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(c) Pester Lloyd / 36 - 2015   POLITIK    02.09.2015

 

Internierung, Kriminalisierung, Willkür: Was bedeutet Ungarns neues Grenzregime?

Mit 13 Eilgesetzen will die Regierung Orbán ab Mitte des Monats der außer Kontrolle geratenen, bzw. gebrachten Flüchtlingswelle begegnen. Wir haben die Maßnahmen zusammengefasst. Sie enthalten etliche Passagen, die der Exekutive Raum für Willkür geben, Vieles verstößt zudem gegen Flüchtlings-, Verfassungs- und Menschenrechte. Aber das ist Orbán genauso egal wie der EU und dem Westen.

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Die ungarische Regierung behauptet: Wir können, allein gelassen von der EU und überrannt von "Kulturfremden", nicht mehr anders als einen "Notstand" auszurufen. Die Kritiker glauben: sie wollen nicht anders, der "Notstand" wird kreiert. Für den Westen ist die Sache bequem: geht der Plan auf, hält Ungarn weitere Flüchtlingsmassen ab, geht es schief und die Sache eskaliert, kann man Orbán - einmal mehr - die Schuld zuschieben. Der Premier geht das Risiko jedoch nicht ungern ein, denn je mehr Chaos und Angst im Lande herrscht, umso mehr wird seine starke Hand gefragt sein.

Angst ist die Basis von Orbáns Macht, nachdem die Hoffnung abhanden kam. Für ihn ist der “Notstand” ein Testlauf wie weit sich die Verfassung dehnen lässt, um "Nostandsmaßnahmen" umzusetzen. Vielleicht braucht er das ja einmal auch für andere Zwecke, zum Beispiel zur Aufrechterhaltung seiner sorgsam errichteten Nationalkleptokratie. Ganz nebenbei wird so die informelle Koalition mit der neonazistischen Jobbik verstärkt. Auch die ist ein wichtiger Machtfaktor für die Zukunft.

Dass das grundlegende Recht auf Asyl, das Schicksal traumatisierter Kriegsflüchtlinge - unter denen sich sehr viele Kinder befinden - dabei völlig unter die Räder kommt, interessiert weder Orbán, noch - offensichtlich - die EU, deren Player mit den Fingern aufeinander zeigen und sich einen Wettbewerb in Untätigkeit, Hilflosigkeit und totaler Inkompetenz liefern.

Doch zur Sache: Ab 15. September, dem "Ende der Gnadenfrist", wie es Kanzler Lázár verkündete, werden im Wesentlichen folgende Regelungen gültig sein, deren Beschluss bei der zweiten außerordentlichen Parlamentssitzung zum Thema, am Freitag, gefasst werden soll.

> Die Einreise nach Ungarn wird nur an Grenzübergangs- bzw. speziellen Registrierungsstellen legal möglich sein, die alle rund 30 Kilometer entlang der serbischen Grenze eingerichtet werden. Wer dort einen Asylantrag bzw. die sog. Erstregistrierung verweigert, wird umgehend und "mit allen erforderlichen Mitteln" abgewiesen.

> Wer den Antrag stellt, bleibt für die Dauer des auf maximal 4-10 Tage zu verkürzenden Kontroll- bzw. Asylverfahrens, bei dem es dann kaum einen Zugang zu Rechtsmitteln noch eine aktive -beratung gibt, in einem rund 60 Meter breiten Streifen unmittelbar an der Grenze interniert und wird dort notversorgt.

> Wer anderswo die Grenze übertritt, den 60-Meter-Korridor eigenmächtig verlässt oder die Grenzbefestigungen beschädigt wird als "illegaler Eindringling" zum Straftäter, das Strafmaß wurde auf 1-4 Jahre angehoben. Das gilt übrigens auch für den Übertritt über die ungesicherten Grenzen von Kroatien und Rumänien. Wer Auskünfte zu anderen "Illegalen" oder Schleppern verweigert, wird ebenfalls als Straftäter geführt. Das Begehen einer Straftat hat zudem die automatische Ablehnung des Asylantrages zur Folge, ergo: Abschiebung. Kritiker sehen hierin ein Vehikel, das zur Willkür und pauschalen Ablehnung geradezu einlädt.

> Abgelehnte Asylbewerber und all jene "ohne jede Aussicht oder das Recht auf einen Aufenthalt" sollen umgehend an der Grenze abgewiesen oder abgeschoben werden. Das - besonders perfide - das betrifft alle Flüchtlinge, die aus sicheren "Transit- oder Herkunfsländern" kommen, definiert nach Fidesz-Dekret. Das sind alle Länder des Balkans, somit praktisch alle Flüchtlinge. Was der zwangsläufig daraus folgende Rückstau für diese Länder bedeutet, kann man sich ausmalen.

> Die geplanten Abschiebungen bereits auf ungarischem Territorium gefasster "Illegaler" müsste normalerweise in einer geregelten Übernahmeprozedur mit dem Nachbar- bzw. Aufnahmeland behördlich und verfahrenstechnisch abgewickelt werden. Es ist daher völlig unklar, was die Regierung mit "unmittelbarer Abschiebung" meint, wenn nicht die "Deportation".

 

> Personen, die "Illegalen Eindringlingen" Unterschlupf oder "Fluchthilfe" gewähren, werden als Schlepper identifiziert, es droht eine Haftstrafe bis zu 4 Jahren. Kritiker werfen der Regierung hier eine besonders schwammige Formulierung vor, sogar das Darreichen einer Flasche Mineralwasser oder der gestattete Gang zum privaten WC könnte so als Fluchthilfe interpretiert werden. Dabei erhält die Polizei u.a. auch die Vollmacht bei "Verdachtsmomenten" ohne jeden Durchsuchungsbefehl Häuser und Privatgelände zu stürmen und zu dursuchen.

> Verteiler von Spenden werden als “Erbringer kommerzieller Dienstleistungen” behandelt und müssen gewerblich angemeldet sein (?!)

> Die Gesetze treten mit der Ausrufung eines "Einwanderungsnotstandes" in Kraft, eine staatliche Alarm-Kategorie, die erst geschaffen wird, sie beinhaltet auch den besonders umstrittenen Einsatz des Militärs gegen zivile Flüchtlinge. Die Details zu diesem verfassungsrechtlich heikelsten Abschnitt entnehmen Sie bitte
diesem Beitrag.

red.
 



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