(c) Pester Lloyd / 08 - 2012 GESELLSCHAFT 24.02.2012
Geld gegen Ghettos
Die EU finanziert 30-50 Roma-Projekte in Ungarn
Mit 4,7 Mrd. Forint, ca. 16,2 Mio. EUR, die zur Gänze aus Mitteln der EU stammen, wird aktuell ein Programm zur Förderung besonders verarmter Orte und Regionen,
bevorzugt solcher mit hohem Roma-Anteil, finanziert. Das ist zwar erfreulich, doch wird umso sichtbarer, wie wenig der ungarische Staat selbst im Zuge seiner
"nationalen" Romastrategie für die Bewältigung des größten sozialen Konfliktes im Lande aufwendet.
Der zuständige Staatssekretär für
Soziale Integration, Zoltán Balog, teilte am Donnerstag einige Details des Programmes mit, das Teil des "Operativen sozialen Erneuerungsprogrammes", SROP, bzw.
auf ungarisch TÁMOP ist. Mit den Geldern, die deutlich höher veranschlagt wurden als in den Vorjahren, sollen Projekte für Bildung sowie die konkrete Schaffung von Ausbildungs- und
Arbeitsplätzen vor Ort gefördert werden. Zentrales Anliegen ist die Reintegration sozial benachteiligter Menschen über Qualifikation, Motivation und organisatorische Hilfen.
Das Staatssekretariat schätzt, dass sich damit 30 bis 50 Kommunen um
Projektförderungen im Wert von jeweils 45 bis 150 Millionen Forint (155.000 bis 490.000 EUR) bewerben können. Allerdings liegt die Zahl der offiziell als "Kommunen mit
ausgegrenzten Nachbarschaften", sprich Ghettos, qualifizierten Orte bei rund mehreren Hundert. Eine Studie im Auftrag der Bajnai-Regierung ergab 600 solcher “Hot spots”. Aus
Eigenmitteln des ungarischen Haushaltes (410 Mio. HUF, rund 1,3 Mio. EUR) werden derzeit nur vier Projekte betrieben, in Ózd-Tiszaroff, Szolnok, Komló-Vajszló und Nyíregyháza.
Die erste Bewerbungsrunde für die Mittel endet am 31. März, eine zweite Runde am 31.
August. Eine Grundbedingung ist, dass die Projekte mindestens 2-3 Jahre laufen. Eine Selbstbeteiligung, also Kofinanzierung durch die oft sehr klammen Kommunen ist nicht
vorgesehen. Balog sagte, dass diese Programme vor allem für die Roma eine "echte Lebenschance" bedeuten könnten, machte aber auch deutlich, dass die Projekte auch für
andere arme und ausgegrenzte Personen gedacht sind. Das Ministerium will für die Umsetzung des Programmes auch Fachleute zur Verfügung stellen.
Dabei sollen, im Unterschied zu vorherigen Projekten, auch die Bedürfnisse der
Mehrheitsbevölkerung sowie deren Mitwirkung beachtet und angestrebt werden. Während man zuvor vor allem "Slum clearence" betrieben habe, steht in diesem Jahr die
Individualisierung der Projekte im Vordergrund. Ein umfangreiches Monitoring soll die sachgerechte Verwendung der Gelder sicherstellen.
Teil der "nationalen Romastrategie" sind außerdem noch eine Reihe von
Stipendienprogrammen und Lernförderungen für einige Tausend Kandidaten, die dazu erforderlichen Mittel aber längst noch nicht klar dargestellt, in der Realität schreitet
gerade die Segregation im Bildungsbereich, also gegenüber den Jüngsten, jenen, bei denen noch Hoffnung bestünde, weiter voran, wie viele Beispiele belegen.
Die Mittel des aktuellen Programmes sind höher als "die aller Roma-Programme der letzten
sechs Jahre zusammen", so Balog. Warum dann dieses "Ghetto-Projekt", das ja bereits über eine bewährte Struktur verfügt, nicht noch durch eigene Budgetmittel im Rahmen
der "nationalen Romastrategie" aufgestockt werden konnte, darüber machte das Staatssekretariat keine Angaben.
Gerade wurde bekannt, dass das Staatssekretariat für Regierungskommunikation ein
Sonderbudget von 1,2 Mrd. Forint für die Imageverbesserung der Regierungsarbeit erhalten hat. Eine Umleitung dieser Summe in dieses Projekt wäre die wohl sinnvollste
"Imageverbesserung".
Auch die Kontraproduktutvität der sinn- und perspektivlosen kommunalen
Beschäftigungsprogramme, vor allem in ihrer mißbräuchlichen Umsetzung durch diverse
Bürgermeister einschlägiger Gesinnung, steht weiter ungelöst im Raum, ihre
flächendeckende Umsetzung läuft gerade an. Nicht nur aus Gyöngyöspata, auch aus
anderen - längst nicht nur von Jobbik-Leuten dominierten - Orten erreichen uns Berichte über inakzeptable Zustände und Vorgänge, die letztlich wieder mehr einreißen als noch so
viele EU-Millionen aufbauen könnten und klarmachen, dass der Kampf gegen rassische Ausgrenzung längst nicht nur eine Frage des Geldes oder schöner Worte ist.
Einzeldokumentationen der laufenden Projekte und die genauen Ausschreibungsbedingungen für die
neuen Projekte finden sich auf der Regierungswebseite des “Neuen Széchenyi Planes” http://www.nfu.hu/doc/5
Über die Widersprüche zwischen “nationaler Romastrategie” und der Wirklichkeit mehr in diesem
Beitrag: http://www.pesterlloyd.net/2011_09/09romaAndorBalog/09romaandorbalog.html
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