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(c) Pester Lloyd / 14 - 2011  GESELLSCHAFT 08.04.2011

KOMMENTARE

Perspektiven statt Interventionen

Forderungen zum Internationalen Tag der Roma an die EU

Am 8. April begeht die Welt auf verschiedene Weise und mit unterschiedlicher Empathie den Internationalen Tag der Roma. Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma hat ein Arbeitspapier zur EU-Strategie zur Verbesserung deren Lage vorgelegt und will damit die Debatte voranbringen. Das ist allein schon deshalb wichtig, weil die Roma ihre Interessen mangels direkter oder qualifizierter Vertretung in den Problemländern kaum hörbar selbst darstellen können.

Ausganspunkt für das Arbeitspapier ist die berechtigte Kritik des Zentralrats daran, dass die miserable Lage in den meisten Ländern und bei der Europäischen Union erst recht bekannt ist. Genauso schlimm findet man, dass es zwar "eine Vielzahl von Fördermöglichkeiten" gibt, sowohl "auf gesetzlicher Basis als auch aus EU-Funds und Programmen", doch die EU kaum Konsequenzen daraus zieht, dass die "Programme in der Regel kaum eine Wirkung auf der lokalen Ebene zeigen."

Beisetzung von Opfern der Mordanschläge 2008/2009, die gerade vor Gericht verhandelt werden

Der Zentralrat erwähnt zu Beginn des Papiers einen Punkt, auf den wir immer wieder hingewiesen haben, nämlich, dass "die mangelhafte Umsetzung nationaler Strategien (...) nicht dazu führen darf", "daß einzelne Länder ihre unmittelbare Verantwortung an die Europäische Union weiterzugeben versuchen, indem sie Roma als „europäisches Problem“ darstellen und dafür eine „europäische Lösung“ verlangen." Denn: "Roma und Sinti sind keine „europäische Minderheit“, sondern nationale Minderheiten in ihren jeweiligen Heimatländern. Sie müssen in ihren jeweiligen Heimatländern nicht nur nach dem Gesetz sondern auch in der politischen und gesellschaftlichen Praxis als nationale Minderheiten anerkannt werden...".

Weiter heißt es:

"Aktuell wird die Lage der Roma in Europa wieder in einigen Ländern und von einigen Regierungen als vorgeblich soziales Problem diskutiert, Strategien werden auf die soziale Dimension fokussiert. Diese Diskussion hat zwei Kernbegriffe: Armut und (traditionelle) Lebensweise. Die Durchsetzung sozialer Rechte ist zweifellos ein integraler Bestandteil der Menschenrechtsarbeit; gleichwohl hat die aktuelle Diskussion die altbekannte Tendenz, die Ursachen für die benachteiligte Lage den betroffenen Roma selbst zuzuschreiben: die traditionelle Lebensweise wird in der Regel als Ursache für Bildungsferne und mangelnde Berufsqualifikation benannt, die letztlich wiederum der Hauptgrund sei für Armut und Ausgrenzung. Eine solche Argumentation führt die Stigmatisierung der Minderheit fort, indem sie den bestehenden Rassismus und Diskriminierung ausblendet oder als nachrangig einschätzt."

Versagen von Programmen und Projekten, in Ungarn kamen nur 10% an

"Die Situation großer Teile der Roma-Bevölkerungen in den verschiedenen Ländern Europas hat sich während der letzten zwanzig Jahre erheblich verschlechtert. Die heute bestehenden Ghettos in den großen Städten vieler Regionen (Bukarest, Sofia, &ct) entstanden durch den Zuzug verarmter und arbeitsloser Roma-Familien aus Regionen, in denen Industrien und Landwirtschaft zusammenbrachen.  In den ländlichen Regionen sind massive Armutsgebiete entstanden. Die seit Jahrzehnten bestehenden Programme und Projekte vieler internationaler Einrichtungen (EU, Weltbank, OSI, UNDP &ct) haben die Lage nicht grundsätzlich verändert. Kritisiert wird vor allen Dingen, daß die Gelder nur zu einem kleinen Teil die Roma-Gemeinschaften auf lokaler Ebene erreicht haben.

Hier braucht man nicht über Infrastruktur, Arbeit, Bildung sprechen. Hier muss erstmal die Staatshoheit und das Recht auf Leben und Unversehrtheit wiederhergestellt werden. Gyöngyöspata in Ungarn, im März 2011

In Ungarn kritisierte der nationale Rechnungshof, daß nur 10% der Mittel bei Roma-Gemeinschaften angekommen seien; ähnliche Berichte liegen aus einer Reihe anderer Länder vor.  Als Ursachen werden genannt: mangelnder politischer Wille zur Verbesserung der Lage von Roma in den jeweiligen Mitgliedsstaaten; fehlende Ressourcen und Kapazitäten, um die vorhandenen Mittel abzurufen und adäquat einzusetzen; ein hohes Maß an Korruption in einer Reihe von Mitgliedsstaaten; fehlendes Monitoring und Evaluation der Projekte und Programme; schließlich und vor allen Dingen die mangelnde Beteiligung der Roma-Gemeinschaften an der Planung und Durchführung.

Aktueller Rassismus, nicht nur bei explizit Rechten

Seit einigen Jahren gibt es einen zunehmenden Schub von Rassismus und Nationalismus, der sich besonders gegen Roma richtet, und zwar europaweit. In mehreren Ländern wurden Roma Opfer rassistisch motivierter Mordanschläge. Rechtsextreme politische Parteien führen Kampagnen gegen Juden und Roma; letztes Beispiel war die Demonstration gegen „Roma Terror“ in Bulgarien, organisiert von “Bulgarian National Union Attack” und “Civic Initiative „Equal Rights and Responsibilities”.

Rassistische Positionen finden zunehmend Eingang auch in Parteien, die nicht der extremen Rechten angehören. Die Beispiele aus Frankreich und Italien zeigen, daß Stigmatisierung und Diskriminierung der Roma-Minderheit auch in Westeuropa zum Repertoire der politischen Entscheidungsträger gehört. Rechtliche Maßnahmen gegen Diskriminierung In einer Vielzahl von Ländern der Europäischen Gemeinschaft kommt es immer wieder zu Diskriminierungen durch staatliche Behörden. Besorgniserregend ist es, daß inzwischen wieder Minister verschiedener Staaten offen einen Zusammenhang zwischen ethnischer Zugehörigkeit und Kriminalität in der Öffentlichkeit herstellen.

Allgemeines Diskriminierungsverbot gibt es bisher noch nicht

Die derzeitige EU-Richtlinie gegen Rassismus und Diskriminierung (2000/43) gilt nur für privatrechtliche Rechtsgeschäfte und das Arbeitsrecht. Um wirksamen Schutz und gegebenenfalls einklagbare Unterlassungsansprüche (und Schadensersatz) gegen Handeln von Behörden und staatlichen Stellen zu garantieren, wäre eine Erweiterung der bestehenden Richtlinien erforderlich. Eine entsprechend erweiterte Richtlinie würde die Staaten verbindlich zur Schaffung gesetzlicher Regelungen verpflichten, die Betroffene gegen diskriminierende oder rassistische staatliche Praktiken jeder Art schützen – einschließlich des Schutzes vor diskriminierenden Verlautbarungen und entsprechender Berichterstattung durch Regierungsstellen, Polizei und andere Behörden. Ein derartiges allgemeines Diskriminierungsverbot gibt es bisher nicht. (...)

Ein weiterer wesentlicher Grund für die Zunahme von Diskriminierungen und rassistischer Gewalt gegenüber Roma und Sinti ist das Fortbestehen von Klischees und Vorurteilen über die Minderheit, die vor allem von Medien, veranlaßt durch Behördenberichte verbreitet werden. Die Europäische Gemeinschaft muß zur Bekämpfung solcher diskriminierenden Berichterstattung für alle Mitgliedsstaaten Maßnahmen vorgeben, die insbesondere die Minderheitenkennzeichnung Beschuldigter in Behörden- und Medienberichten konkret untersagen.

Problem der Implementierung von Strategien und Programmen: NGOs und Gemeinden werden ausgeschlossen

Die bestehenden Instrumente der Europäischen Union, wie Sozialfonds (ESF), Regional- und Kohäsionsfunds (EFRE) werden von den Mitgliedsstaaten nur unzureichend genutzt, um die Lage der Romagruppen zu verbessern. Ursachen sind mangelnder politischer Wille der verschiedenen Regierungen, Inkompetenz und Korruption sowie fehlende Strukturen, die eine direkte Beteiligung der Roma und ihrer Organisationen nachhaltig ermöglichen. Hinzu kommt die Komplexität des EU-Antragsverfahrens, das kleinere NGOs ebenso ausschließt wie kleinere Städte und Gemeinden. Das bisherige Verfahren der Europäischen Kommission, Projekte und Programme in der Regel über Tender auszuschreiben, ist den Problemen insbesondere der ärmeren Gruppen nicht angemessen. Die Projekte sind nicht langfristig angelegt. Die Verbesserung der Lage von Roma bedarf einer langfristigen und gesicherten Perspektive, was besonders in benachteiligten Regionen unerläßlich ist.

Aufbau nachhaltiger Strukturen der Selbstbestimmung

Die Projekte sind bislang in der Regel einmalige Interventionen. Die sind nicht vernetzt und fokussieren auf lediglich einen Aspekt. Dagegen ist vor Ort ein umfassender Ansatz unerläßlich, der die Bereiche Bildung, Arbeit und Einkommen, Gesundheit sowie Wohnen und Infrastruktur umfaßt. Die gleichberechtigte Teilnahme von Roma ist unerläßlich für ein nachhaltiges Programm. Hierfür sind lokal, national und international entsprechende stabile Strukturen unerläßlich, um das notwendige Wissen zu erwerben und langfristig weiter nutzen zu können. Dies gilt für alle vier als prioritär benannten Bereiche, ist jedoch bislang nur im Bereich der Bildung durch den Roma Education Fund hinreichend realisiert. (...)

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma regt daher an, die vorhandenen Strukturen des Roma Education Fund (REF) zu nutzen, und sein Mandat zu erweitern. Ausgehend davon, daß im Zentrum der REF-Aktivitäten die Kinder stehen, und daß für das Kindeswohl eine hinreichende Versorgung mit Wohnung unerläßlich ist, wird vorgeschlagen, den Roma Education Fund mit dem Bereich Wohnen langfristig zu beauftragen. Der REF verfügt inzwischen über ein Netzwerk von nationalen und lokalen Partnern und kann Mittel der Europäischen Kommission direkt an den Orten in Wohnprojekte einbringen, an denen er bereits mit Bildungsprojekten aktiv ist. Dabei müssen die beteiligten RomaFamilien, die von Wohnprojekten profitieren sollen, direkt eingebunden sein, sowohl durch Arbeitsverträge als auch durch Qualifizierungsmaßnahmen.

Die notwendige Infrastruktur (Wasser, Strom, Kanalisation, Straßen &ct) muß parallel von den jeweiligen Kommunen aufgebaut werden, was wiederum mit Beteiligung der Roma erfolgen muß. Die nationalen Regierungen müssen ihren politischen Willen zur Förderung ihrer Roma-Minderheiten durch die Auflage entsprechender Infrastrukturprogramme deutlich machen und hierfür die von der Europäischen Union zur Verfügung stehenden Mittel auch abzurufen und gezielt einzusetzen. Die betroffenen Roma-Gruppen müssen an den Arbeiten durch entsprechende Verträge und bezahlte Arbeit beteiligt werden. (...)

Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma empfiehlt langfristig den Aufbau eines Roma Fund, der die vier Bereiche Bildung, Arbeit und Einkommen, Gesundheit sowie Wohnen und Infrastruktur gezielt und in einem ganzheitlichen Ansatz langfristig
bearbeitet." (...)

Quelle: Zentralrat der Sinti und Roma in Deutschland, redaktionell gekürzt und bearbeitet
http://zentralrat.sintiundroma.de/

Aktuelles:

Immernoch fehlt der Wille
Kann eine EU-Romastrategie überhaupt Erfolg haben?

Erste Geständnisse beim Prozess um Romamorde
Machtproben: Nachspiele zum Jobbik-Aufmarsch
Neofaschisten übernehmen Polizeigewalt in Ungarn

ROMA in Ungarn und Ostmitteleuropa - THEMENSEITE
http://www.pesterlloyd.net/portalpolitik/gesellschaft/roma/roma.html

 

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