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(c) Pester Lloyd / 11 - 2013   NACHRICHTEN 11.03.2013

 

Verfassungsputsch in Ungarn: Der Tag in Budapest - Nachlese

 

ALLE WICHTIGEN Fakten und LINKS ZUM THEMA am Ende der Seite

21.00 Uhr: Demonstrationen in der Burg und vor dem Parlament. Bericht.

18.50 Uhr: Einige hundert Demonstranten verharren vor dem Parlament, größeren Widerspruch wird es am Freitag, 15. März, dem Nationalfeiertag geben. Dann werden sowohl Regierungsanhänger wie -gegner zu Zehntausenden auf den Straßen Budapests erwartet.

Wir verabschieden uns für heute (von außergewöhnlichen Ereignissen abgesehen) und bedanken uns für die besonders große Aufmerksamkeit unserer Leser (8.750 unique users auf diesem Live-Ticker). Schöne Grüße aus dem schönen Budapest, trotz allem!

18.48 Uhr: Wie tiefgreifend die gerade beschlossenen Änderungen an der Verfassung und bei den Zuständigkeiten des Verfassungsgerichtes sind, hat heute Ex-Präsident Sólyom, ein Verfassungsrechtler näher erläutert und den aktuellen Präsidenten in einem dramatischen Appell zum Veto aufgefordert, andernfalls würde die verfassungsmäßige Ordnung Ungarns beseitigt. Zunächst hängt also alles von János Áder ab, der ist gerade bei Merkel zu Gast. Zur Haltung Deutschlands und der EU gibt es hier mehr. Alles weitere in den Links am Ende dieses Textes.

18:39 Uhr: Jetzt ist es amtlich. Die vierte Verfassungsänderung wurde mit 68,6% der Stimmen der Abgeordneten angenommen. 265 stimmten dafür, 11 mit dagegen, 33 enthielten sich der Stimme. Abgegebene Stimmen: 309, abwesend: 76.

18:05 Uhr: Nochmals die Aktion der Grün-Liberalen, jetzt umrahmt vom höhnischen Grinsen der Regierungsbankinsassen.

17:40 Uhr: Etwas Volk versammelt sich doch. Die Gewerkschaftsbewegung Szolidaritás mit ein paar Anhängern beim Parlament. Allerdings kein Vergleich zu Samstag.

17:27 Uhr: Parlamentspräsident Kövér verwies die Störenfriede des Saales, heftige Wortwechsel, Orbán macht ein neutrales Gesicht. Wer glaubt, es gehe nur heute so zu im “Hohen Hause”, dem empfehlen wir diese aufschlussreiche Reportage.

17:16 Uhr: Die Verfassungsänderungen stehen zur Abstimmung. Benedek Jávor ehemals LMP jetzt “Dialog für Ungarn” hält ein Plakat ins Plenum: “Vor dem Volk fürchtet Euch, nicht vor Viktor, Stimmt mit Nein!”. Offenbar hat er keine, denn das Volk ist gar nicht da, steckt im Berufsverkehr. Ein Fidesz-Abgeordneter fotografierte noch demonstrativ die leeren MSZP-Bänke. Für die Nachwelt.

17:09 Uhr: Fidesz-Fraktionschef Rogán hat mit Hinblick auf das “inakzeptable” Urteil (siehe  14.23 Uhr und 15.02 Uhr) eine “Unterschriftenaktion unter den betroffenen Familien” angekündigt. Damit fährt man die alte Schiene vom “Gerechtigkeitsempfinden des Volkes” gegen das “Recht der Gerichte”. Mit der Masche hatte man schon die erste Kastration des VfG eingeleitet.

17:06 Uhr: Die Abstimmungsmaschine wurde angeworfen. Nach den Zurufen ihrer Fraktionssprecher drücken die Abgeordneten “Igen” oder “Nem”, auf der Tafel leuchten die Ergebnisse auf. Zunächst geht es um Kleinkram, so wurde der Untersuchungsbericht zur Malév- und Airport-Privatisierung angenommen, mit den Stimmen von Fidesz und Jobbik.

16:52 Uhr: Der ungarische Außenminister Martonyi sagte in Brüssel: “Wir sind bereit mit jedem über alles zu jeder Zeit und überall zu diskutieren.” Er wünscht sich von der Venedig-Kommission beim Europarat eine “Meinung” zur 4. Verfassungsänderung. Das ist insofern sehr originell, da diese Änderungen heute beschlossen werden...

15:57 Uhr: Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle hat am Rande einer Sitzung der EU-Außenminister in Brüssel zum Thema Ungarn gesagt: "Die Bundesregierung hat keinen Zweifel daran gelassen, dass Europa eine Wertegemeinschaft ist und dass wir erwarten, dass diese Werte auch nach innen gelebt werden" (...) "Es geht nicht nur um Verfassungen und Rechte, die auf dem Papier stehen, sondern sie müssen in der Praxis auch gelebt werden. Das ist der Maßstab, der für uns alle in Europa gilt."

15:36 Uhr: Der Forint hat sich auf 302,3 HUF/EUR “stabilisiert”. Die Redaktion geht, gemeinsam mit dem Parlament bis 16:30 Uhr in eine Kaffeepause, bevor der auch noch teurer wird... Wir empfehlen inzwischen die Lektüre zum nächsten Papst, das wird nämlich ein Ungar. - Und wie immer die Frage: aus welchen Städten lesen Sie uns? Bitte in die Kommentarfunktion posten. Danke!

15:24 Uhr: Die Abstimmung zu den Verfassungsänderungen rückt näher, zuvor geht es im Parlament aber noch um eine Reihe von Interpellationen durch Abgeordnete: ein Jobbik-Mann verlangte von der Regierung u.a., dass sie “konkrete Schritte für die Erlangung der territorialen Autonomie der Székler ergreifen” sollte. Die Antwort des zuständigen Staatssekretärs Németh war aber nicht. Geht nicht, weil das Krieg hieße, sondern er sagte: Ihre Anfrage ist nicht spezifisch genug.

15:20 Uhr: EU-Kommission will “notfalls alle Instrumente nutzen...”

15:16 Uhr: Die Presseabteilung des Deutschen Bundestages meldet: “Lammert wirbt in Ungarn für Minderheitenrechte: Bundestagspräsident Norbert Lammert hat den Beschluss der ungarischen Nationalversammlung über den nationalen Gedenktag zur Vertreibung der Ungarndeutschen als „eindrucksvolle Geste der Verständigung und Versöhnung“  gewürdigt, die - früher als anderswo in Mittel- und Osteuropa – mit der Aufarbeitung der Nachkriegsgeschichte begonnen und Maßstäbe gesetzt habe. In einer Gedenkveranstaltung im ungarischen Parlament in Anwesenheit zahlreicher Repräsentanten der ungarischen Nationalversammlung und der Regierung unterstrich Lammert die Bedeutung von Minderheitenrechten, die den Urgrund der Demokratie deutlicher zum Ausdruck brächten als die Geltung von Mehrheitsentscheidungen. In diesem Zusammenhang wies Lammert auch ausdrücklich auf die Besorgnisse in Deutschland und der EU zu den weiteren Änderungen und Ergänzungen der ungarischen Verfassung hin, über die am gleichen Nachmittag abschließend entschieden werden soll.

15:05 Uhr: Trauerflor umweht das ungarische Parlament, ein Gruß der MSZP.

15:02 Uhr: In einem Redebeitrag beklagt der Chef der grün-liberalen LMP (die Fraktion existiert seit einer Spaltung der Partei nicht mehr), dass "Orbán unter dem Deckmantel des Freiheitskampfes die Rechte der Menschen, ihr Recht auf Selbstbestimmung einschränkt." Mit Blick auf die (siehe 14:23 Uhr) Problematik der Energiepreissenkung sagte Schiffer: es sei zwar abzulehnen, dass die privaten Energieversorger seit 1990 Milliarden an Extraprofiten aus dem Lande schafften, das dürfe aber nicht dazu führen, dass die Regierung sämtliche Befugnisse des Verfassungsgerichtes beschneidet. Orbáns Rede sei eine "Kriegserklärung gegen das gesamte juristische System des Landes" gewesen. Es sei einzigartig, dass ein Ministerpräsident öffentlich Gerichtsurteile kassiere. Schiffer weiter: Orbán wende "Gyurcsánysche Methoden" an, in dem er das Präsidialamt und einen großen öffentlichen Bereich drum herum seit dem 8. März bis 16. März (bis nach dem Nationalfeiertag) per Anweisung an die Antiterroreinheit TÉK durch einen Zaun absperren lasse.

14:32 Uhr: Auf einer Pressekonferenz in Berlin teilte János Áder mit, dass er nicht gewillt sei “von Berlin aus” irgendwelche Aussagen zur Verfassungsänderung zu machen. “Ich habe für alles einen strengen Zeitplan, ich werde mich nach meiner Rückkehr nach Ungarn (morgen, Anm.) äußern.”

14:28 Uhr: Der Beitrag der “Demokratischen Koalition”, einer MSZP-Abspaltung um Ex-Premier Gyurcsány zum Thema des Tages: ein Transparent mit der Aufschrift “Tyrannei” im Plenarsaal. Wird Zeit, dass Kövérs Parlamentsgarde für Ordnung sorgt...

14:23 Uhr: Orbán ist nicht aufzuhalten. Ein Gerichtsurteil, das Teile der staatlich verordneten Preissenkungen im Energiebereich für nicht rechtmäßig erklärte (es ging dem Gericht dabei nicht um die Preissenkungen an sich, sondern um das Hineingerede in die Netznutzungsgebühren (EU-Regeln)), kommentierte der Regierungschef mit den Worten: er wird sich von einem Gericht nicht seine Gesetze zerstören lassen, er werde dafür sorgen, dass “die Energiefirmen noch weniger Gewinn machen”, notfalls “durch ein höheres Gesetz”, was nichts anderes heißen kann, als dass bald die 5. Verfassungsänderung ansteht, in der dann auch die Strompreise stehen. In der 6. könnte dann das Wetter festgelegt werden...

14:12 Uhr: Ein Abgeordneter der MSZP (“Sozialisten”) hängt Trauerflor aus einem Fenster des Parlamentes (Foto: MTI). Seine Fraktion zog aus dem Plenum aus, Orbán hat dafür “kein Verständnis.”

13:21 Uhr: Gerade setzt Premier Orbán im Parlament zu einer Rede an, wird aber durch viel Lärm und Zwischenrufe immer wieder unterbrochen. Vor allem Jobbik-Abgeordnete stören lautstark, die MSZP-”Sozialisten” boykottieren die Sitzung ganz.

13:16 Uhr: Die “linkspatriotische” Partei 4K! (“Vierte Republik”) bemerkt in einer Aussendung, dass Fidesz die Verfassung “aktualisiere, wie andere ihre Facebook-Seite”, was beweist, dass Orbán das Grundgesetz nicht ernst nehme. Ungarn habe derzeit keine legitime Verfassung, denn dies sei die Verfassung einer Partei, nicht des Volkes. Damit habe auch diese Regierung ihre Legitimation verloren.

13:06 Uhr: Bei einer Feierstunde zum Gedenken an die Vertreibungen der Ungarndeutschen im Parlament in Budapest sind heute neben Vertriebenenchefin Erika Steinbach (CDU), dem Chef der Deutsch-Ungarischen Gesellschaft, Otto Heineck, dem Staatssekretär im Innenministerium, Christoph Bergner (um die “Volksdeutschen” kümmert sich in Deutschland noch immer auch das Innenministerium!) auch der deutsche Parlamentspräsident Norbert Lammert (CDU) anwesend gewesen. Man hätte die Reise auch absagen können, man hätte protestieren können, man hätte klare Worte für Rechtsstaat und Demokratie finden können. Man tat es aber nicht...

Morgen, am 12. März wird Präsident János Áder von Kanzlerin Merkel empfangen, er ist bereits seit gestern in Deutschland... Am Dienstag wird Parlamentspräsident Kövér von seiner bayerischen Amtskollegin in München empfangen...

12:52 Uhr: Katz- und Mausspiel am Parlament, Studenten und Gymnasiasten besetzen die Zufahrten zum Hohen Haus, die Polizei trägt sie weg... Foto: MTI

12:30 Uhr: Eine Handvoll Gymnasiasten blockiert mit einem Sitzstreik die Hauptzufahrt zum Parlament in Budapest. Auf ihrem Transparent steht: Die Heimat ist dort, wo auch das Recht zu Hause ist... Die Polizei, die sofort mit mehreren Einsatzwagen zur Stelle war, lässt sie zunächst gewähren, durch eine andere Einfahrt kommen die Parlamentarier an ihren Arbeitsplatz. Foto: MTI

12:00 Uhr: Spiegel online bringt einen Aufmacher “Ungarn verabschiedet sich vom Rechtsstaat”, der zusammenfasst, worüber wir hier seit Anfang Februar bereits berichten. Auch sonst schwillt die Medienwelle wieder an, auf Ausmaße, die wir vom Mediengesetz 2011 und der neuen Verfassung 2012 kennen. Wie berichtet, verstärkt sich auch die politische Kritik im Ausland, allerdings - wie auch 2011 und 2012 - ohne Konsequenzen für die ungarische Politik.

Die wichtigsten Links zum Thema:

“Selbstermächtigung”: Beitrag zu den Änderungen am Kerntext der Verfassung
+ Details bezüglich VfG

Änderungen an den Kompetenzen, der Arbeits- und Funktionsweise des Verfassungsgerichtes + weiterführende Links zur Verfassungsgeschichte seit 2010

Originaltext der geplanten Verfassungsänderungen (pdf, engl.)

Das Letzte Wort: Ex-Präsident zum Verfassungsputsch: Präsident muss Veto einlegen

Brief Außenminister Martonyi an die europäischen Außenminister (pdf, engl.)

Vormärz: Tausende protestieren gegen den “Verfassungsputsch”
+ Stimmen aus USA, Barroso etc.

Orbán, Merkel und die europäische Selbstenthauptung: Kritik von Europarat, dt. Bundesregierung, EU-Kommission + Kommentar

red.

 

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