Stellenanmarkt
Immobilienmarkt
Geschäftskontakte
Privatanzeigen
Anzeigen ab 35.- / Monat

Hauptmenü

 

 

(c) Pester Lloyd / 09 - 2012     NACHRICHTEN   02.03.2012

 

Albtraum der Mittelschicht

Moratorium für Zwangsräumungen in Ungarn läuft aus, Regierung wiegelt ab

Am 1. März endet, teil- und schrittweise das Zwangsräumungsmoratorium für überschuldete Kreditnehmer in Ungarn. Die Regierung beschwichtigt, dass Berichte über möglicherweise Zehntausende Delogierungen vollkommen übertrieben sind, engagiert für diese Mitteilung aber eigens eine professionelle Kommunikationsagentur. Eine große Gruppe Betroffener hat man bei den Forex-Regelungen einfach ignoriert.

In der Aussendung teilt man den Medien unter anderem mit, dass laut den Daten der gerichtlichen Vollstreckungsbehörde im Vorjahr unter 200 Zwangsräumungen bei Wohneigentümern in der Folge von Kredit-Überschuldung und Pfändung stattgefunden hätten (trotz Moratorium?!), in diesem Jahr werden nicht mehr als 250 bis 300 erwartet. Hingegen spricht die staatliche Finanzaufsicht PSZÁF am gleichen Tag von 144.000 Hypothekenschuldern, die derzeit mehr als 90 Tage mit ihren Ratenzahlungen verspätet und damit potentielle Kandidaten für Pfändung und Räumung sind.

Das Moratorium wurde bereits von der Vorgängerregierung eingeführt, weil schon 2009 zum Teil Hunderte Vollstreckungsbescheide pro Monat ergingen. Diese Regierung verlängerte das Moratorium immer wieder, zuletzt im November 2011, das Auslaufen ist nun Teil des Forex-Ablösegesetzes, bei dem die Banken viel Geld durch den Wegfall von Zinsen, Gebühren und die staatliche festgelegten Umtauschkurse verloren. Im Gegenzug erlaubt der Gesetzgeber, unter bestimmten Bedinungen, wieder die Zwangsversteigerung mit entsprechender Räumung. Es hat schon seinen Grund, warum die größte ungarische Bank, OTP, just zum 1. März die Gründung einer eigenen Immobilienmaklerfirma verkündete.

Die Regierung weist darauf hin, dass eine Zwangsräumung nur "der letzte Schritt in einem langen Prozess" und also die absolute Ausnahme bleiben wird. Dem Schuldner stünden sowohl von Seiten der Bank als auch von Seiten des Staates viele "Hilfsangebote" zur Verfügung. Die wohl wichtigste Maßnahme dabei, sei die Möglichkeit, seinen Forex-Kredit in Forint umzutauschen und dabei einen pauschalierten Abschlag von 25% auf die Schuldsumme zu bekommen, wie es eine Vereinbarungen zwischen Banken und Regierung vorsieht.

Dazu wurden Grenzwerte von 15 Mio. HUF (rund 51.700 EUR), 20 Mio. HUF (rund 69.000 EUR) oder 30 Mio. HUF (rund 103.500 EUR) für Kreditnehmer vorsehen, die dann jeweils Nachlässe von 1% bis zu 15% beim Umtausch bekommen könnten. Die Differenzen zu den tatsächlichen Kursen teilen sich dann Staat und Banken. Im Gespräch ist auch ein Modell für Kommunen, die OTP preschte hier mit einem eigenen Vorschlag vor.

Die Regelung ist für all jene ca. 80% Hypothekenkreditnehmer gedacht, die nicht die Mittel hatten die Forex-Ablöse auf einen Schlag zu stämmen. Allerdings ist fraglich, ob Menschen, die derart in finanziellen Nöten sind, dass sie seit mehr als drei Monaten keine Raten zahlen konnten, mit einem Ratenabschlag geholfen sein wird. Knapp 100.000 nahmen die Forex-Ablöse auf einen Schlag wahr.

Ein weiteres Notprogramm für maximal rund 5.000 Betroffene ist der Aufkauf der betroffenen Wohnung oder des Häuschens durch den Staat und die Vermietung an den Ex-Eigentümer zu einer sozial angemessenen Miete. Nach einer Übergangsfrist bekommt der Mieter ein Vorkaufsrecht zu einem sehr großzügigen Rabatt zum Verkehrswert. Allerdings müssen bei diesem Programm etliche Kriterien der Bedürftigkeit seitens des Antragssteller erfüllt sein und es dürfen bestimmte Quadratmeter- und Wertgrößen nicht überschritten sein.

Was in der Stelungnahme der Kommunikationsagentur nicht auftaucht, sind jedoch die vielen indirekten Zwangsräumungen, bei denen die Schuldner Hals über Kopf ihr Haus, oft unter dem Verkehrswert, veräußern, um sich der Schulden und dem steigenden Gläubigerdruck wenigstens teilweise zu entledigen und um einem Zwangsversteigerungsprozess zu entgehen, der unter Umständen noch weniger für sie erlöst, da die Bank auch gern einmal an wirtschaftlich nahestehende Unternehmen billig versteigert und sich dann sozusagen hintenrum die Gewinne einholt.

Gerade die "untere Mittelklasse" ist genau von diesem Szenario massenhaft betroffen gewesen und immernoch betroffen, nur rund 20% der Forex-Kreditschuldner verfügten letztlich über ausreichend Barmittel oder Kreditwürdigkeit, um ihre Schulden cash und auf einen Schlag abzulösen, die übergroße Mehrheit ist weiter von dem Wankelmut des Forint und dem Langmut des Kreditberaters abhängig.

Doch auf für jene, denen es gelang sich "freizukaufen", war die Aktion oft ein materieller und sozialer Abstieg, jeder Vierte, so meldet der Versicherungsverband hat seine Lebensversicherungen und sonstige Rücklagen aufgelöst und wer seine Wohnung oder Häuschen unter dem Preis verkaufen musste, weil die Bank ihm keinen neuen Kredit gab, ist damit auch die in Ungarn wichtigste Absicherung fürs Alter los.

Gewinner der Maßnahmen waren in erster Linie Besserverdiener, auch Abgeordnete, Immobilienmakler, Gutachter und "Vermittler" aller Art. Verlierer, die "ganz normalen" Bürger.

red.

 

IN EIGENER SACHE

Der PESTER LLOYD möchte sich verbessern - Helfen Sie mit?

Liebe Leserinnen und Leser in Nah und Fern, liebe Freunde des Pester Lloyd!

Vor zweieinhalb Jahren haben wir den Pester Lloyd auf eine Online-Tageszeitung umgestellt. Ein Projekt, das sich erfolgreicher entwickelte, als wir das erwarten konnten. Um auf der Höhe der Zeit zu bleiben und noch mehr unabhängigen Journalismus aus der Mitte Europas bieten zu können, brauchen wir Ihre Hilfe...

ZUM BEITRAG