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(c) Pester Lloyd / 11 - 2013   FEUILLETON 11.03.2013

 

Péter im Petersdom oder Primás papabile

Kardinal Erdő als Papst: Fortsetzung Johannes Paul II. mit den Mitteln Ratzingers

Kürzlich mutmaßten wir in karnevaleskem Übermut, dass der nächste Papst aus Ungarn kommen könnte, ja, eigentlich müsste. Hätten wir das lieber gelassen, denn uns schwant, dass wir einen Kelch herbeigeschrieben haben, den der Heilige Geist bald in die Realität ergießen könnte. Gazetten überall im Erdenrund handeln Péter Erdö als Geheimfavorit, als Primás papabile und für ihn spricht - aus vatikanischer Sicht - viel. Auch kennt ihn außerhalb Ungarns kein Mensch und das Opus dei hält ihn als Ersatzspieler auf der göttlichen Auswechselbank...

Kardinal Péter Erdő bei seiner Ankunft in Rom. Ab Dienstag gehts ins Konklave.

Ein Favorit ohne Favoritenrolle, den keiner außerhalb Ungarns zu kennen scheint

Ab Dienstag wird in einer hübsch ausgemalten Kapelle im Zentrum Roms der heilige Geist angerufen werden, auf dass er den konklavierten Kardinälen die Hand auf erleuchtete Art zum neuen Pontifex führe. Freilich wirken im Hintergrund noch andere Kräfte, auch den Purpurträgern ist bekanntlich nichts Menschliches fremd und so mutmaßen "Vatikanexperten" und sonstige Selbstberufene aller TV- und Rundfunkanstalten, sämtlicher Gazetten und Internetblogs (deshalb dürfen wir da nicht fehlen!), was auf den in die heilige Pension entschwebten Ex-Papst Ratzinger folgen mag: endlich wieder ein Italiener oder doch ein Ami, gar ein Schwarzer oder ein Latino? Man weiß es nicht, höchstwahrscheinlich wird er aber männlich und katholisch sein.

Beim Durchforsten des Medien-Streams fällt auf, dass der Chef der ungarischen Katholiken, der im Kardinalsrund geradezu kindlich wirkende 60jährge Péter Erdő, immer häufiger beiläufig genannt wird. Ein Favorit ohne Favoritenrolle, den kein Schwein außerhalb Ungarns zu kennen scheint, was ein riesiger Vorteil ist, denn so reduziert sich auch die Zahl der Feinde beträchtlich. Als Ungar ist Erdő befähigt, als letzter in die Drehtür hinein und als erster wieder hinauszugehen, wie unser Autor Georg Köváry, Gott hab ihn selig, einst so treffend formulierte. Hat die Sixtina Drehtüren? Immerhin trägt der für Päpste vorgesehene Dom schon seinen Namen...

Erdő bei Papst Johannes Paul II. Er wurde von diesem einst zum jüngsten Kardinal der Welt ernannt

Erdő ante portas: eine kleine Presseschau

Doch im Ernst. Französische, spanische, italienische, südamerikanische Zeitungen, erst allmählich auch die deutschsprachigen, haben Erdő längst auf dem Schirm. Die Washington Post beschrieb ihn als einen "Gelehrten mit einem populären Touch", der Bayerische Rundfunk freut sich, dass "der erste Bischof Europas den Menschen Gott wieder schenken will", für die katholische Presseagentur "ragt Erdő unter den Nichtitalienern hervor", für den Londoner Telegraph ist Erdő der "ideale Komprimisskandidat" zwischen den rivalisierenden Gruppen, eine brasilianische Online-Zeitung preist ihn als "Verteidiger der Freiheit in Zeiten des Kommunismus", CBS-News sieht in ihm "einen Favoriten der Europäer" mit "besten Kontakten nach Afrika", Le Figaro aus Paris betont die "Außenseiterchancen", Le Matin nennt ihn einen "polyglotten Kulturliebhaber", dpa und ZDF sprechen von dem "umsichtig argumentierenden, Seriostität verkörpernden", die katholische "Tagespost" sieht ihn ihm einen typischen "Ratzingerianer", für die Abendzeitung aus München ist er ein "versierter Theologe konservativer Ausrichtung", für den Kurier aus Wien die "Alternativlösung".

Seine Predigt in Rom klang schon wie die Antrittsrede eines Pontifex

Wer ist dieser Mann? Manche sagen: ein Intellektueller wie Ratzinger, andere: ein missionarischer Eiferer, wieder andere: ein reiner Karrierist und noch andere: Vollblutseelsorger und bedeutender Kirchenlehrer. Immerhin war der 1952 geborene Erdő, ernannt noch von Papst Johannes Paul II., einst jahrelang der jüngste Kardinal des Kollegiums. Von 1998 bis 2003 war er Rektor der katholischen Péter Pázmány Universität in Budapest. Seit 2003, also seit seinem 51. Lebensjahr, ist er Erzbischof von Esztergom-Budapest und damit höchster Katholik des Landes, seit 2006 leitet er die Europäische Bischofskonferenz, das ist eine steile Karriere, für die man Fürsprache und Gönner braucht.

Erdő leitete am Sonntag in Rom eine Messe. Seine Predigt dort hörte sich schon wie die Antrittsrede des neuen Pontifex an, beim Verlassen des Gotteshauses Santa Balbina empfing ihn brausender Applaus. Wohl gewichtet und die Rhetorik seines Vorgängers glänzend kopierend, meinte Erdő, dass sich die römisch-katholische Kirche in einer "dramatischen Lage" befindet, sowohl wegen des Papstrücktritts als auch wegen des spirituellen Zustands der Welt, in der die Menschen ohne Gott in einer "virtuellen Realität" leben müssten, die Generationen auseinanderdriften und was es sonst noch alles an Elend gibt. Man müsse nun die Köpfe heben, um sich wieder auf die Suche zur wahren Liebe Gottes zu machen usw.

Kardinal Péter Erdő auf dem Kreuzweg. Herr “Wald” (Erdő) trägt einen Baum. Vielleicht doch noch zu junge und fit für einen Pontifex?

Die Normalität freier Gesellschaften ist für Erdő: "systematische Christenfeindlichkeit"

Erdő ist ein fanatischer, aber nicht fanatisch auftretender Kämpfer gegen den "Säkularismus", also gegen die schleichende, manchmal galoppierende Entklerikalisierung der Gesellschaften, vor allem in den Industriestaaten und generell in Europa, auch dem östlichen. Die katholische Kirche glaubt ja tatsächlich nicht nur an Gott, sondern auch daran, dass die Menschheit dem Untergang geweiht ist, wenn sie Gottes Wege, gemeint die "einzig wahre" Lehre davon, die wiederum der Papst vertritt und interpretiert, verlässt. All das, was sich unter dem Begirff "Aufklärung" (bitte im Kantschen Sinne) mühsam durch 2000 Jahre christliche Omnipotenz gekämpft hat, um in den Gesellschaften zu gelebter Normalität zu werden, nämlich das Recht auch auf Freiheit von Religion(en) und ihrem Einfluss auf unser tägliches Leben, ist für Erdő, wörtlich: "systematische Christenfeindlichkeit".

Zeichen, die andere auslassen

Erdő hasst die Kommunisten, er hasst sie vor allem, weil sie nicht an Gott glauben wollen und unbekehrbar sind und jeder guter Katholik Kommunisten hasst und er hasst sie, weil seine Eltern unter ihnen leiden mussten. Doch er setzt auch Zeichen, die andere auslassen: 2012 marschierte er beim “Marsch der Lebenden” am Holocaust-Gedenktag mit. Eine solche Teilnahme ist im heutigen Ungarn keine Errinerungsroutine, sondern eine politische Aussage. Er pfiff dienstfertige Priester zurück, die in frömmelnder Blindheit, von der offen neofaschistischen Jobbik aufgestellte Straßenkreuze segneten. Er sucht den interreligiösen Dialog, vor allem mit den Ostkirchen und den Juden, er hat sich als Dozent und Rektor an der Katholischen Uni einen Namen gemacht und gilt als sehr gelehrt und belesen. Erdő kommt bei den Menschen an, er ist freundlich ohne zu abgehoben zu wirken, sein Lächeln sieht manchmal echt aus, er trägt ein sanftes Wesen um einen unerbittlichen Geist, kurz: er ist die Fortsetzung Papst Johannes Paul II. mit den Mitteln Ratzingers, was besseres könnte dem Vatikan - aus dessen Sicht - also gar nicht passieren.

In Ungarn mischt die Kirche seit Orbán wieder kräftig mit

Im eigenen Land ist Erdő seit 2010 wieder eine Macht, seitdem die ständestaatliche Orbán-Regierung um Fidesz und die fundamental-christliche Anhängselpartei KDNP
einen Kniefall nach dem anderen vor ihren großen Kirchen vollführen und eine diffuse Mischung eines völkisch-frömmelnden Nationalismus Mainstream geworden ist. Erdő nimmt es bei seinen politischen Freunden mit der Reinheit der Lehre (Du sollst neben mit keinen anderen etc.) nicht so genau und verzeiht diverse Übertretungen. Nur Ungläubigkeit ist ein Graus. Eines seiner wichtigsten Projekte sind denn auch die sog. "Stadtmissionen", mit denen er "kirchenferne" Gruppen wieder "zu Jesus und seiner Heiligen Kirche" bringen will.

Die ungarischen Kirchen mischen wieder kräftig mit im gesellschaftlichen Leben Ungarns, i
n der Schulbildung sind sie zum zweitgrößten Player aufgestiegen, da sie finanziell mit den kommunalen Trägern gleichgestellt wurde, sie sind die erste Wahl wenn es um die Vergabe staatlicher, "karitativer" Geldmittel geht und drängen andere NGO´s mit ihren Connections einfach an die Wand. Gerade erst übernahm Orbán aus der Handkasse 15 Mio. EUR Fremdwährungsschulden der Kirchen, weil die gottlosen Sozialisten die "Wiedergutmachung" nach der Wende haben schleifen lassen, so die offizielle Erklärung.

 

Der Höhepunkt aber: Gott steht wieder in der Verfassung der "Republik", ja Gott ist sogar ihr erstes Wort und die Bezüge auf das Christentum und das heilige Ungarn sind allerorten zu vernehmen. Orbán meinte ja, dass Europa nur eine Chance hat zu überleben, wenn es sich auf seine christlichen Wurzeln besinnt. Ein Erdő als Papst wäre praktisch die Bestätigung der Orbánschen Lehre von ganz Oben. Orbán würde, ja müsste das Ereignis als Sieg für sich darstellen und bis zur Neige auskosten, eine Welle des nationalen Stolzes des so verkannten Landes trüge ihn sicher noch einige Amtsperioden länger als es seine Leistungen verdienten.

Erdő, die Rache der Italiener?

Wie aus österreichischen Zeitungen zu lesen, kapriziert sich - einigermaßen passend - das finstere Opus Dei, also praktisch die Cosa nostra sancta auf den Mailänder Erzbischof Angelo Scola, den Kanadier Marc Ouellet sowie den ungarischen Primas Péter Erdő. Es sollte sich niemand wundern, wenn der neue Papst einer dieser Drei wird. Doch Scola ist Italiener, Ouellet aus Übersee. Erdő könnte, sollten sich die Italiener wieder nicht durchsetzen können und dafür aus Rache einen Überseeler verhindern wollen, als dreifaltiger Kompromiss der neue Papst werden. Der Péter auf dem Petrusstuhl.

m.s.

 

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