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(c) Pester Lloyd / 04 - 2013   BOULEVARD 24.01.2013

 

Vorzeitiger Propagandismus

Einstimmung auf einen langen, hässlichen Wahlkampf in Ungarn

Die MSZP, die wegen ausbleibender wirklicher Oppositionstätigkeit offenbar genug Zeit für frühzeitigen Wahlkampf hat, startete letzte Woche eine erste Wahlkampagne, auf die unsere in diesen Dingen soch sehr sensible Regierungspartei Fidesz sogleich mit einem entsetzen "Hasskampagne!" reagierte. Fidesz teilt zwar selbst gerne deftig aus, aber dann ist es schließlich im nationalen Interesse und nicht in dem der linksliberalen Verschwörung gegen das heilige Ungarn.

Auf den zwei Sujets der MSZP sehen wir die heruntergepixelten Gesichter des Wirtschaftsministers György Matolcsy und der Staatssekretärin für Bildung Rózsa Hoffmann auf einem schmutzig-grellen Hintergrund. Dazu gibt es die eher einfallslosen Schriftzüge "Fidesz: Beispielloses wirtschaftliches Scheitern", wobei das Wort "Erfolg" durchgestrichen und durch das Wort "Scheitern" ersetzt wird. Auf dem Hoffmann-Plakat ist zu lesen: "Wir führen Studiengebühren ein", das Wort "Abschaffen" durchgestrichen, was auf den Sinneswandel der Regierungsparteien anspielt, die noch vorige Legislaturperiode vehement gegen "ungerechte" Studiengebühren auftraten, aber klar, die kamen ja damals auch von den Sozis. So weit, so müde, zumal sich die MSZP sowohl in der Wirtschaft als auch beim Thema Studiengebühren bisher mit allem Möglichen, nur nicht mit Ruhm bekleckert hat.

Die Wahlkampagne, so erklärt es die Parteileitung bei der Präsentation, sei für all die Menschen, denen Viktor Orbáns Fidesz-Regierung keine Beachtung schenkt. Die Fidesz-Regierung habe seit nun fast drei Jahren "nichts außer Armut und Zerstörung" gebracht und somit "die Ressourcen der Zukunft aufgebraucht." Die Kampagne kostet 20 Millionen Forint (rund 68.000 Euro) und finanziert sich - so die MSZP-Angaben - sowohl aus Mitgliederbeiträgen als auch aus Spenden.

Die Fidesz-Fraktion sprach von einer "schmutzigen Kampagne", die einen "Angriff auf die ganze Nation" darstellt (unter dem macht es heute keiner mehr!) und äußerte, dass Ungarn "weder eine Aufstachelung zum Hass noch die gefährliche Wirtschaftspolitik seitens des linken Lagers gebrauchen" könne. Die Plakate seien eine reine "Hasskampagne" und das Eingeständnis des Vesagens der Sozialisten, die zum "Misserfolg" verdammt sind. Die Sozialisten würden mit den Plakten gar das Land "verschandeln".

Hier muss man insofern einschränken, dass gut Dreiviertel der Plakatwände in großen Städten, vor allem in Budapest, in den Händen von Fidesz-Firmen sind und auch die Regierungspartei, bzw. die nachgeordneten Sturmtruppen von den "Friedensmärschen", also Hassprediger Bayer und Co. bereits eine ähnliche Kampagne starteten als Ex-Premier Bajnai an der Spitze von "Gemeinsam 2014" Anstalten eines politischen Comebacks machte. Damals plakatierte man ihn u.a. auch auf städtischen Bussen zusammen mit Volksfeind Nr. 1, Gyurcsány (siehe Foto 2), mit dem Satz: "Einmal haben sie das Land schon runiert, das genügt...", der auch nicht gerade den Kreativpreis gewinnen wird. Anonyme Aktivisten brachten den gleichen Spruch dann auf Orbáns Hochschulpolitik gemünzt ebenfalls zu Papier und an die Wand (Foto 3) und so geht das immer weiter und hin und her.

Die Wahlkampagnen der beiden großen Parteien werden sich, das ist schon heute absehbar, auf die reine Verächtlichmachung des Gegners, der immer lügt und von nichts einen Schimmer, ja nicht einmal guten Willen hat, beschränken. Die MSZP wird versuchen darzustellen, wie weit das Land schon untergegangen ist, Fidesz wird klarstellen, dass der Untergang unausweichlich ist, sollten die Sozis zurückkehren, ergänzt um nordkoreanisches Selbstlob. Eigentlich ist also alles, wie es immer in Ungarn war, die Kampagnen spiegeln recht unmaskiert das allgemeine Niveau der politischen Debatte in Ungarn, sind Zeichen der demokratischen Unkultur oder - wenn man so will - der drohenden undemokratischen Kultur.

Wie in der DDR: Viktor, wir lieben Dich! - Gesehen auf dem “Friedensmarsch”,
organisiert von Freund Bayer...

Der bisherigere Tiefpunkt - zumindest was die Plakate betrifft - war die Anti-IWF-Kampagne der Regierung, in der man dreist gegen Forderungen kampagnisierte, die der IWF gar nicht aufgestellt hatte... (siehe Foto rechts).

Die neuen Regeln zum Wahlkampf (das Verfassungsgericht hatte ein paar gekippt, aber nicht alle!) geben der Regierungspartei einen klaren medialen Vorsprung, wird sich der Hauptteil der audiovisuellen Parteienwerbung doch im staatlichen Fernsehen abspielen, das bereits komplett gleichgeschaltet wurde. Dass die MSZP mit einer so vorzeitigen Negativkampagne startet, anstatt gangbare Alternativen aufzuzeigen, spricht für sich, bzw. gegen sie, - Mitte Februar will die neue Oppositionsgruppe von "Gemeinsam 2014" zunächst einmal ihr Wahlprogramm präsentieren, an dem eine Reihe von Experten seit Monaten arbeiten.

Doch auch hier zeichnet sich ab, dass die Regierungspartei sich nicht auf inhaltliche Debatten einlassen wird, zumal sie von Wirtschaft nachgewiesener Weise keinen blassen Schimmer hat und sich mit einer ersten Attacke gegen die “sozial kalten Neoliberalen” ziemlich blamierte.  Daher bleibt nur die Diffamierung und die politische Lüge, zwei altbewährte Instrumente nicht nur Heute und lange nicht nur in Ungarn.

S.B. / red.

 

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