Hauptmenü

 

KLEINANZEIGEN für UNGARN und OSTEUROPA ab 35.- EUR / 30 Tage!

Das Pester Lloyd Archiv ab 1854

 

 

Anzeigen-Aktion

 

(c) Pester Lloyd / 27 - 2013   GESELLSCHAFT 03.07.2013

 

Liebe am Rande Europas

19 Botschafter und Google unterstützen Gay Pride Parade in Ungarn

Am vergangenen Sonntag begann in Budapest das 18. Gay Pride Festival, als Abschluss gibts am Samstag, 6. Juli, dazu die traditionelle, bunte Parade. Wie in den vergangenen Jahren sind zur Sicherung der Teilnehmer massive Polizeikräfte notwendig, jedes Jahr gab es Ausschreitungen zwischen Sicherheitskräften und rechtsradikalen Gegendemonstranten sowie Jagdszenen auf Teilnehmer. Aber auch der ungarische “Mainstream” ist ein Abbild gelebter Intoleranz.

Pride-Parade Budapest, 2012

Wenn auch die offizielle Sprachregelung der Regierung von der Unterstützung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit handelt, die jedem, der sich friedlich artikulieren möchte, den Schutz der Behörden garantiert, bricht sich in der Regierungspartei immer mal wieder der homophobe Ungeist Bahn. Die Polizei setzt die gegebene Garantie immerhin mit martialischem Aufwand durch (mehr zur "Liebe unter Polizeischutz" im Bericht aus dem Vorjahr), ein persönliches Risiko für Leib und Leben besteht für Pride-Teilnehmer in Ungarn jedoch nach wie vor.

Abgeordnete der heutigen Regierungspartei Fidesz gaben in den Vorjahren auch schon einmal den "Schutz der Jugend" zu bedenken, um zu fragen, ob "dieser Aufwand für eine solche Minderheit" nötig und angemessen ist und welche "Vorbilder" hier promotet werden. Einige empfahlen den "Betroffenen" sogar die Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe, es gäbe bereits erprobte Therapien. Wir wünschten damals von dieser Stelle ebenfalls `Gute Besserung` in die Parteizentrale. (
Siehe: Hinterm Mond, gleich rechts)

Fidesz-Funktionäre outen sich als Schwulenhasser

Die blieb leider aus: Regierungsnahe “Elternvereine” mahnen, “besorgte Mütter” schreiben Briefe an regierungstreue Medien, Budapests Oberbürgermeister Tarlós lehnte eine zuvor zugesagte Unterstützung der Eurogames (eine Art schwul-lesbische Olympiade) im Vorjahr ab. Auf einen Protest seines Berliner Amtskollegen Klaus "Und das ist gut so"-Wowereit antwortete Tarlós mit einem Brief, der vor unterdrücktem Hass nur so glüht. Erst vor wenigen Tagen ejakulierte ein Fidesz-Regierungskommissar "für die Förderung des Rechtsbewußtseins und des nationalen Kulturerbes", Imre Kerényi, aus den Tiefen seines Gemüts, als er den forcierten Abgang des schwulen (und linken!) Regisseurs und Nationatheaterdirektors Alföldi mit den Worten feierte, dass die “Schwuchteleien” nun ein Ende hätten und endlich “wieder Liebe und treuer Glauben” ins Theater einzögen. Homophobie, überhaupt Intoleranz gegen alles von der sog. Norm Abweichende, ist in Ungarn, wie überall in Osteuropa immer noch tief verankert und auch keine unbedingte Spezialität der Rechten. Sie artikulieren sich manchmal nur klarer.

Frömmelnd, reaktionäres, anmaßendes Welt- und Menschenbild

Selbst der spießige Pseudosozialismus der Kádár-Zeit war in solchen Fragen schon weiter. Offiziell wurde die "Szene" zwar auch damals als ziemlich unappetitlich angesehen, doch konnte sie sich im Nischenbereich relativ frei entfalten, Budapest hatte im Ostblock einen entsprechenden "Ruf". Die Stimmung ist heute eine andere. Die Szene gibt es zwar, aber sie ist noch mehr in sich zurückgezogen als je. Die Homophobie ist nur ein Ausdruck gewachsener Intoleranz und einer aggressiven Stimmung in der Gesellschaft, bedingt auch durch ein mittelalterlich anmutendes, frömmelndes Weltbild, das sich bis in die Verfassung hinein eine enge, katholische Begriffsstutzigkeit zu Familie und Ehe anmaßt.

Mag vielen auch die schrille Selbsdartellung eitler Pfauen auf der Straße auf die Nerven gehen: solange Menschen wegen ihrer Identität, ihrer sexuellen Orientierung kriminalisiert und diskriminiert werden - und sei es auch nur durch einen Steuersatz und das Adoptionsrecht - bleiben diese Demos nötig und wichtig. Das wird, besieht man sich Ungarn heute, noch lange der Fall sein.

Mehr zum Thema: Vatikanisch-russische Verhältnisse -
Amtlich unterstützte Homophobie in Ungarn

19 Botschaften unterstützen die "Pride" öffentlich - Gegendemo von Neonazis geplant

Dennoch ist in diesem Jahr auch die Unterstützung der Zivilgesellschaft sowie die von ausländischen Regierungen nochmals gewachsen. Wie schon in den Vorjahren, positionierten sich die Botschafter von in dieser Frage aufgeklärteren Ländern als Unterstützer der Veranstaltung: Australien, Österreich, Belgien, Kroatien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Deutschland, Irland, Israel, Italien, Niederlande, Norwegen, Portugal, Slowenien und Schweden publizierten eine gemeinsame Erklärung. Sie betonen das Recht der freien, friedfertigen Äußerung und erinnerten die Regierung an ihre im Jahr 2011 eingegangene Verpflichtung durch Annahme der UN-Menschenrechtsresolution über die Gender-Identität und die sexuelle Orientierung. Gleichzeitig fordert man die Behörden auf, dafür zu sorgen, dass "jenen mit extremen Ansichten" nicht erlaubt wird die "fröhliche Zusammenkunft" zu zerstören. Gemeint sind hier vor allem die ungarischen Neonazis, die "Neue Ungarische Garde", illegaler Nachfolger der verbotenen "Ungarischen Garde" aus dem direkten Umfeld der Parlamentspartei Jobbik, hat für die gleiche Zeit, nur wenige Hundert Meter von der Pride-Route zu einer Gegenveranstaltung aufgerufen.

Unternehmen teilen sich einen Wagen

Neben der Unterstützung der Botschafter, zeigen auch zahlreiche Unternehmen, vornehmlich ausländische, was sie von Intoleranz und Chauvinismus halten, so reihen sich die ungarischen Vertretungen von Google, die Investmentbank Morgan Stanley, das Softwareunternehmen Prezi sowie das Übersetzungsbüro espell in die Reihe der Unterstützer ein und werden sich auf der Parade auf einem Wagen zeigen. In den letzten Jahren war die Tendenz, dass die Teilnehmerzahlen, aus schierer Angst, immer weiter rückläufig waren und sich die Parade vorwiegend aus einheimischen Aktivisten und ausländischen Unterstützergruppen rekrutierte.

Ausdruck liberaler Dekadenz

 

Diese Mischung machte es dem homophoben "Mainstream" leicht, die Veranstaltung als ein von außen nach Ungarn hereingetragenen Gruß der dekadenten, westlichen Welt, darzustellen, der dem ungarischen Wesen an sich fremd ist und die mit ihrem "übertriebenen" Liberalismus das Erhaltenswerte, "die guten Sitten" und die "Moral" ja bis hin zur Nation alles unterwandert und zerstören will. Ein landesweit bekannter Kommentator, der Orbán-Freund und Fidesz-Mitgründer Zsolt Bayer, machte die "Liberalen" in einer seiner Kolumnen für den drohenden Untergang der "weißen, christlichen Rasse" verantwortlich und wünscht ihr daher den Tod an den Hals. Es ist der gleiche, der Roma als Tiere bezeichnet. Es ist zu wiederholen: er ist ein Gründungsmitglied der Partei Fidesz und ein persönlicher Freund des Ministerpräsidenten.

In diesem "intellektuellen" Umfeld kann ein Fest der Toleranz in Budapest auch heute nur durch den Schutz Hunderter, schwer ausgerüsteter Polizisten, also hinter einer Art menschlichen Stacheldrahtzauns stattfinden und bleibt so ein Armutszeugnis für jedes Land, erst recht für eines, das von sich behauptet, ein europäisches zu sein.

Seite des Gay Pride Festival
http://2013.budapestpride.hu/

Csaba Szabó / M.S.

Möchten Sie den Pester Lloyd unterstützen?