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(c) Pester Lloyd / 41 - 2012   POLITIK 09.10.2012

 

Comeback des Feuerlöschers?

Krisen-Premier Bajnai soll 2014 für Machtwechsel in Ungarn sorgen

Seit Monaten spekulieren Medien und politisch Interessierte über ein mögliches Comeback von Ex-Premier Gordon Bajnai auf die Bühne der Politik. Am Nationalfeiertag des 23. Oktobers könnte er bei der gemeinsamen Demonstration der Oppositionsbewegungen Szolidaritás und Milla auftreten und sich als Herausforderer von Viktor Orbán in Stellung bringen, heißt es. Die Unterstützung weiter Teile der Linken hätte er und auch viele “normale” Ungarn trauen ihm zu, die Krisen des Landes zu meistern. Aber meistert er auch Orbán?

Verzwickte Gemengelage im Lager der demokratischen Opposition

Dass der heute 44jährige Bajnai zurück in die politische Arena steigen wird, war spätestens seit der Gründung und immer lauter werdenden Tätigkeit seines Thin tanks "Heimat und Fortschritt" klar, nur der Zeitpunkt und - nicht ganz unwesentlich - die Konstellation der Rückkehr, waren noch immer offen. Sein Institut, das auch mit anderen Personen seines ehemaligen "Fachleute"-Kabinetts bestückt ist, artikulierte nicht nur immer lauter und sehr fundiert Kritik an der missratenen Wirtschaftspolitik ("Orbán bricht der ungarischen Wirtschaft jeden Wirbel", "Orbán treibt das Land gezielt in die Schulden"), sondern man leistete sich bereits öffentliche Planspiele, wie man rechnerisch und taktisch unter den neuen Wahlgesetzen Orbán die Macht entreißen könnte.

Mit der MSZP, das ist Bajnai klar, brauchte er es gar nicht erst wieder versuchen. Doch die Gemengelage im Lager der sonstigen demokratischen Opposition in Ungarn ist verzwickt bis selbstmörderisch, ihr Zustand eigentlich hoffnungs- und planlos, ein Auftritt mit der falschen Person an der Seite und man kann politisch erledigt sein. Daher vermied er es bisher auch immer, sich als Spitzenkandidat eines wie auch immer gearteten Wahlbündnisses der Linken zu deklarieren oder sich gar einer Partei zuzuwenden. Schon im Mai verhandelte Bajnai mit dem starken Gewerkschaftsführer und Szolidaritás-Mitgründer Kónya, ein Interview mit ihm gibt einige Einblicke in die Richtung dieser übergewerkschaftlichen Bewegeung.

Auch jetzt bekommt man von seiner Umgebung hinsichtlich des kolportierten Auftrittes am 23. Oktober weder ein Ja, noch ein Nein. Manche meinen, eine Kampfansage jetzt, eineinhalb Jahre vor der Wahl käme verfrüht, der Kandidat würde zerredet, vergessen, verbrannt. Andere meinen, sie könne gar nicht früh genug kommen um den Leuten Zeit zu geben, sich mit der Alternative anzufreunden und die vielen oppositionellen Gruppen hinter den einen Kandidaten zu versammeln.

Unterstützung seines Mentors Gyurcsány ist kontraproduktiv

Die Unterstützung durch die neuen außerparlamentarischen Bewegungen, die nicht weniger als eine Umkehr vom antidemokratischen und rechtsstaatsfeindlichen Weg Orbáns, die wörtlich, die "Rückkehr zur Republik" fordern, wäre ein wichtiges Zeichen an die Bevölkerung, dass es neben Parolen auch ein fachliches Konzept und einen gangbaren Plan gibt und jemanden, dem man die Umsetzung zutraut. Bajnai traut man dies grundsätzlich zu, was ihn allein schon für Orbán gefährlich macht, genauso wie der Umstand, dass im rechten Lager praktisch keine Ersatzbank gibt. Orbán strahlt hier über allem, dafür hat er gesorgt. Verglüht er, bricht das ganze auf ihn abgerichtete Fidesz-KDNP-Gebilde erst einmal zusammen.

Ein Bekenntnis Bajnais zur Kandidatur und ein Auftritt vor Zigtausenden wäre auch ein starkes Signal an die stetig plappernden Oppositionsparteien im Parlament, die sich seit mehr als zwei Jahren nicht über das ob und wie auch nur einer reinen Wahl-Kooperation einigen können. Die MSZP hält sich, nach Aussagen ihres politisch mehr als blassen Chefs Mesterházy, allmählich schon wieder für stark genug, allein einen Regierungswechsel hinzubekommen, davor möge Ungarn nach den gemachten Erfahrungen bewahrt werden. Bajnai an der Spitze einer Bürgerbewegung wäre für sehr viele apparatsferne MSZPler jedoch genauso attraktiv wie für Bürgerliche, die Orbán und Fidesz nicht mehr ertragen wollen oder - können.

Die LMP, eine verkopfte grün-liberale Partei tut alles, um nicht in den Verdacht zu geraten, links zu sein. Doch auch sie könnte sich einem gemeinsamen Spitzenkandidaten Bajnai mangels besserer Alternative nicht entziehen und riskierte bei Ablehnung sogar den parlamentarischen Untergang. Die Demokratische Koalition, DK, von Ex-Premier Gyurcsány ist zur Unterstützung umstandslos bereit, was aber eher schlecht für die Wahlaussichten Bajnais ist, ist doch genau Gyurcsány der Grund, warum die Opposition bis heute uneins blieb und die überragende Mehrheit der Ungarn will diesen Mann nicht mehr auch nur in der Nähe der Regierung oder einer Koalition sehen. Gyurcsány ist der
Pferdefuß der Demokraten.

Wird der Vorgänger auch der Nachfolger? Gordon Bajnai im Parlament,
dahinter der damalige Oppositionsführer Viktor Orbán.

Wer ist Gordon Bajnai, was hat er vorzuweisen?

Der "Jungmanager des Jahres 2003", der einen Wirtschaftsabschluss an der Corvinus Universität hat, managte vor seiner Politkarriere einige Finanzbeteiligungsgesellschaften und von 2001 bis 2005 die Wallis Rt., eine Holding mit in- und ausländischen Eignern, die in vielen Bereichen vom Autohandel über das Bankwesen bis hin zur Lebensmittelproduktion tätig war und ist.

 

Eine in diese Zeit fallende Liquidation eines großen Geflügelbetriebes hängt ihm dabei bis heute nach. Angeblich habe er nicht genug unternommen, um den Betrieb zu retten, Geflügelzüchter, also Zulieferer blieben auf hohen Forderungen sitzen, viele Bauern waren ruiniert, einige nahmen sich das Leben. Aus dieser so tragischen wie alltäglichen Geschichte des ungarischen Wirtschaftslebens versucht die Rechte Bajnai bis heute einen Strick zu drehen und ihn in eine Reihe mit den gewissenlosen Selbstbedienern der Gyurcsány-Ära, die man zur Gyurcsány-Bajnai-Ära aufrüstete sowie den roten Seilschaften der grauen Privatisierung mit ihren Off-shore-Rittern und Self-Made-Billionairs zu stellen. Juristisch konnte man ihm nichts anhaben, er selbst verweist auch nur darauf, dass alles korrekt abgelaufen sei.

Diese etwas weiter hergeholte Angriffsfläche war für das heutige Regierungslager notwendig geworden, denn seine politische Leistung konnte man ihm, trotz zahlreicher Versuche, nicht wirklich madig machen. Bajnai ist bis heute der einzige Vorgänger, den die Nationalkonservativen nicht wirklich diskreditieren konnten, der nach wie vor in weiten Teilen des Volkes einen guten Ruf hat, weil er Ahnung hat. Und das macht ihn gefährlich.

Dass Bajnai seinen Job erledigte, wird ihm die Rechte nie verzeihen

Der Parteilose Bajnai verbrachte im Kabinett Gyurcsány ab 2006 drei Jahre als Minister, zunächst für Nationale Entwicklung (EU-Gelder), dann zuständig für Regionalentwicklung und die Kommunalverwaltung. Als Premier Ferenc Gyurcsány, nach Lügenrede, zahlreichen Korruptions-Skandalen und von der heraufziehenden schweren Wirtschaftskrise 2009 völlig überfordert, für die links-liberale Koalition nicht mehr tragbar war, was lange genug gedauert hatte, schlug er Bajnai als Nachfolger vor, der in einem konstruktiven Misstrauensvotum vom Parlament gewählt wurde und sodann eine zur Hälfte aus Wirtschaftsexperten, zur anderen aus sozialistischen Parteigranden bestehenden Übergangsregierung bis zu den Wahlen 2010 bildete.

In den gerade 13 Monaten seines Amtierens hatte Bajnai eigentlich nur eine Hauptaufgabe: Ungarn vor der Zahlungsunfähigkeit bewahren, den wirtschaftlichen Zusammenbruch des Staates verhindern. Bajnai war hauptamtlicher Feuerlöscher. Und diese Aufgabe hat er - so sehen es fast alle Fachleute - weitgehend gemeistert, mit einem harten Sparkurs, der jedoch sozial ausgewogener war als der katastrophale Stümperkurs zum Stopfen der Löcher der heutigen Regierung. Die Armen nicht noch ärmer machen zu wollen, versuchte man ihm seitens der Nationalkonservativen dann als "Verschwendung" öffentlicher Mittel anzuhängen, weitere Sparkurse eingeleitet zu haben, wiederum warf man ihm als "Ausbluten des Volkes" vor. Dass Bajnai seinen Job erledigte, wird ihm die Rechte nie verzeihen.

Kann Bajnai Orbán das Wasser reichen?

Bajnai leitete, mit dem Wirtschaftsprüfer Péter Oszkó an seiner Seite, einige Steuer- und Wirtschaftsreformen ein, die viele Praktiker als vernünftig bezeichneten, auch wenn es eigentlich nur eine etwas reguliertere Fortsetzung des globalen Raubtierkapitalismus` war, den man auf die Ungarn seit der Wende losließ und ihnen als "europäische Perspektive" verkaufte, wovon die institutionalisierten Europahasser und frömmelnden Nationalisten von Fidesz-KDNP noch heute profitieren.

Damals wie heute werden nur Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsfähigkeit als Größen des Erfolges benannt, dafür tat Bajnai wesentlich mehr als Orbán, der im Netz seiner Wunschträume gefangen ist und sich immer tiefer und auswegloser in seiner Rechthaberei verstrickt und sein Versagen in der Wirtschaft mit Nationalismus und dem Schüren von Hass, der letzten Waffe der Versager, zu kaschieren sucht.

Die meisten Reformbemüheungen Bajnais wurden, schon aus Prinzip, mit Antritt der Fidesz-Regierung wieder über den Haufen geworfen, einige Maßnahmen stillschweigend übernommen oder als eigene Errungenschaft verkauft. Dabei verscherzte es sich Bajnai nach außen jedoch nicht mit internationalen Geldgebern und stieß auch nicht den wichtigsten Partner, die EU mit ihrer Notkasse IWF vor den Kopf.

Nach innen versuchte er die politisch konsequent gespaltene Nation im Kampf um das wirtschaftliche Überleben zu einen. Er griff seine politischen Gegner nie persönlich an, trat jedoch vehement gegen die extreme Rechte auf. Er kann reden, aber selten wirklich mitreißen, etwas, was Orbán ihm voraus hat, der reißt notfalls auch das ganze Land mit... Mit der Wahl im April 2010 endete Bajnais 13monatige Amtszeit, der verdiente Untergang der MSZP / SZDSZ beendete auch seine Politkarriere vorerst. Seine Abschiedsrede wirft ein lehrreiches Bild auf das damalige Ungarn.

Hat das Normale eine Chance?

Ob Bajnai den Spagat zwischen libertärer, ja neoliberaler Wirtschaftspolitik und sozialer Verantwortlichkeit und Balance sowie gleichzeitig eine Beruhigung der erhitzten politischen Atmosphäre durch ein stringente Sachpolitik hinbekommen hätte, bleibt offen, zumindest so lange, bis er sich vielleicht bald noch einmal beweisen kann.

 

Wirtschaftskompetenz, heller Intellekt und ein ausgleichendes Wesen von europäischem Geist und Gemeinsinn, wären an der Spitze einer "neuen Republik" wie jeder Republik, hilfreich und wünschenswert. Bajnai wäre nicht der Mann, Rache zu üben, das Pendel wieder zur anderen Seite ausschlagen zu lassen, vielleicht ist das seine größte Qualität. Ob diese Tugenden aber auch für das Bestehen eines ganz sicher sehr hässlich werdenden Wahlkampfes genügen, ob das "normale" Volk dem "Normalen" zu folgen vermag, auf das auch Ungarn wieder "normal" wird, bleibt abzuwarten und - zumindest für 2014 - eher zu bezweifeln.

red. / ms.

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