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(c) Pester Lloyd / 46 - 2012   GESELLSCHAFT 14.11.2012

 

Verdikt für Menschlichkeit

Verfassungsgericht von Ungarn verbietet Kriminalisierung von Obdachlosen

Ungarische Bürger haben einen wichtigen Sieg gegen die Regierung und die Regierungspartei errungen. Das Verfassungsericht hat die Kriminialisierung von Obdachlosen als verfassungswidrig untersagt und das so klar und eindeutig begründet, dass der Gesetzgeber eigentlich vor Scham im Boden versinken müsste. Die Initiatoren fordern Sozialpolitik statt einer Law-and-Order Show und mehr Investitionen in den sozialen Wohnungsbau.

Mit dem Urteil gab Ungarns höchstes Gericht der Klage verschiedener NGO´s gegen ein Gesetz Recht, das die "Nutzung öffentlichen Raumes für Wohnzwecke" untersagt und mit Geldstrafen oder Ersatzhaft (wegen der Geldknappheit der Betroffenen die Regel) ahndet. Die Initiative ging von Fidesz-Bezirksbürgermeistern über eine populistische Volksbefragung mit Plakatkampagne aus und wurde von der Zentralregierung übernommen. Vor allem die NGO´s TASZ und "A Város Mindenkié" (Die Stadt gehört Allen) engagierten sich gegen diese Kriminalisierung von Obdachlosen.

Die Stadt gehört allen...

Die Begründung der Richter ist so eindeutig wie für die Gesetzgeber beschämend: "Der reine Umstand, dass jemand im öffentlichen Raum lebt, beeinträchtigt nicht automatisch die Rechte anderer Menschen, verursacht nicht zwingend Schäden und gefährdet auch nicht per se die gewöhnliche Nutzbarkeit von öffentlichem Raum." Daher ist die Bestrafung von "auf der Straße lebenden Menschen" nicht zulässig. Das Gericht ging noch weiter: "Es widerspricht dem Grundrecht auf Bewegungsfreiheit und der menschlichen Würde, wenn der Staat Menschen mit Zwangsmitteln sozialen Diensten zuführen will." Dabei geht es um die mit der Aufbringung von Obdachlosen und ihrer Bestrafung einhergehende Zwangszuweisung an Obdachlosenheime. Reichen die Plätze dort im Moment nicht, kann auch eine Polizei-Arrestzelle als Obdach gelten.

Die Kläger verlangen nun eine sofortige Einstellung der bisher geübten Praxis, eine alsbaldige Abänderung bzw. Annullierung der Gesetze sowie eine öffentliche Entschuldigung der für das stigmatisierende Gesetz Verantwortlichen: Abgeordneter und Bezirksbürgermeister des VIII. Bezirkes, Máté Kocsis (Regierungskommissar für Obdachlosenfragen), Innenminister Sándor Pintér, Staatssekretär für Soziales, Miklós Soltész sowie Budapests OB István Tarlós (alle Fidesz), der mit seiner "Säuberung der Unterführungen" die Law-and-Order-Aktion der Regierungspartei Ende 2010 richtig ins Rollen brachte.

Jedes Jahr erfrieren in Ungarn Dutzende Menschen, eine NGO protestiert bildhaft gegen diese Zustände

Die NGO´s stellen zudem fest, dass sie nicht für das Recht auf Obdachlosigkeit, sondern das Recht auf Obdach kämpfen, das aber adäquate Angebote und eine würdevolle Behandlung, keine pauschale (!) Kriminalisierung benötigt. Auch geht es nicht um die Verhinderung der Ahndung von kriminellen Handlungen. Obdachlosigkeit ist aber keine solche, sondern ein soziales Problem, das am Ende einer langen und oft komplexen Kette des Leidens steht. Dieses kann nur durch Sozialpolitik, nicht durch Bestrafung gelöst, zumindest gemildert werden. Die Regierung solle die Wohnbauzuschüsse vor allem für die untersten Einkommensschichten "radikal erhöhen" sowie, zusammen mit Städten und Gemeinden, ein breites Netzwerk des sozialen Wohnungsbaus anstoßen. - Die Regierung beruft sich darauf, mehr Mittel als je zuvor für Hilfsmaßnahmen für Obdachlose bereit zu stellen, aus ihrer Sicht gibt es keine Notwendigkeit, auf der Straße zu leben, NGO´s widersprechen dem vehement.

 

Das Verfassungsgericht hatte zuvor bereits in Teilen das Mediengesetz sowie in Gänze die Zwangspensionierung von Richtern gekippt und mit diesem Urteil erneut seine relative Unabhängigkeit unter Beweis gestellt, die es, trotz einer Beschneidung seiner Kompetenzen um alle "Fragen, die das Budget betreffen", weiter verteidigt. Nächste Herausforderungen werden u.a. die Wählerregistrierung sowie Teile der Kommunal- und Bildungsreformen sein.

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red.

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