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(c) Pester Lloyd / 47 - 2012   POLITIK 21.11.2012

 

Die Untertanen

Erste Bilanz der "Kommunalen Beschäftigungsprogramme" in Ungarn: ein Offenbarungseid

Die ungarische Regierung hat eine erste, natürlich positive Bilanz der Kommunalen Beschäftigungsprogramme (Közmunka) gezogen und die Mittel für das nächste Jahr benannt. Das Planziel der Teilnehmerzahl wurde 2012 um rund 60% verfehlt, weil es zu wenig Angebote gibt und die Zielgruppe lieber abtaucht als sich herumkommandieren zu lassen. Das Programm, das eigentlich den Haushalt entlasten und den Arbeitsmarkt befeuern sollte, kommt den Staat teuer und verschärft die sozialen wie ethnischen Spannungen noch zusätzlich. Es ist gescheitert.

Nach den Plänen der ungarischen Regierung sollen 2013 mit 145 Milliarden Forint (515 Mio. EUR) rund 300.000 Menschen "in Arbeit gebracht" werden. In diesem Jahr habe man 132 Mrd. Forint bereitgestellt, "was Beschäftigung für 270.000 Menschen bedeutet", so der Minister, der diese Worte wohl wählte. Die Zahlen des Statistischen Amtes weisen nämlich für September lediglich 106.900 Stellen dieser Art aus, im letzten Monat ist die Neuaufnahme fast ganz zum Stillstand gekommen, was vor allem an den fehlenden Angeboten in den Kommunen liegt, aber auch daran, dass sich nicht wenige lieber ganz von den Sozialmaßnahmen abmelden und in die Schattenwirtschaft wechseln, um den Teils schickanösen Umständen der Közmunka zu entgehen. Auch wurde die Summe für 2013 schon um rund 5% gesenkt.

Im nächsten Jahr will man zwar auch die "äußerst erfolgreichen" Ernteeinsätze ausweiten, aber vor allem an ganzjährigen Angeboten arbeiten, wozu eine Reihe von "best practice"-Beispielen promotet werden sollen, um mehr Beschäftigung zu schaffen. Bei der Umsetzung des Programmes besonders emsige Kommunen wurden auf einer Veranstaltung im Innenministerium ausgezeichnet, denn dieses, nicht das Wirtschaftsministerium ist für die Umsetzung zuständig, was auch ein Hinweis auf die wirkliche Ausrichtung ist. Die 22 vorbildlichsten Kommunen erhielten zusätzliche Zuwendungen von je rund 2 Mio. Forint (ca. 7000.- EUR). Der Minister lobte in erster Linie Einsätze im sozialen und im Schulbereich uned bei Obst & Gemüse, von den eher zweifelhaften Müllsammelaktionen und Waldfegeeinheiten sprach er nicht.

Maximal 170 EUR, Gesten der Herabwürdigung inbegriffen

Innenminister Pintér betonte nochmal als Ziel der Maßnahme: "Menschen davon abzubringen, von staatlicher Unterstützung leben zu müssen, damit auch ihre Kinder sehen, dass es nötig ist, arbeiten zu gehen, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen." Diese Aussage ist in gewisser Weise zynisch, denn schon eher bekommen die "Bürger" dabei beigebracht, sich als "Untertanen" zu fühlen: Die Summen, welche jene "zwangsverpflichteten" Sozialhilfeempfänger und Langzeitarbeitslose hinzuverdienen können, reichen ohnehin nicht zum Lebensunterhalt, abgesehen davon, dass es sich dabei immer noch zu 100% um Steuermittel handelt.

Ein Sozialhilfeempfänger kann dadurch maximal 47.000 Forint (- 16% Flat tax) erhalten, wenn er das Prozedere Woche für Woche 40 Stunden durchhält, einschließlich möglicher Überlandverschickungen und abhängig auch vom guten Willen von Dorfnotaren und anderen Aufsichtspersonen. Von 47.000 Forint kann man heute in Ungarn mitunter nichtmal die Wohnnebenkosten bezahlen, allein die Fernheizung kostet viele schon mehr, auch wenn der Wirtschaftsminister davon ein gutes Leben verspricht. Für die Közmunka wurde extra der gesetzliche Mindestlohn außer Kraft gesetzt, was mehr als eine Geste der Herabwürdigung darstellt.

 

Das Geld wäre in Mikrokrediten besser veranlagt

Besonders dramatisch ist aber, dass die Tätigkeiten, die nicht selten schon in sich sinnlos sind, auch keinerlei Perspektive oder ausbildnerischen Aspekte haben, damit die Betroffenen tatsächlich irgendwann eine Chance haben, auf dem richtigen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Damit wird auch das formulierte Primärziel der Maßnahme, nämlich die dauerhafte Erhöhung der Beschäftigungsquote, die als viel zu niedrig richtig erkannt wurde, konterkariert.

Da das Programm wegen fehlender Nachhaltigkeit für die Teilnehmer keine Entlastung für den Staatshaushalt und auch keine Belebung für den Arbeitsmarkt bringt, im Gegenteil, eher noch als gefährliche, da alimentierte Konkurrenz lokalen Anbietern zusätzliche Probleme bereitet, kann das Projekt als gesamtwirtschaftlich gescheitert und durch seinen stigmatisierenden Charakter als gesellschaftlich gefährlich eingeschätzt werden.

Es müsste umgehend beendet werden, die Ressourcen gehörten in echte berufsfördernde und andere Bildungsmaßnahmen sowie in eine zentral kontrollierte, aber lokal heruntergebrochene Unternehmerförderung bzw. in ein System von Mikrokrediten gesteckt, wie es in Entwicklungsländern erfolgreich praktiziert wird. Doch dazu müsste der Staat nicht nur Empathie,  Einsicht und Kreativität zeigen, sondern seinen Bürgern auch ein gewisses Maß an Selbstbestimmung zugestehen, was auf der einen Seite nicht zu erwarten und auf der anderen Seite häufig auch nicht gegeben ist.

 

Dass das Programm daher hauptsächtlich zur Beaufsichtigung der zigtausenden verarmten Roma gedacht war und genutzt wird, um dieses soziale Pulverfass mit einer Law-and-Order-Maßnahme zu entschärfen, die möglicherweise populistisch gut ankommt, die Probleme aber nicht löst, wird von der Regierung zwar vehement verneint, einschlägige Tatsachenberichte belegen jedoch die Richtigkeit dieser Annahme, einschließlich rassistisch ausufernder Umsetzungen, vor allem in von Jobbik-Bürgermeister regierten Orten.

Welche Schlussfolgerungen die Kinder der "Begünstigten" einer solchen Behandlung dereinst ziehen werden, bleibt abzuwarten. Dass sie sich in Form eines Boumerangs äußern, wahrscheinlich, zumal der Umstand, ein Volk vor allem mit "Abschreckung" regieren zu wollen, an sich schon einem Offenbarungseid hinsichtlich des auch durch diese Regierung kultivierten Menschenbildes gleichkommt.

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cs.sz. / ms. / red.

 

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