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(c) Pester Lloyd / 07 - 2013   WIRTSCHAFT 12.02.2013

 

And the winner is...

Ungarn bekommt effektiv weniger EU-Gelder, Orbán: stehen besser da als bisher

Zwar ist der von den Regierungschefs ausgehandelte Kompromiss zum EU-Budget 2014-2020 wegen des Vetorechts des EU-Parlamentes noch nicht in trockenen Tüchern, doch Ungarn schneidet deutlich besser ab als befürchtet und erhält in der kommenden Periode nominell sogar mehr Gelder pro Kopf zugewiesen als in der alten. Kaufkraftbereinigt, also nach dem Geldwert berechnet, ergibt sich jedoch eine Realeinbuße von rund 12% bzw. 5 Milliarden Euro. Offiziell wird das als "Sieg auf ganzer Linie" kommuniziert und Ungarn kann damit tatsächlich zufrieden sein.

In der sonntäglichen Radiosendung "Vasárnapi Újság" (Sonntagsneuigkeiten) rechnete Orbán stolz vor, was er, natürlich er, erreicht hat: die Pro-Kopf-Förderungen der EU werden in der neuen Budgetperiode 712.000 Forint / Einwohner (ca. 2240 EUR) betragen, in der jetzt ablaufenden waren es 660.000 HUF / Kopf. In Summe stehen dem Land Mittel von 7.080 Mrd. Forint, also 24,3 Mrd. EUR zur Verfügung, das heißt: jährlich können, umgelegt auf die sieben Jahre Gelder im Äquivalent von 3,6% des BIP, aus Brüssel nach Budapest fließen, das sind nominal nochmal 20 Mrd. Forint bzw. ca. 70 Mio. EUR mehr als im Zeitraum bis 2013.

Rechtzeitig “Hier!” gerufen. Ungarn kam in Brüssel besser weg, als von vielen befürchtet.

Ungarn steht dabei als Nettoempfänger pro Kopf auf Platz 2 hinter Bulgarien und gleichauf mit Litauen, vorausgesetzt alle Gelder können abgerufen werden. Dafür soll die Festschreibung der Kofinanzierungsquote sorgen, die für Ungarn von 25% auf 15% gesenkt wurde, was den beteiligten Unternehmen, überwiegend aber, da staatliche kontrollierte Unternehmen die meisten EU-Mittel absorbieren, der Staatskasse fast 1 Mrd. EUR ersparen wird. Ungarn ist seit 2004 stets auf einem Spitzenplatz beim Nettogeldempfang gewesen, sowohl pro Kopf als auch im Verhältnis zum BIP.

Als zusätzlicher Bonus wurde in den Kompromissvorschlag in Brüssel eine Sonderverfügung von bis zu 1,56 Mrd. EUR für die "ärmsten Regionen" hineingeschrieben, 48 Mio. EUR kann Ungarn noch für spezielle Programme in den Regionen abrufen, wo die Jugendarbeitslosigkeit die 25%-Marke überschreitet. Die Agrarsubventionen werden nicht gekürzt. Voraussetzung dafür, dass dieser Geldsegen "Ungarn auch tatsächlich erreicht", ist nach den Worten des Premiers, dass die Politik eine klare Richtung für die Entwicklungs- und Landwirtschaftspolitik erarbeitet, daher habe er auch die Verantwortlichkeit für die Lukrierung und Vergabe von EU-Mitteln vom Entwicklungsministerium zu sich, ins Amt des Ministerpräsidenten verlagert. Er betonte auch die neue Direktive, wonach 60% der Gelder direkt in die "wirtschaftliche Entwicklung", sprich die Schaffung von Arbeitsplätzen, Produktionsstätten, Investitionsgüter fließen sollen und nur der Rest in allgemeine Infrastrukturmaßnahmen.

Also alles in Butter? Nicht so ganz, denn gemessen am Preisindex 2011 (also an der Kaufkraft) erhält Ungarn von 2014-2020 wertmäßig 20,5 Mrd. EUR und somit effektiv 5,2 Mrd. EUR weniger als in der Periode 2007-2013. D.h. für die 24,3 Mrd. EUR für 2014-2020 kann man sich ungefähr so viel kaufen wie 2011 für 20,5 Mrd. EUR. Das ist allerdings ein Richtwert, da sich die Inflation (Preise, Löhne, Steuern) nicht linear in allen Sektoren gleich entwickelt und auch der EUR-Forint-Kurs dabei noch eine Rolle spielt.

Wie auch immer, mit einem Budgetrückgang musste jedes Land rechnen, in Ungarn bestanden jedoch berechtigte Ängste, man müsse auf bis zu 25%-30% verzichten, weil die Strukturfonds für nicht mehr so bedürftige Neumitglieder deutlich zu Gunsten "Bedürftiger" und Kandidaten zusammengestrichen werden könnten und Ungarn aufgrund seiner streitbaren Performance kaum in einer guten Verhandlungsposition sei. Orbán hatte sich dementsprechend aggressiv in Stellung gebracht und schonmal vorab vor "Doppelstandards", "Strafaktionen" und "Unfairness" gewarnt. Das reale Minus fiel nun mit 12% deutlich geringer als die Befürchtungen aus und bedeutet ein Ergebnis, mit dem Ungarn sehr gut leben kann.

Das Fazit: Ungarn kann ganz zufrieden sein und hat ein realistisches Ergebnis, nicht das Optimum, erreicht. Die EU lebt keinerlei Rachegelüste gegenüber Ungarn aus, politisiert also die Geldvergabe nicht und auch das noch laufende Defizitverfahren hat sich nicht sichtbar auf die Budgetverhandlungen ausgewirkt. An der EU sollte es also nicht liegen, wenn die Wirtschaft in Ungarn so weiterschwächelt wie bisher. Einen kleinen argumentativen Verlust muss Orbán damit also doch einstecken, die EU, laut Orbán auch schonmal "das neue Moskau", ist als Buhmann - zumindest in Finanzfragen - erstmal kein glaubwürdiger Stichwortlieferant.

Warum Orbán die kaum vermeidbare Einbuße unbedingt als Sieg auf ganzer Linie darstellen musste, in feinstem Neusprech verkündete: "Ungarn steht besser da als zuvor", ist Teil seines polemischen und zwanghaften Charakters, für den alles einen persönlich auszutragenden Wettbewerb darstellt, für den es keinen Gewinn ohne einen Verlierer geben kann und der das Volk immer für ein bisschen dümmer verkauft als es ist. Das macht diese Regierung beim BIP ebenso wie bei der Lohnentwicklung, den Arbeitslosenzahlen, der Industrieproduktion und der Inflation. Wenn sie könnte, auch beim Wetter.

Natürlich kann und soll man die Frage stellen, was ein Premier für Ungarn erreicht haben könnte, der sein Land nicht in so aussichtslose Scheinkriege mit der Gemeinschaft verstrickte und ob der Besuch des Ex-Premiers Bajnai in Brüssel, verbunden mit der Bitte, die Ungarn nicht für ihren derzeitigen Regierungschef zu bestrafen (Landesverrat!) etwas bewirkt hat. Die Beantwortung führte jedoch ins Reich der Spekulation, womöglich ist Ungarn auf EU-Ebene so oder so zu klein, um wirklich selbst etwas in Geldfragen bewegen zu können.

Mehr zur Verteilung und Neurordnung: Milliarden in Orbáns Vorzimmer - Ungarn und die EU-Milliarden

red.

 

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