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(c) Pester Lloyd / 15 - 2015   POLITIK    13.04.2015

 

Weimarer Zustände: Neonazis in Ungarn jagen Orbán-Partei Direktmandat ab

Die Nachwahl um ein frei gewordenes Parlamentsmandat in Tapolca (mit Ajka, Sümeg) hat der Kandidat der neonazistischen Jobbik gewonnen. Es ist das erste Direktmandat dieser Partei, die landesweit heute auf 28% und mehr Stimmen käme. Was sind die Gründe dafür, dass von der nationalistischen Rechten enttäuschte Wähler ihr Heil bei Neofaschisten suchen?

16rig (Andere)
Jobbi-Chef Gábor Vona und sein siegreicher Kandidat in Tapolca, Lajos Rig erkären sich zu Wahlsiegern. Ihr Plakat im Hintergrund weist sie schon als Fürsprecher der Mehrheit, eine Volkspartei aus.


Der Jobbik-Kandidat Lajos Rig liegt am Montagmorgen, nach 99,13% der ausgezählten Stimmen, mit 35,27% genau 161 Stimmen vor dem Fidesz-Vertreter Zoltán Fenyvesi (34,38%). Der gemeinsame Kandidat von MSZP und DK, Ferenc Pad, kommt auf 26,27%, die LMP-Kandidatin (Grüne) erlangte 2,05%, insgesamt standen 22 Bewerber zur Auswahl. Die Wahlbeteiligung lag bei 41,6%.

 

Der Jobbik-Kandidat musste am Montagmorgen allerdings noch auf die offizielle Bestätigung seines Wahlsieges warten, denn die Stimmen eines Wahllokales werden erst - zusammen mit aus dem Ausland kommenden Stimmabgaben - ausgezählt. Die Zahl der dort abgegebenen Stimmen übersteigt die Differenz zwischen Erst- und Zweitplatziertem, ein Umschwung ist aber nur noch rechnerisch möglich.

Der Sieg des Jobbik-Kandidaten bedeutet auch das erste Direktmandat der Partei, die bei den vergangenen Parlamentswahlen gut 20% der Stimmen und knapp 12% der Mandate erhielt, heute aber in Umfragen bereits bei 28% gesehen wird. Seit der von Fidesz umgesetzten Wahlrechtsreform genügt die relative Mehrheit in einem Wahlgang für die Erringung des Mandates, was nicht nur für Parlamentssitze, sondern alle direkt gewählten Mandate, bis hin zu Bürgermeistern gilt. Dieser aus Kalkül eingeführte Modus fiel Fidesz nicht zum ersten Mal auf die eigenen Füße.

Die Orbán-Partei hat - nach der kürzlichen
Niederlage in Veszprém III, wo ein gemeinsamer Kandidat der Linken gewann - eine weitere schwere Niederlage erlitten, die den Verlust ihrer 2/3-Mandatsmehrheit vertieft. Die Niederlage ist auch deshalb von Bedeutung, weil sie einen Trend für künftige landesweite Machtwechsel demonstrierte: die Abwendung von Fidesz führt, aufgrund der Schwäche der Linken, zu den Rechtsextremisten.

Für die Regierung, namentlich Premier Orbán, ist die Niederlage ein herber politischer Schlag, aber auch ein persönlicher Offenbarungseid. Engagierten Fidesz und auch Regierungsopffizielle sich diesmal nicht nur mit den üblichen Schmutzkübelkampagnen gegen die Oppositionskandidaten, sondern ging sie auch mit millionenschweren Wahlversprechen hausieren und schickten sogar Ministerpräsident Orbán persönlich in den Ring. Seine Auftritte, die früher Massen anzogen und überzeugten, haben schon seit geraumer Zeit ihre populistische, aber mobilisierende Strahlkraft verloren, Orbán ist nur noch ein hohle
Phrasen dreschende Karikatur seinerselbst.

Was sind die Gründe für den Jobbik-Erfolg?

- Die Wahlbeteiligung legt nahe, dass rund ein Drittel der eigentlich Fidesz zugeschriebenen Stammwähler fern blieb, ein weiterer Teil direkt zu Jobbik überschwang.
- Fidesz macht seit 2010 immer häufiger Jobbik-Politik, erlebbar vom Sozialbereich, über die Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik bis hin zum amtlichen Geschichtsrevisionismus (
Beispiele und weiterführende Links). Die Leute wählten also diesmal gleich das Original (hier kam gegen Fidesz erschwerend die kurz vor der Wahl erfolgte hektische verbale Abgrenzung (Jobbik = Pfeilkreuzler) hinzu, die als sehr verlogen und kalkuliert wahrgenommen wurde und eine Trotzreaktionerzeugte
- die bürgerlich anmutende Weichspülkampagne, die Jobbik seit einiger Zeit fährt, entfaltet Wirkung. Jobbik spielt auf dem Lande die Karte der von Skandalen unbeleckten Volkstribune aus.
- der Finanzsskandal rund um das
Gaunerstück mit Buda-Cash und Quaestor hat Orbán und seiner Partei massiv geschadet, trotz einer krampfhaften Kampagne, den systematischen und amtlich geförderten Anlagebetrug als Sache der "Sozialisten" hinzustellen. Die Fakten, die Verantwortlichkeiten und die Chronologie der Ereignisse sprechen eine sehr klare Sprache, die Orbán und seine Partei zu Mittätern machen.
- weitere Korruptions- und Amtsmissbrauchsfälle von hohen Amtsträgern sowie dumme politische Entscheidungen von Ringautobahn-Maut bis
Sonntagsschließung von Geschäften verärgerten das Fidesz-Wahlvolk auch außerhalb ideologischer Grundsatzüberlegungen
- die Linke, von alteingesessen, über jung-aktionistisch bis gemäßigt liberal, bleibt schwach, zersplittert und weitgehend unglaubwürdig, sie ist für enttäuschte Fidesz-Wähler nach Jobbik und Nichtwählen meist nur dritte Alternative
-
Mangelnde Abgrenzung von Fidesz und Jobbik

Fürsprecher des Fidesz machen für den Jobbik-Aufschwung auch - und zuerst - die Linke verantwortlich, die - namentlich die MSZP - erklärt hatte, nicht in Jobbik sondern in Fidesz den Hauptgegner definieren zu müssen. Diese "Anwälte Orbáns" verkennen aber, dass Jobbik ein Produkt von Fidesz, ein Instrument dessen berechnender Machtpolitik ist. Die Neonazi-Partei hatte von Anfang an eine klar definierte Aufgabe im Machtpoker: sie muss oppositionelles Protest-Potential jenseits der linksliberalen Opposition binden. Jobbik ist also das Symptom, Fidesz die Ursache.

 

Die Linke ist - für alle sichtbar - schlicht politisch unfähig, am womöglich falsch definierten Feinbild liegt es allerdings nicht. Doch taugt diese Erklärung den ewigen Relativierern, die glauben, sie könnten so die inharente Nähe des bürgerlichen Lagers zum rechten Extremismus als ihrem letzten Rettungsanker für den Systemerhalt negieren. Die Geschichte straft sie Lügen - die Gegenwart auch. In Ungarn herrschen heute Weimarer Zustände, auf den Straßen ebenso wie in den Hinterzimmern der Macht, bald dürften sie auch im Parlament sichtbar werden.

Denn hält die Entwicklung so an, wird Orbán spätestens 2018 in eine Situation geraten, in der er seine Macht nur noch mit den Stimmen der Jobbik aufrecht erhalten kann, sogar Jobbik als stärkste politische Kraft ist möglich, wenn auch nicht sehr wahrscheinlich. Orbán wird nicht zögern, eine solche Koalition einzugehen, auch wenn diese nicht so heißen wird. Die Geister, die er rief, wird er nun nicht wieder los. Die EVP-Parteienfamilie trägt an dieser Entwicklung, durch Duldung und auch aktive Unterstützung, ihren Anteil. Wieder einmal.

red.

 

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