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(c) Pester Lloyd / 42 - 2012   POLITIK 15.10.2012

 

Gackernder Hühnerhaufen

Kleinliche Reviermarkierungen der Opposition in Ungarn

Kurz vor dem 23. Oktober, einem der drei Nationalfeiertage in Ungarn, ergeht sich die demokratische Opposition des Landes einmal mehr in öffentlich ausgetragenen Eifersüchteleien und Reviermarkierungen. Alles schaut auf Gordon Bajnai als Hoffnungsträger für einen Machtwechsel 2014. Jeder will ihn, aber am liebsten nur für sich. Von einem sich abzeichnenden Wahlbündnis oder zumindest einer gemeinsamen Strategie ist man weiter entfernt als je zuvor. Dabei gäbe es schon ein "Traumpaar", es muss sich nur noch finden.

Vier Hühner streiten um das Gelbe vom Ei. Collage: PL

Wie berichtet, wird Ex-Premier Gordon Bajnai am 23. Oktober als einer der Redner auf der gemeinsamen Veranstaltung der beiden außerparlamentarischen Oppsotisionsbewegungen Milla und Szolidaritás erwartet. Viele erhoffen sich dort eine Positionierung zur Rückkehr des parteilosen Wirtschaftsexperten in die Politik, womöglich als Spitzenkandidat eines Wahlbündnisses links von Fidesz, was also auch die derzeit unbesetzte politische Mitte in Ungarn umfassen würde.

Doch allein schon die Ankündigung, dass Bajnai reden wird (hier Mehr zu Bajnais möglichem Polit-Comeback und seinem Auftreten früher und Heute), hat den oppositionellen Hühnerstall in helle Aufregung und lautes Gackern versetzt, fast in lauteres als es das tägliche Wildern des Fuchses noch vermag. Während die MSZP um ihre Führungsrolle im Oppositionslager fürchtet und sich Grüne sowie außerparlamentarische Gruppen bloß nicht von Systempolitikern "vereinnahmen" lassen wollen, glaubt Ex-Premier Gyurcsány mit seiner Politsekte immer noch, er würde eine Rolle spielen...

Milla-Chef: "Bajnai nur ein Redner von vielen..."

Zunächst relativierte der Milla-Mitgründer und Cheforganisator, Peter Júhász, wohl aus Angst, dass die originäre Bedeutung seiner bei Facebook entstandenen Bewegung "Eine Million für die Pressefreieheit" etwas verblassen könnte, dass Bajnai keineswegs "der Hauptredner" der Veranstaltung sein wird, sondern nur einer von vielen. Man biete ihm hier lediglich eine Bühne, wie vielen anderen auch, mit dem Schmieden einer Wahlallianz oder dem Aufbau Bajnais als Spitzenkandidaten habe das alles jedoch nichts zu tun.

 

Darin spielt Eifersucht mit, denn Bajnai hatte sich mit dem Co-Veranstalter der Kundgebung, Chef der Szolidaritás, dem charismatischen Ex-Gewerkschafter und Ex-Militär, Péter Kónya, bereits mehrfach getroffen. Die beiden wären wahlstrategisch ein Traumpaar, Bajnai brächte die Wirtschaftskompetenz ein und würde die traditionellen Parteiwähler an sich binden, während Kónya als guter Redner und hemdsärmeliger Arbeitervertreter das emotionale Moment mitbrächte und viele Unzufriedene mobilisieren könnte, vor allem aus der Mehrheit der unteren Einkommensschichten, die durch die ständische Klientelpolitik der Orbán-Regierung endgültig abgeschrieben wurde. Milla bliebe dann, wie allen anderen links von Fidesz, nur noch die Unterstützerrolle, wenn die Mehrheit gekippt werden soll. Soweit ist man (noch?) nicht.

LMP: Zu Tode gefürchtet, ist auch gestorben

Ganz ähnlich geht es auch der grün-liberalen LMP, die jede Allianz mit "Systemparteien" oder ihren Vertretern ausschließt und für die Bajnai daher keine Alternative darstellt. Man fürchtet sich vor Vereinnahmung, Festlegungen und davor, irgendwie mit Altkadern in einen Topf geworfen zu werden und zelebriert diese Äquidistanz schon wie ein eigenes Glaubensbekenntnis. Aber zu Tode gefürchtet, ist am Ende auch gestorben: denn diese hehre bis politisch naive Haltung einer Partei, bei der durchaus auch viele ehemalige "Systemkinder" eine neue Heimat fanden, könnte bei der zu erwartenden Zuspitzung im Wahlkampf auch das parlamentarische Aus der LMP bedeuten. Ein hohese Risiko für sie selbst und weitere 5-10%, die der Opposition am Ende fehlen könnten.

Gyurcsány: Rede vor Milla "fataler strategischer Fehler"

Bajnais Vorgänger als Regierungschef, Ferenc Gyurcsány, den man angesichts seiner pathologischen Hegemonialbestrebungen auch als "Orbán der Linken" charakterisieren kann, fühlt sich durch die Rückkehr seines einstigen Ziehsohnes (Bajnai war drei Jahre lang Minister in seinem Kabinett) dagegen direkt bedroht. Er warnt ihn, dass allein schon die Rede vor diesen komischen außerparlamentarischen Protest-Spontis ein "fataler strategischer Fehler" sei. Als solchen sieht Gyurcsány eigentlich alles an, was nicht auf ihn zugeschnitten ist.

Kurze Erinnerung: Gyurcsánys Politik und Performance führte direkt in die 2/3-Mehrheit für Fidesz-KDNP. Eineinhalb Jahre hat er dann in der Opposition damit zugebracht, eine Neuaufstellung seiner einstigen Partei, der MSZP, zu verhindern. Als er ihr nicht mehr seinen Willen aufzwingen konnte, spaltete er sich mit der "Demokratischen Koalition" von ihr ab, die nur das Problem hat, dass keiner mit ihr eine Koalition eingehen wird, so lange Gyurcsány dort der Chef ist. Die DK ist in den Umfragen auch stabil unter 5%. Allmählich hat er sich durch seinen billigen Populismus, u.a. den kurzzeitigen Einzug in einen Miskolcer Plattenbau und seinen "Hungerstreik" gegen die Wählerregistrierung, zum Politclown des Jahres qualifiziert, dem, sektengleich, eine so treue wie unkritische Anhängerschaft folgt. Was Gyurcsány sonst so vom Volk hält, hat er in seiner Regierungszeit, als er das Land praktisch zur Plünderung freigab, bereits gezeigt.

MSZP fürchtet um ihre Führungsrolle auf der linken Seite

Doch auch die MSZP macht sich immer mehr Sorgen um ihr Leadership. Vor wenigen Wochen sah sich deren Chef, Attila Mesterházy, beflügelt von angesichts der Performance unverständlich hohen Wahlumfragen (bis zu 35%) bereits als Wahlsieger 2014, um nun (zwischenzeitlich rutschte man auch wieder auf 27-28%) zu relativieren, dass es zumindest "ohne die MSZP in Ungarn keinen Machtwechsel geben" wird. Eine Attitüde, die uns sehr an die Regierungspartei erinnert, die kommt nämlich auch immer besser ohne den Bürger, das Volk, also den Souverän und Wähler zu recht. Diese Selbstgezogenheit ist auch ein Grund, warum viele beide "Blockparteien" ablehnen. Der Ruf "Ich mag dieses System nicht!" ist eine zentrale Aussage der außerparlamentarischen Oppositionsbewegung und beschreibt ein gespaltenes, aufgeteiltes Land, in dem sich "Links" wie "Rechts" nur durch ihre Reden unterscheiden, das Ergebnis für das Volk aber das immer gleich miese bleibt.

Bajnai braucht man kein Wirtschaftsprogramm schreiben...

 

Auf einer Pressekonferenz machte MSZP-Chef Mesterházy wiederum klar, dass die MSZP schon ganz gerne auch Ex-Premier Bajnai als Spitzenkandidaten eines Wahlbündnisses stützen würde, allerdings offenbar nur, wenn die MSZP darin die führende Rolle übernimmt. Die ist immerhin für die anschließende Regierungsbildung und damit die Postenverteilung wichtig. Daher sieht man auch bei der MSZP das Bajnai-Comeback ausgerechnet vor außerparlamentarischen Gruppen skeptisch. Bajnai hatte eine Kandidatur für die MSZP 2014 bisher immer abgelehnt, vor allem mit dem Hinweis auf eine fehlendes, glaubwürdiges Alternativ-Programm der Partei.

Parteichef Mesterházy meinte nun, dieses Programm sei "in zwei Wochen fertig", zumindest "was den ökonomischen Teil betrifft". Gerade diesen Teil aber sollte vielleicht lieber der bewanderte Bajnai selbst schreiben, die MSZP könnte sich dagegen mehr mit echter Sozialpolitik auseinandersetzen, wozu aber zunächst eine Aufarbeitung der historischen Fehlentwicklung der “Sozialisten” - auch seit der Wende gehörte, bevor man sich mit anderen wirklich “zusammenraufen” könnte.

red. / ms.

Die Veranstaltungen am 23. Oktober auf einen Blick:

- Orbán-Rede am Kossuth Platz bei der offiziellen, staatlichen Gedenkzeremonie für 1956
- MSZP hält am Morgen eine Gedenkkonferenz ab, später Gedenkfeier am 1956er Denkmal
- Jobbik (Neofaschisten) machen ihre übliche Kundgebung am Deák Platz
- die LMP zieht sich zu einer kleinen Veranstaltung nach Hajdúszoboszló zurück
- Gyurcsánys DK trifft sich am Egyetem Platz
-
Regierungsanhänger organisieren einen weiteren "Friedensmarsch"
-
Milla und Szolidaritás vereinigen um 15 Uhr zwei Kundgebungen zu einer gemeinsamen

Mehr zu Gyurcsány und seiner DK sowie zur “Duldungsstarre” des Volkes
Mehr zu Bajnais möglichem Polit-Comeback und seinem Auftreten früher und Heute

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