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(c) Pester Lloyd / 29 - 2015     POLITIK    13.07.2015

 

"Rechter Sektor" lieferte sich Gefechte unweit der Grenze der Ukraine zu Ungarn und Polen

Greift die Ukraine-Krise bald auf EU-Gebiet über? Bewaffnete Machtkämpfe des rechtsextremen "Rechten Sektors" mit Regierungstruppen und lokalen Strukturen erreichten nun auch die Westukraine, mehrere Kämpfer sollen in die EU geflüchtet sein. Der Führer der Paramilitärs sieht nicht nur seine politische Rolle schwinden, sondern auch den Einfluss auf lukrative Schmugglergeschäfte.

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Ausgebrannte Fahrzeuge und ein Armeeposten an der Straße von Mukachevo nach Lviv / Lemberg

 

Die ungarischen und die polnischen Grenztruppen haben ihre Kräfte an der ukrainischen Grenze seit dem Wochenende deutlich verstärkt. Grund sind bewaffnete Konflikte zwischen ukrainischen Regierungstruppen, Polizei und paramlitärischen Gruppen des "Rechten Sektors". Bei Gefechten in Mukatschewe / Mukachevo (70% Ukrainer, 9% Russen, 8% Ungarn), nur 40 Kilometer von der ungarischen und rund 80 Kilometer von der polnischen Grenze entfernt, kamen am Samstag mindestens drei Angehörige der rechtsextremen, paramilitärischen Einheit ums Leben, elf Verletzte auf beiden Seiten sind bisher bestätigt.

Die Angriffe richteten sich, unbestätigten Berichten zufolge, auf mehrere Behördeneinrichtungen, darunter eine Polizeistation und eine Bezirksverwaltung, zwei Polizeifahrzeuge sollen mit Panzerfäusten zerstört worden seien, andere wurden abgebrannt. Zeugen sprechen von "Kriegsgefechten". Nachdem reguläre Truppen die Angreifer zurückgedrängt haben, sollen etliche davon "in die Berge" geflohen sein, allerdings gibt es auch Nachrichten, dass mehrere in zivilen Fahrzeugen die ungarische Grenze überquert haben. Die ungarischen Behörden wollen diesen nun nachgehen und verstärkte Personenkontrollen an den Grenzübergängen durchführen. Wie man allerdings kurzfristig Grenzverletzungen über die grüne Grenze verhindern will, ließ Budapest offen.

Der "rechte Sektor" war beim Kampf gegen Präsident Janukowitsch 2014 ein treibender Faktor der Oppositionsseite und wurde auch vom Westen als Mittel zum Zwecl geduldet. Nach den Wahlen versuchte Präsident Poroschenko und die ihm loyalen Minister die Gruppe immer mehr ins Abseits zu stellen, auch wegen der Kritik der westlichen Unterstützer, die den russischen Vorwürfen begegnen wollten, sie würden sich der Hilfe "faschistischer Kräfte" bei der Durchsetzung ihrer Interessen in der Ukraine bedienen.

In den vergangenen Wochen eskalierten die Machtkämnpfe, nachdem Verhandlungen des Führers des Rechten Sektors, Dmitro Yarosh mit Präsident  Poroschenko über den künftigen Status der Gruppe gescheitert waren. Yarosh, der nach den Euromaidan-Protesten auch im Osten des Landes kämpfte und dessen Einheiten mit massiven Menschenrechtsverletzungen - u.a. im Umgang mit Zivilisten und Kriegsgefangenen in Verbindung gebracht werden, errang bei den Wahlen 2014 ein Direktmandat für das ukrainische Parlament, wurde aber - trotz seiner Forderungen - nicht für ein Ministeramt berücksichtigt. Seine Kämpfer wurden außerdem aus dem Osten abgezogen, weil sie nicht steuerbar waren.

Die ukrainischen Medien berichten über den Vorfall auch, allerdings scheint der Informationsfluss dünn. Die Angaben über die Anzahl der Kämpfer, die sich in der Westukraine, dem Bezirk Transkarpatien, auch Karpatoukraine genannt, Stützpunkte einrichten wollen, schwanken von ein paar Dutzend bis zu mehreren Hundert. Angeblich haben Kämpfer des RS an einer Ausfallstraße Kiews einen "Checkpoint" errichtet, um das Nachrücken von regulären Einheiten gen Westen zu verhindern, dennoch sei eine Kolonne mit einem Dutzend Fahrzeuge unterwegs.

Einige Quellen berichten davon, dass die Kämpfe in Mukachevo dem Rechten Sektor dazu dienten, die Hoheit über Schmugglerrouten für Zigaretten von lokalen Mafiosi zurück zu erobern. Dabei geht es um wöchentlich mehrere LKW-Ladungen Zigaretten, die über Polen, die Slowakei und Ungarn Richtung Deutschland transportiert werden, was ein Millionengeschäft darstellt. Der RS stellte es nun so dar, dass man nur Recht und Ordnung herstellen wollte.

Sektor-Führer Yarosh verlangte indes "Aufklärung" über die Hintergründe der Kämpfe und behauptet, dass seine Leute zu Unrecht angegriffen wurden, um "beseitigt" zu werden. Er fordert den Rücktritt des Innenministers Arsen Avakov und der regionalen Polizeiführung sowie die Verhaftung des Abgeordneten Michail Lano, der als einer der Hauptgegner des Rechten Sektors gilt. Yarosh drohte, dass andernfalls auch im Westen ein "Auseinanderfallen" der Ukraine zu befürchten sei.

Die Anhänger seiner Gruppe rief er zu landesweiten Protesten auf, doch nur rund 100 Menschen folgten bisher. Aufforderungen aus Kiew, ihre Waffen abzugeben und Straßensperren sowie ihre "Stützpunkte" im Westen aufzugeben, schlugen die Kämpfer aus. Angeblich setzt die Regierung auf Verhandlungen hinter verschlossenen Türen, blockiert aber weiter die vermuteten Stellungen der Outlaws in der Westukraine.

Den Separatisten in der Ostukraine und damit auch Russland spielt Yarosh mit seiner Schauplatzverlagerung in den Westen in die Hände, denn so werden nicht nur ukrainische Truppen im Westen des Landes gebunden, sondern es gerät die Kiewer Regierung durch eine drohende weitere Sezession in den Transkarpaten auch politisch unter Druck. Absprachen des RS mit dem "Feind" liegen, nach den Erfahrungen, die man mit dieser Truppe hinsichtlich Loyalität und Käuflichkeit bisher gemacht hat, durchaus im Bereich des Möglichen. Dass Moskau keine Skrupel hat, mir rechtsextremen und nationalistischen Bewegungen informelle und materielle Bündnisse einzugehen, wurde u.a. durch die Verbindungen zu ungarischen Rechtsextremisten belegt. Mehr dazu
hier, hier und hier.

Hintergründe:

 

Ungarns Außenminister Szijjártó hat dieser Tage bei einem Treffen mit der US-Außenpolitikern Nuland (Fuck the EU...) nochmals betont, keine Waffen an die Ukraine liefern zu wollen. Allerdings verkaufte die ungarische Armee vor einigen Monaten rund 100 Panzer an eine Firma in Tschechien, die dieses Gerät mutmaßlich nach Kiew weiterleitete.

Vor allem am Beginn der Ukraine-Krise und des Konfliktes mit Russland hatte Premier Orbán sein Land - in maßloser Selbstüberschätzung - durch seine Russland-Nähe und ungeschickte
Bemerkungen über "Autonomierechte", die offene Ablehnung der EU-Sanktionen und das Unterlaufen der russischen Gegensanktionen, immer wieder in Schwierigkeiten gebracht. Im Mai 2014 operierten sogar ungarische Spezialkräfte in der Ostukraine. Seitdem versucht sich Orbán mit einer Art Schaukelpolitik durch die Krise zu lavieren und dabei möglichst weder die EU und NATO, noch Moskau, von dem er u.a. durch einen 10 Mrd. EUR-Kredit abhängig ist, zu verärgern. Mehr dazu.

Dabei wird von Budapest stets die (selbst zugeteilte) Verantwortung für die rund 150.000 ethnischen Ungarn in der Westukraine betont. Sowohl bei der
Mobilisierungspraxis Kiews als auch bei der Verteilung von Hilfsgütern kam es dabei zum Streit mit Kiew. Die Aktionen Kiews qualifizierte Orbáns Kanzler Lázár zuletzt als "antiungarische Aktivitäten", gegen die er auch die Geheimdienste einsetze will. Mehr dazu.

Auch der
illegale Verkauf ungarischer (EU)-Pässe ist ein lohnendes Geschäft in der sonst bitterarmen Region In die Vorgänge sollen auch ungarische Beamte und Rechtsanwälte verwickelt sein sowie russische und ukrainische “Geschäftsleute”.

red.


 



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