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(c) Pester Lloyd / 05 - 2013   POLITIK 27.01.2013

 

Politik geht doch nicht anders?

An sich selbst zerbrochen: Spaltung der Grünen in Ungarn

Eine Gruppe rund um den LMP Ex-Fraktionschef Benedek Jávor hat am Sonntag entschieden, ihre Partei LMP ("Lehet Más a Politika", "Politik kann anders sein") zu verlassen und eine neue Gruppierung zu gründen. Dem war am Samstag ein offener Schlagabtausch auf einem Parteikongress vorausgegangen, bei dem eine knappe Mehrheit wieder alle Anträge für die Aufnahme von Verhandlungen über Wahlallianzen oder -kooperationen mit anderen Gruppen abgeschmettert hatte.

András Schiffer und Benede Jávor, die beiden Pole der LMP

Der Streit um die richtigen Kooperationen oder eine strikte Äquidistanz zu allen anderen Parteien beherrscht die grün-liberale Partei von Anfang an. Im Gründungsjahr 2009 meldete sie sich mit einem Achtungserfolg bei den Europawahlen zu Wort und konnte sich 2010 - trotz des extrem polarisierten Lagerwahlkampfes zwischen MSZP und Fidesz - mit eindrucksvollen 7,5% auf der politischen Bühne und im Parlament etablieren. Die LMP bot vielen enttäuschten, liberal fühlenden Menschen eine Wahlalternative. Doch schon bei den Kommunalwahlen im Oktober zeigte sich das Problem: da LMP-Kandidaten nicht bereit waren, zu Gunsten von MSZP-Kandidaten im zweiten Wahlgang zu verzichten, "verlor" das linke Lager auch Budapest an Fidesz.

Oppositionsarbeit auch gegen die Opposition

Tonangebend war in der LMP von Anfang an Mitgründer András Schiffer, den man - auch wenn das widersprüchlich erscheinen mag - als liberalen Dogmatiker kennzeichnen kann. Er versuchte die Partei als außerhalb der verkommenen Systeme von "Links" und "Rechts" zu entwickeln und leistete mit seinen Parteikollegen kritische Oppositionsarbeit, die jedoch nicht nur auf die Verfehlungen der Orbán-Regierung, sondern  explizit auch auf die Vergehen der sozialliberalen Vorgänger zielte. Eine wichtige Initiative Schiffers - die übrigens sowohl die Regierungs- wie die größte Oppositoinspartei betrifft - war und ist die Aufarbeitung der Stasiakten, die in Ungarn immer noch keinen rechtlichen Rahmen hat, der den Opfern und einer Aufarbeitung gerecht würde. Die LMP engagierte sich für die Aufdeckung von Korruptionsfällen bei der MSZP und SZDSZ ebenso, wie sie das Land-Grabbing der Fidesz-Nachfolger angriff. Das Mall-Moratorium (Ladenflächen über 300qm nur gegen Sondergenehmigung) geht auf eine LMP-Initiative zurück, wurde allerdings von Fidesz zu einer unkontrollierbaren Kungelkommission pervertiert.

Der “dritte Weg” führte ins Abseits

Anmerkungen zur Wahlumfrage

Qual der Wahl?
Wen würden Sie wählen, wenn jetzt in Ungarn Parlamentswahlen wären?
 Fidesz-KDNP
 MSZP
 Jobbik
 LMP
 DK
 "Gemeinsam 2014"
 Eine andere Partei
 Ich würde gar nicht wählen

 

Ab Ende 2010 zementierte Schiffer sich und die Partei mit der Idee (s)eines dritten Weges allmählich immer mehr selbst ein, die inhaltlich und strukturelle Selbstfindung zog sich in die Länge, auch sorgten allzu kollegialer Umgang mit Jobbik-Abgeordneten und Aussagen wie "um die Regierung nach den nächsten Wahlen abzulösen, würde ich sogar mit dem Teufel paktieren" für einiges Unverständnis, zumal Schiffer tiefergehende Gespräche mit der Linken auch dann noch ablehnte als sich der indiskutable Ex-Premier Gyurcsány mit seiner DK von der MSZP abspaltete und mit "Gemeinsam 2014" auch eine neue Bürgerrechtsbewegung und Wahlallianz entstanden war, die neben Ex-Premier Bajnai auch Gewerkschaftskreise und - mit der Bewegung Milla - ureigene LMP-Wählerschaft umfasste.

2011 wurde der "Fundi" Schiffer von dem offener und aktionistischer agierenden "Realo", Benedek Jávor, an der Fraktionsspitze abgelöst, doch behielt Ersterer eine starke Hausmacht, die sich Kooperationen immer sturer verschloss und am Ende so im eigenen Saft schmorte, bis die heutige Krise eskalierte. Zunächst gab Jávor, von den ständigen Interventionen Schiffers entnervt, Ende 2012 den Fraktionsvorsitz zurück und gründete eine parteiinterne Plattform "Dialog für Ungarn". Als er nun sah, dass Verhandlungen mit anderen Gruppen von der Schiffer folgenden Mehrheit nicht gewünscht werden, weil man prinzipiell nicht mit früheren Verantwortungsträgern kooperieren will, kündigte er - diesen Sonntag - seinen Austritt an und will nun eine weitere Partei gründen.

Das Thema "Kooperationen" immer noch nicht gelöst

Die Spaltung kommt für die LMP fast schon einem parlamentarischen Todesstoß gleich und trifft sie in einer Phase, wo sie in Umfragen ohnehin nur knapp über der 5%-Hürde (manchmal auch schon darunter) gesehen wird. Entsprechend enttäuscht zeigen sich beide Seiten von dem Ergebnis dieses Wochenendes. Schiffer sagte, dass "es in niemanden Interesse ist, dass die LMP aus dem Parlament ausscheidet." und Javor sagte, dass er eigentlich die Partei auch gar nicht verlassen wollte, es so aber nicht mehr ginge.

 

Und mit der sich nun vollziehenden Spaltung ist die Frage nach den Wahlallianzen bei der Rest-LMP ja auch immer noch nicht beantwortet. Am Ende rangen zwei Anträge miteinander. Der eine sieht vor, dass es Sache der Kandidaten in den Wahlkreisen sein soll, ob und mit wem sie kooperieren, ob sie im Zweifel zu Gunsten eines aussichtreicheren Mitbewerbers, mit dem man "ein Minimum an verfassungsmäßigen Übereinstimmungen teilt" zurückziehen oder nicht. Der zweite Vorschlag soll das Thema bis Jahresenede, also bis ca. 5 Monate vor der Wahl, ganz von der Agenda nehmen. Beide Vorschläge umgehen jedoch das eigentliche Problem der Positionierung, ein typisches Kopf-in-den-Sand-Manöver, das - neben den internen Streitigkeiten - anzeigt, dass die so anders sein wollende Partei doch immer "normaler" wurde.

Beginn einer Konsolidierung bei der Demokratischen Opposition?

Wie es nun weitergeht, ist nicht ganz klar, Jávor, sowie die LMP-Aktivisten der ersten Stunde, Fraktionsvize Gergely Karácsoy und Tímea Szabó sowie rund 100 Parteimitglieder der Plattform haben angekündigt, aus der Partei auzutreten, die acht abtrünnigen Abgeordneten (von 15) wollen aber in der Fraktion verbleiben, um der LMP nicht auch noch den Fraktionsstatus zu kosten. Könnte es doch noch eine Einigung geben? Beobachter der Debatten bei der LMP sprechen von einem "ideologischen Graben", der beide Strömungen trennt und erwarten, dass die Javor-Gruppe sich zu einer klaren linksliberalen Partei formiert, von denen es aber schon einige gibt. Immerhin könnte diese dann in "Gemeinsam 2014" und über diese Allianz auch im kommenden Parlament eine Rolle spielen.

Was ist das Gelbe vom Ei für die Wahlen 2014? Die Streikultur der Opposition ist praktisch nur mit einem Hühnerhaufen vergleichbar. Da ist die Rechte freilich weit voraus: dort ist alles gleichgeschaltet
und ein einziger Mann gibt die Richtung vor...

Für "Gemeinsam 2014" und für das Projekt "Orbán muss weg" ist diese Spaltung eher ein - zumindest potentieller - Gewinn, was die Regierungsparteien durchaus beunruhigen sollte. Gelingt es "Gemeinsam 2014" nämlich mit einer schlauen Bündnispolitik noch weitere Splittergruppen anzusaugen und auf rund 15%-17% oder vielleicht sogar noch mehr (14% waren bisher der Höchstwert, im Moment sieht man sie bei 8-9%) zu erstarken und schafft die MSZP ein Ergebnis von rund 32-34%, das heute schon für möglich gehalten wird, ist für Orbán, bei einem gleichzeitigen Aus der LMP (und vorausgesetzt das Ergebnis spiegelt sich auch in entspr. Direktmandaten) die Messe 2014 gelesen.

Zwar ist auch bei "Gemeinsam 2014" nicht alles eitel Sonnenschein, wie zu hören ist, doch immerhin ist man sich dort im Klaren darüber, dass mit Eigenbrötlerei und edlem Gemüt allein, Machtjunkies vom Schlage Orbáns nicht beizukommen sein wird. Ob die LMP sich von dem Schlag der Spaltung erholen kann, da die Wähler dieses Lagers 2014 eher taktisch agieren werden, ist unwahrscheinlich. Denn aufgrund der ausbleibenden Antworten hat die Partei die Frage nach ihrem Existenzrecht letztlich selbst gestellt.

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red.

 

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