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(c) Pester Lloyd / 08 - 2013   WIRTSCHAFT 18.02.2013

 

Soziales Pulverfass

Bis zu 170.000 Ungarn von Zwangsräumung bedroht: Demo in Budapest

Die nackte Existenzangst trieb am Sonntag rund eintausend Menschen in Ungarn auf die Straße und vor das Parlament in Budapest. Der Grund: ab 1. März werden Zwangsräumungen von privatem Wohnraum aufgrund nicht geplatzter Kredite weitgehend wieder freigegeben, wenn das letzte - zuvor schon abgeschwächte - Moratorium ausläuft. Die Angebote der Regierung erreichten bisher nicht ihr Ziel, die Demonstranten erinnerten lautstark an die potentielle Sprengkraft des Problems.

“Danke für Euren Patriotismus” sagt der Veranstalter den Teilnehmern, die mit ungarischen Fahnen angereist waren vor dem Denkmal des Freiheitskämpfers Kossuth vor dem Parlament. Doch “Vater Staat” half den Forex-Kreditopfern bisher wenig.

Rund 900.000 ungarische Haushalte haben Fremdwährungskredite laufen, meist auf Schweizer Franken notiert, sie fielen auf die Verlockung niedriger Zinsen herein, das Kurrschwankungsrisiko wurde ausgeblendet oder bewußt verschwiegen. In- wie ausländische Kreditinstitute lieferten sich in den rund acht Jahren vor der Lehman-Krise eine Schlacht um Marktanteile, praktisch jedes Konsumgut bis hin zur Pauschalreise oder der Wohnzimmercouch war zu vermeintlich billigen Franken-Darlehen zu haben. Auch Häuser und Wohnungen, rund 450.000 betrifft das heute noch. Wohneigentum ist in Ungarn - im Unterschied zu vielen anderen europäischen Ländern - keine Luxusanlaage, sondern häufig die einzige verlässliche Altersabsicherung und eine schlichte Notwendigkeit.

Die rund 1.000 Menschen, die am Sonntag aus allen Ecken des Landes kommend, auf dem Kossuth Platz einer sich betont patriotisch gebenden Bürgerinitiative der "Bankgeschädigten" (BAÉSZ) Parole “Kein Forint den Banken!” folgten, repräsentieren nicht weniger als rund 170.000 potentielle Räumungskandidaten, geschätzte 40.000 traf das Schicksal seit 2008 bereits. Noch unter der Bajnai-Regierung wurden Zwangsräumungen mit einem Moratorium belegt, die Orbán-Regierung verlängerte dieses mehrmals, weichte es aber, als Entgegenkommen an die Banken auf, um eine höhere Beteiligung an den Kosten des Forex-Umtauschmodelles seitens der Banken zu erreichen und höhere Sondersteuern, die nun eine Dauerlösung geworden sind, durchzusetzen und schmackhafter zu machen. Seitdem können langsam, aber stetig steigende Prozentsätze fälliger Häuser wieder zwangsversteigert, die Bewohner ausquartiert werden.

Die Regierung sagt, bewußt mit Blick auf die "bösen Banken" und fast dankbar für den Aufmarsch, dass sie "den Ärger" der Menschen nachvollziehen kann, "dass Fremdwährungskredite ihr Leben ruiniert haben" und verweist auf ihre "Dutzenden Maßnahmen" zur Entlastung von überschuldeten Forex-Kreditnehmern und verspricht weitere Anstrengungen. Doch die Bilanz der Regierungs-"Hilfen" ist ernüchternd, die Protestierer sollten sich auf das alleinige Feindbild "Banken" nicht versteifen, wenn sie Antworten auf die ungelösten Fragen bekommen wollen:

Zunächst sollte ein
Forex-Kreditablösemodell Druck aus dem Kessel nehmen, bei dem sich jedoch herausstellte, dass nur Schuldner, die Zugang zu Bargeld (woher auch immer) haben, also keineswegs die soziale Unterschicht, also schon eher die als Wahl-Klientel identifizierte Mittelschicht, profitierten. Diese konnten ihre Forex-Kredite zu einem staatlich festgelegten Kurs und damit einem Abschlag von bis zu 25% mit einer Summe ablösen, was ürbigens auch nicht wenige Parlamentarier nutzten.

Wer das Geld dafür nicht hatte, verkaufte oft in Panik sein Häuschen oder seine Wohnung, oft weit unter Wert. Das Ergebnis: man war das Wohneigentum los und oft reichte der Erlös noch nichtmal zur Ablöse des gesamten Kredites. Dass Ungarns größte Bank, die OTP, gerade zu
diesem Zeitpunkt eine neue Maklertochter gründete, spricht Bände und nicht selten stießen sich lokal gut vernetzte Immobilienvermittler an dem Verkaufsnotstand gesund. Im Grunde war die ganze Aktion nichts weiter als eine Abschöpfungsaktion von privatem Kapital zu Gunsten der Banken.

Dem folgte ein Programm, wonach man, ebenfalls mit einem gewissen Abschlag, seinen Forex-Kredit in einen Forint-Kredit umtauschen konnte, der Differenzbetrag jedoch in einem zusätzlichen Kredit an den umgewandelten angehängt wurde. Die Kosten dafür konnten die Banken zur Hälfte von der Bankensondersteuer absetzen, die hohen Zinsen von Forintkrediten (trotz fortgesetzter Zinssenkung) tragen die Schuldner selbst, für viele war das keine gangbare Alternative, was die geringe Beteiligung an dem Programm bestätigte.

Als Draufgabe entwickelte die Regierung ein "Rettungsprogramm" für die Ärmsten. Bis zu einer Wert- und Quadratmeterobergrenze, bei entsprechend fehlendem oder geringem Einkommen sowie Kindern im Haushalt besteht die Möglichkeit, dass ein Staatsfonds die vakante Immobilie zu einem geringen Preis von der Bank kauft und dem gescheiterten Schuldner zu einer Sozialmiete überlässt. Im Vorjahr
sollten so 5000 Familien "gerettet" werden, 600 wurden es. Ein Regierungssprecher behauptet dennoch, dass man auf diese Weise 2013 10.000 Familien vor dem schlimmsten bewahren will. Allerdings sind die Mittel des Fonds und die Kriterien so eng gestrickt, dass an dieser Zahl zu zweifeln ist.

 

Der von der Regierung eingesetzte Ombudsmann für Bankenfragen, György Doubravszky, schlug nun vor, die Deadline des Moratoriums um weitere 45 Tage auszudehnen und einen "Runden Tisch" mit den Banken zu eröffnen, um "Lösungen" zu suchen. Das klingt nicht gerade nach einer ausgetüftelten Strategie, eher danach, als ob man diese soziale Zeitbombe einfach ignoriert hat, in der Hoffnung, das Schlimmste sei überstanden. Ein Irrtum. Dabei war die Kreditausfallquote auch im ganzen Jahr 2012 permanent angestiegen, wie man den Zahlen der Nationalbank entnehmen musste.

Doch die Regierung zog es vor, diese Zahlen zu ignorieren, genauso wie sie die Nöte der Armen mit ihrer gesamten Wirtschafts- und Sozialpolitik ignoriert hat, angefangen von der asozialen Flat tax bis hin zu währungserschütternden Äußerungen, dass ein schwacher Forint der Wirtschaft eigentlich ganz gut tun würde. Den Preis dafür zahlen jedes Mal die Ärmsten, denen man vielleicht bodenlose Naivität beim Abschluss ihrer Kreditverträge unterstellen kann, die aber genauso ein Anrecht auf "Förderung" und "Hilfen" haben, wie der gebeutelte Mittelstand, die Bauern, die Fidesz-Kader oder die über jede Vernunft hofierten Besserverdiener.

cs.sz. / m.s. / red.

 

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