Hauptmenü

 

Das Pester Lloyd Archiv ab 1854

Ost-West-Drehscheibe
Pester Lloyd Stellenmarkt

 

andrassy2015neu2

 

(c) Pester Lloyd / 38 - 2015   POLITIK    21.09.2015

 

Säbelrasseln des "Autisten": Ungarn überwirft sich im Flüchtlingschaos mit seinen Nachbarn und steuert auf Vier-Fronten-"Krieg" zu

Das von der ungarischen Regierung unter dem Vorwand des "Notstandes" installierte Chaos beim Umgang mit den Flüchtlingen trieb am Wochenende absurde Blüten. Weder Zaun, noch Soldaten hielten auch nur einen Ankömmling auf, nur werden sie jetzt im Kreis durch Pannonien und den Balkan gejagt. Den Abnehmer Österreich ignoriert man dabei, mit Serbien ist man böse, Rumänien wird zurechtgestutzt, doch gegen Kroatien fährt man schweres Geschütz auf.

40grenze2 (Andere)

Einsatztaktisch kompletter Unsinn, aber politisch gewollt: Gefechtsbereites Militär mit letalen Waffen an der Grenze zu Kroatien

 

Die nach wie vor in hoher Zahl aus Griechenland und Mazedonien, über Serbien strömenden Flüchtlinge, durch den Zaun auf alternative Routen gezwungen, wichen geographisch zwingend nun über Kroatien aus, das sich selbst völlig überfordert von der schieren Menge an Ankommenden gab und die hehren Worte seines Premiers, allen die Passage zu gewähren, nur teilweise - und nicht auf direktem Wege - Taten folgen ließ.

Während einige tausend Menschen über Slowenien, das sich nur sehr ungern mit hineinziehen ließ, gen Westen weiterreisen konnten, wurden viele andere zunächst in Registrierungslager unweit der Hauptstadt Zagreb gebracht, die meisten wiederum - sowohl aus Serbien wie aus Ungarn kommende - nach Ungarn (zurück) gebracht, von wo Busse, Züge, Menschenkolonnen umgehend an die österreichische Grenze expediert wurden. Dort kamen am Wochenende rund 20.000 Menschen an, die meisten von ihnen reisten Richtung Deutschland weiter, einige Tausend harren in Österreich aus.

40grenze3Ungarn überwirft sich bei der Abwicklung mit sämtlichen Nachbarn. Viel zu milde ausgedrückt: Ungarn wird von allen Nachbarn attackiert und / oder im Stich gelassen und macht alles alleine. Die Kommunikation mit Österreich hat man allerdings weitgehend eingestellt, Serbien nimmt man noch immer das Nichteinschreiten der Polizei bei den gewalttätig augearteten Vorkommnissen vom Mittwoch übel. Budapest bleibt bei der Version, dass es ein "Überfall bewaffneter Krimineller", unter denen auch Terroristen gewesen sein sollen, war. Das ist mittlerweile als Legende widerlegt. Zwar gingen von einigen Dutzend Flüchtlingen Straftaten aus, den ersten "Schlag" führten jedoch Einheiten des Antiterrorzentrums TÉK aus.

Besonders heftig schießt sich Budapest aber auf Kroatien ein. Regierungssprecher Kovács und Außenminister Szijjártó warfen dem EU-Nachbarn u.a. staatlichen organisierte Schlepperei, Verstoß gegen völkerrechtliche Vereinbarungen und bösartige Aktionen vor. Kroatien "flute" gezielt Ungarn mit Flüchtlingen und setze dabei illegale Methoden ein, die "Ungarns Souveränität untergraben". Mit Kroatien sei jedes Gesprächs vergebens, so der Außenminister. Zagreb gab zurück: wir werden weiter Flüchtlinge nach Ungarn schicken, warum sollte Kroatien die Lasten tragen, die durch den ungarischen Grenzzaun entstehen...

Am Freitag, als mit einem kroatischen Zug wieder einmal hunderte Flüchtlinge nach Ungarn gebracht wurden, will die ungarische Armee die 40 sie begleitenden kroatischen Polizisten "entwaffnet und verhaftet" haben, was sich später als testosterongesteuerter Wahnwunsch von Regierungssprecher Kovács heraustellte und so nie stattfand. Es fand eine Übergabe statt, woraufhin der Grenzkommandant die kroatischen Kollegen formal zum Verlassen des ungarischen Hoheitsgebietes aufforderte, was geordnet erfolgte.

Orbán ließ die Honvéd erneut mit den Muskeln spielen, gepanzerte Fahrzeuge wurden aufgefahren, Soldaten patrouillieren mit Sturmgewehren im Anschlag, Kampfhubschrauber flogen in Formation die Grenze ab. Weniger Flüchtlinge kommen dennoch nicht...

40grenze1


Am Sonntag öffnete Ungarn einen Teil des Grenzüberganges in Röszke wieder und nahm bis zum Montagmorgen 107 Menschen fest, nur ein paar stellten "Prüfanträge" (eine Farce, ohne Aussicht auf rechtsstaatliches Verfahren) und kamen in Transitgewahrsam, der Rest wurde verhaftet und den Schnellverfahren sowie dann der Abschiebung zugeführt. Die Grenzöffnung in Röszke diente jedoch in erster Linie der Öffnung des bilateralen Verkehrs, es hatten sich nämlich bereits Vertreter der Wirtschaft, aber auch der ungarischen Minderheit in der Vojvodina beklagt, dass Orbáns Zaun jetzt auch die "Blutsbrüder" dies- und jenseits der Grenze trennt, was wohl kaum im Sinne des Erfinders sein sollte.

Ungarns Außenminister hat inzwischen ständig irgendwelche Botschafter vorzuladen, die es wagen, ungarische Politik zu kritisieren, diesmal u.a. den schwedischen, griechischen und - wieder einmal - den rumänischen. Rumäniens Außenminister Bogdan Aurescu nannte Ungarns Zaunbau am Samstag einen "Akt des politischen Autismus", der gegen "den europäischen Geist" gericht ist. Neurologische und psychatrische Analysen über die Entscheidungen des "Politbüros" hat man in Budapest indes nicht so gern. Szijjártós Antwort: Euer Premier ist Gegenstand strafrechtlicher Ermittlungen, also: Psst. und außerdem "Sind wir ein 1000 jähriger Staat, der sich und Europa stets verteidigt hat - das wird diesmal nicht anders sein, ob es Rumänien passt oder nicht." (Subtext: Rumänien ist gar kein richtiger Staat, eh fast alles Ungarn). Den Griechen lud er nur deshalb vor, weil er (es war der Geschäftsräger der Botschaft) sagte, dass Griechenland sehr wohl seine Grenzen schützt. Humor hat man in Ungarn offenbar auch keinen mehr.

Die Zahlen des Landespolizeikommandanten bis Sonntag 6 Uhr: 217.382 "illegale Einwanderer" wurden 2015 aufgegriffen, davon 201.335 an der serbischen Grenze, 15.833 an der kroatischen. Am Samstag jedoch waren es nur 166 an der serbischen, dafür aber 4.740 über die kroatische Grenze. Am Sonntag bis 6 Uhr morgens nochmals 105 an der serbischen, weitere 3.1000 an der kroatischen Grenze. Gegen 140 "Migranten" wurden seit 15. September Schnellverfahren eingeleitet.

 

Der Grenzzaun wird mit hunderten Soldaten gen Rumänien und Kroatien ausgebaut, die vom Polizeichef vorgelegten Zahlen dienen dafür als Rechtfertigung. Dass diese Umleitungen einfach eine Folge der eigenen Butätigkeit sind: nein - alles böse Absicht. Jeweils werden zunächst nur einige Dutzend Kilometer bis zu natürlichen Hindernissen, also Flüssen verdrahtet, dann sieht man weiter. Insgesamt wurden bereits knapp 1000 Reservisten einberufen, sie sollen die Kasernen auffüllen, während die Profis den NATO-Draht verlegen.

Für den Abend hat die Partei DK von Ex-Premier Gyurcsány, der sich u.a. durch die demonstrative Aufnahme von Flüchtlingen in seiner Villa in Buda, aber auch mit Ortsterminen im südungarischen Buschwerk befleißigt, von der Flüchtlingskrise politisch zu profitieren, zu einer Menschenkette rund ums Parlament augerufen. (18 Uhr). Motto: "Wir wollen keinen Krieg." - Nicht nur Gyurcsány, auch immer mehr Kommentatoren sprechen von Kriegstreiberei und einer gefährlichen Eskalation, wobei Orbán letztlich auf einen Vier-Fronten-Krieg zusteuerere: gegen die Flüchtlinge, gegen die Nachbarländer, gegen das eigene Volk (nicht im Sinne mangelnder Zustimmung, wohl aber durch den objektiven Abbau von Rechten), gegen Europa....

Akutelle Infos und Links zu weiterführenden Artikeln hier.

red.


Unabhängiger Journalismus braucht
die Hilfe seiner Leserinnen und Leser!
18watchingYoupl (Andere)
Bitte unterstützen auch Sie den PESTER LLOYD!



 

 

 

Effizient werben im
Pester Lloyd!
Mehr.

Unterstützen Sie den Pester Lloyd!