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(c) Pester Lloyd / 06 - 2012      POLITIK 08.02.2012

 

Charmeoffensive

Gesetzeskosmetik gegen Bargeld: Ungarn versucht einen Deal UPDATE 08.02.12

Die ungarische Regierung schließt offenbar Änderungen an den 32 Kardinalsgesetzen nicht mehr aus, im Handel gegen Finanzhilfen von EU und IWF. Besonders Deutschland wird mit geradezu devoten Gesten umschmeichelt. Nach innen bleibt der Ton unerbittlich. Außerdem bereitet man eine "angemessene" Antwort auf die Vertragsverletzungsverfahren der EU vor. Diese ist auch notwendig, um die Geldgeber umzustimmen.

Es ist sicher kein Zufall, dass innerhalb einer Woche Premierminister Viktor Orbán der französischen “Le Monde” und Außenminister János Mártonyi der “Die Zeit” ein Interview geben, dass sich die Regierung in Hinblick auf die zuvor “heiligen” Kardinalsgesetze kompromissbereit zeigt, Parteien und Sozialpartner zur Diskussion bittet und ihre Antwort auf das EU-Vertragsverletzugsverfahren bereits diese Woche an die Presse flüstert. Dahinter steckt eine Charmeoffensive, die vor allem auf den IWF und die Entscheidungsträger der EU abzielt.

Westerwelle und Martonyi bei einem informellen Ministertreffen im Vorjahr.

Der Sprecher der Fidesz-Fraktion im Parlament, János Lázár, teilte mit, dass gerade "Fünf-Parteien-Gespräche" bezüglich der umstrittensten Kardinalsgesetze, die noch nicht verabschiedet worden sind, durchgeführt werden. Diese Gesetze sind in der Verfassung als "General Acts" verankert und können auch selbst nur durch eine 2/3-Mehrheit geändert werden, was künftigen Regierungen das Regieren bis hin zu den Steuersätzen unmöglich machen könnte, aber auch das Fidesz einmal in Schwierigkeiten bringen wird, wenn sie einmal nicht mehr über die 2/3-Mehrheit an Mandaten verfügt. Premier Orbán argumentierte noch kürzlich, dass eine Änderung daran schlicht "unmöglich" sei, eben weil sie Teil der Verfassung sind.

Die neue „Konsenspolitik“, bei der gestern auch wieder Arbeitgeber- und (ausgesuchte) Arbeitnehmervertreter medienwirksam zum vorgetäuschten Dialog geholt wurden, soll Ungarns außen- und innenpolitische Situation stabilisieren. Ungarns Ziel ist es, zu einem Ausgleich und einem Konsens mit Brüssel, Paris, Berlin und seinen Nachbarn zu kommen und in eine weniger konfliktreichen Zukunft zu steuern.

 

Eine “neue Allianz mit Deutschland” ist dabei eines der Hauptziele. Dafür wäre es notwendig Deutschlands Bedenken bezüglich der demokratischen Situation in Ungarn zu zerstreuen und dessen Rückendeckung innerhalb der EU zu bekommen. Dies wird Fraktionschef Lázar auch nächste Woche bei einem Treffen mit den CDU/CSU-Kollegen, nächste Woche in Deutschland besprechen. Auf die Hilfe und “uneingeschränkte” Solidarität der Schwesterpartei war bisher immer Verlass, deren Vertretern im Zweifel die Kameraderie über den Zustand der Demokratie in Ungarn geht.

Überhaupt hat Lázár, als Orbáns Kettenhund bisher eher von der groben Art, zumindest außenpolitisch gerade eine Portion Kreide gefressen, denn erstmals sagte er, dass man “Fehler, die wir gemacht haben” in den nächsten zwei Jahren korrigieren werde, ohne zu vergessen hinzuzufügen, dass sich gute Politiker dadurch auszeichnen, Fehler eingestehen zu können. Fehler, eine Vokabel, die es auf sich bezogen, bei dieser Regierung - wie generell bei Regierungen - bisher nicht gegeben hat.

Wie schon in Frankreich, darf Deutschland auch in Ungarn als großes Vorbild herhalten, schließlich sind die “Interessen deutscher Investoren” für Ungarn von “vitaler Bedeutung”, ja, man denke sogar darüber nach bzw. hat man schon im Visier, deutsche Berater um Premier Orbán zu scharen.

Premier Orbán lud am Montag zu “Konsultationen”. Mit dabei der schwerreiche Arbeitgeberpräsident Sándor Demján und hinter ihm (verdeckt), István Gaskó, Chef der LIGA, der Lieblings-Gewerkschaftskonföderation des Regierungschefs, die ihm aus der Hand frisst. Foto: MTI

Devote Gesten gegenüber Deutschland

Am Dienstag trafen sich die Außenminister Martonyi und Westerwelle in Deutschland, wobei Westerwelle seinen Amtskollegen aufforderte, die EU-Bedenken zu zerstreuen und die beanstandeten Gesetze “zu bereinigen”. Es war nicht erkennbar, dass sich der deutsche Außenminister mit den generellen demokratiepolitischen Bedenken gegenüber Ungarn näher auseinandergesetzt hat. Hier scheint also die Masche wie beim Mediengesetz zu funktionieren. “Unsere deutschen Freunde haben hinsichtlich der Entwicklungen der letzten eineinhalb Jahre verschiedene Bedenken geäußert”, meinte Martonyi im Anschluss an das Treffen. Die ungarische Regierung möchte “darüber reden, informieren, erklären, hören und korrigieren” gab sich der Außenminister geradezu devot. Und weiter: “Deutschland bleibt Ungarns wichtigster Partner, sowohl in der Wirtschaft wie in der Politik, der Kultur und bei den menschlichen Kontaktem.” Und es “ist sehr wichtig für uns, was die Deutschen, die öffentliche Meinung in Deutschland und die deutsche politische Klasse von uns denkt...”

Lázar dementierte jeden Zusammenhang zwischen diesem Kurswechsel und der Finanzhilfe, auf die Ungarn von Seiten der EU und des IWF angewiesen ist. Desweiteren wurde gestern bekannt, wie Ungarns Antwort auf die Vorwürfe, welche im Zusammenhang mit dem EU-Vertragsverletzungsverfahren erhoben worden sind, lauten könnte. Die Regierung zeigt sich geläutert und auf einem verbalen Gang nach Canossa. Das hatte schon beim Mediengesetz bestens funktioniert. Man änderte ein paar Paragraphen und hatte danach amtlich Ruhe aus Brüssel. Die “nationale Konsultation” sieht indes so aus, dass die Regierung ein paar Fragebögen verschickt und aufgrund des Portoaufkommens davon spricht, den “Volkswillen” zu repräsentieren.

Schlag ins Gesicht der Geringverdiener

Nach innen kommuniziert man freilich etwas anders. Während Lázár in der Gemeinde, in der er Bürgermeister ist, den Robin Hood gegenüber der Erste Bank spielt, die Totalpleite seiner Stadt einkalkulierend, trat Orbán gerade heute mit einer Äußerung ins Fettnäpfchen, die den Betroffenen wie eine Ohrfeige vorkommen muss. Am Rande von Konsultationen mit Sozialpartnern verteidigte er seine missglückte flat tax als gerecht, “weil die, die weniger verdienen, auch weniger leisten” und ohnehin würden die Reichen sonst einfach ihr Geld verstecken. So ähnlich wiederholte er es nochmals in seiner Rede “Zur Lage der Nation”. Ein Hohn gegenüber den unteren Einkommensbeziehern, haben doch rund 2 Millionen Arbeitnehmer, eben dank dieser flat tax, weniger in der Tasche als zuvor, rechnet András Istvánffy von der Oppositionsgruppe “Vierte Republik” vor.

Ein weiterer Satz aus Orbáns Rede zur “Lage der Nation”, den er Westerwelle oder Merkel wohl kaum ins Gesicht gesagt hätte, war, dass diejenigen, “zu Hause oder von außerhalb, die Ungarns neue Verfassung kritisieren, ein Interesse daran haben, dass Ungarn tiefer in Schulden versinkt, damit sie ihre eigenen finanziellen und politischen Gewinne einfahren können.” Feindbilder müssen gepflegt werden, sonst verblassen sie...

Der Kuschelkurs gilt also nur nach außen, nach innen wird weiter umstandslos der ständische Kurs befolgt und Anti-EU-Stimmung betrieben, wie zuletzt beim Friedensmarsch der Hunderttausend. Face to face aber gibt man sich brav: Im Gegensatz zu früheren Plänen, soll der Premierminister nun nicht mehr derjenige sein, der eine Ablösung des Chefs des Datenschutzamtes initiieren kann. Auch bezüglich des Renteneintrittsalters für Richter soll es Kompromisse geben, die Vorschrift soll individualisiert werden. Und ebenso in Hinsicht auf das umstrittene Zentralbankgesetz sind Änderungen geplant, auch wenn der Amtseid beibehalten werden soll. Reine Gesetzeskosmetik natürlich, aber ausreichend, um Brüssel auch diesmal wieder ruhig zu stellen.

Die Europäische Kommission hat am 17.01. drei Vertragsverletzungsverfahren angestrengt und die ungarische Regierung hat einen Monat Zeit zu antworten. Vor allem das IWF machte klar, dass es offizielle Verhandlungen nur nach einem “OK” aus Brüssel geben wird. Es geht also um Kosmetik für Bargeld. Ein Geschäft, bei der die Demokratie nur ein Nebeneffekt zu sein scheint, denn die Wirklichkeit wird nicht verhandelt.

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Philipp Karl / red.

 

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