens der EU-Kommission, die beim Set up der einzelnen Beteiligungen in den Durchleitungs- bzw. Zielländern wesentliche Verstöße gegen das europäische Ausschreibungsrecht erkannte. Außerdem wird das Mitspracherecht von Minderheitseignern und der Marktzugang für Mitbewerber zu stark eingeschränkt, findet der Energiekommissar. Vor allem aber dürfen laut dem 3. EU Energiepaket Pipelines nicht von Erdgasförderern bzw. ihnen wirtschaftlich nahe stehenden Strukturen betrieben werden, um Kartell- oder Monopolbildungen zu verhindern. Nicht erst seit der Verschärfung der Krise mit Russland werden diese Einwände so laut und ultimativ kommuniziert,
schon im Dezember 2013 machte Brüssel klar, dass "alle bilateralen Verträge neu verhandelt werden müssen, um sie in Einklang mit EU-Recht zu bringen."

 

Am vorvergangenen Donnerstag hat zudem das Europäische Parlament, im Zuge der verschärften Sanktionen gegen Russland, eine Resolution verabschiedet, die die EU-Ratsmitglieder auffordert, anhängige Abkommen mit Russland einzufrieren, einschließlich eines Baustopps für South Stream. Doch Gazprom begann mit dem Bau längst und legt gerade die Rohre durch das Schwarze Meer. Schon 2015 sollten erste Testläufe über Teilabschnitte stattfinden, ab 2018 der Vollbetrieb. Diese Termine werden nun kaum einzuhalten sein. Die Verzögerungen und die Skepsis haben nicht nur vordergürndig politische Motive. Fachleute sehen auch eher eine Erhöhung der Energieabhängigkeit von Russland gegeben, der Ausfall des Unsicherheitsfaktors Ukraine sei da nur ein kleiner Trost.

In den Transit- bzw. Teilnehmerländern Bulgarien, Serbien, Ungarn, Griechenland, Slowenien, Österreich und Kroatien wurden jeweils Joint-venture-Vereinbarungen mit lokalen Partnern vorangetrieben, um die Baukosten zu teilen. (
hier am Beispiel Serbien und Ungarn) Allerdings bedingt sich Gazprom in den Verträgen (bzw. in Nebenabsprachen) weit über das Pipeline-Projekt hinausreichende Zugeständnisse aus, u.a. exklusive Zugänge zu Erdgaslageranlagen, Lieferoptionen für Tankstellennetze und Konkurrenzausschlussklauseln. Je nach Kooperationswilligkeit der jeweiligen Partner von "vorsichtig", z.B. Slowenien, "sorglos" wie Griechenland oder Österreich bis hingebungsvoll devot wie z.B. Ungarn, kommt der russische Gasriese dann mit Zuteilungs- und Preisgarantien entgegen.

Gazprom freilich dementiert alles: weder versuche man Firmen oder Länder gegeneinander auszuspielen, noch "tangiert das South Stream Projekt irgendwelche EU-Normen". Vor allem letzte Ansage belegt, mit was für einem Rechtsverständnis die Russen in der EU auftreten wollen, offenbar sollen South Stream-Baustellen als exterritoriales, möglicherweise sogar russisches Hoheitsgebiet betrachtet werden.

Die EU-Kommission bekommt jedoch auch Gegenwind aus den Teilnehmerländern. Zwar hat Bulgarien die Debatte über die Rechtmäßigkeit angestoßen, doch schon Ungarn - das aus vielen Gründen einen Kuschelkurs mit Moskau fährt - findet die Verzögerungen gar nicht witzig, denn etliche regierungsnahe Unternehmen scharren schon gierig mit den Hufen, um sich ein Stück aus dem zur Hälfte mit öffentlich bebürgten Krediten Baukuchen abzuholen. Diese "Businessman" kann Gazprom als russische Gesandte in Europa einsetzen. So wurde z.B. Premier Orbán schon Mitte Dezember 2013 nach Moskau zitiert, um im Kreml Bericht über die damals aufkommenden EU-Bedenken zu erstatten. Schon 2012 versuchte Orbán einmal, die EU mit Nabucco unter Druck zu setzen und drohene Mittelsperrungen gegen ihn mit einer Absprungsdrohung zu verhindern. Und erst an diesem Montag wieder empfing Orbán den Gazprom-Chef Alexej Miller in Budapest.

 

Andere Experten halten den Skeptikern entgegen, dass Europa dem Projekt derzeit wenig entgegen zu setzen habe und an der Ostseepipeline, in die allerdings viel weniger Länder involviert sind, sei zu erkennen, dass die Kooperation auch funktionieren kann. Nabucco ist wegen mangelnder Loyalität bzw. den Kriegszuständen potentieller Einspeiseländer praktisch erledigt, nur eine Verringerung der Erdgasabhängikeit könnte mittelfristig hier Abhilfe schaffen, Flüssiggas-Alternativen wachsen zwar, werden aber die preiswertere Pipeline-Distribution nie ganz ablösen können.

Russland wiederum braucht den europäischen Gasaabsatzmarkt, ohne ihn würde sich das Land ruinieren (der Anteil der Öl- und Gasexporte am BIP beträgt 15% und steigt seit 15 Jahren permanent), hat also ein vitales Interesse an einer direkten Lieferkette und hätte - rational bedacht - eigentlich auch ein Intersse an politischer Entspannung mit der EU. Das weiß man in Brüssel (und Berlin) und spielt diesen Trumpf mit Bedacht, denn allzu viele andere hat man nicht im Ärmel...

Mehr zur Energiepolitik in Orbáns Ungarn

red.

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