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(c) Pester Lloyd / 22 - 2013   BOULEVARD 27.05.2013

 

Schwuchteln, Huren und Hofnarren

Homophober Regierungskommissar in Ungarn spaltet rechtes Lager

Der homophobe Ausfall eines Regierungskommissars sorgt für Entrüstung, diesmal sogar in der regierungsfreundlichen Presse. Imre Kerényi, früher anerkannter Regisseur, dann von Orbán mit dem Posten des "Sonderkommissars für die Förderung des Rechtsbewußtseins und des nationalen Kulturerbes" beschenkt, hat sich in den letzten Jahren immer weiter zu einem strammen Nationalisten und absurden Schausteller der Regierungsideologie gewandelt. Ein kleiner Einblick in den alltäglichen Kulturkampf in Ungarn.

Seine Hauptaufgaben bestanden bisher in großflächigen Werbeaktionen für die neue Verfassung. So erfand Kerényi u.a. die "Verfassungsaltäre" in allen kommunalen Amtsgebäuden des Landes und zeichnet für eine Ausstellung mit Auftragswerken verantwortlich, die den Begriff Staatskunst ins Nachwendeungarn zurückbrachte und nordkoreanischen Vorbildern zur Ehre gereichen könnte.

Imre Kerényi, Sonderkommissar, bei der Präsentation von Auftragswerken zum Thema “Ungarn auf dem Weg zur neuen Verfassung”. Mehr dazu bei Pusztaranger.

Kommissar Kerényi lobte den neu ernannten Direktor des Budapester Nationaltheaters, Attila Vidnyánszky, anlässlich einer Konferenz in Budapest. Sinngemäß: nun endlich, da der unsägliche Vorgänger Róbert Alföldi weg ist, könne der neue Chef des Hauses ein erfolgreiches Theater gründen und zwar auf Liebe und treuem Glauben und nicht auf, wörtlich, "Schwuchteleien". Die Sache ist so selten nicht, dass sie einen langen Artikel wert wäre, Homophobie hat bei den "Nationalkonservativen" und nicht nur bei diesen, eine lange, hässliche Tradition, die sich ausgerechnet im Rahmen der Neuentdeckung des Christlichen als Leitmotiv der Nation immer ungenierter Bahn bricht. Doch auch schon 2009 artikulierten Fidesz-Politiker, dass die Schwulen anstelle jugendgefährdende Paraden abzuhalten lieber ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen sollten. Insofern ist es nicht nur bezeichnend, sondern sogar folgerichtig, dass sich der Kommissar für das “kulturelle Erbe” dieser Sache annimmt.

Doch die Aufarbeitung dieses Vorfalls wirft auch ein beredtes Licht auf den tagtäglichen Kulturkampf im heutigen Ungarn, der abseits solcher verbalen Erruptionen ganz praktisch die Freiräume von Kreativen und Querdenkern einengt und die Gesellschaft in eine Richtung trimmen soll. Ob es um Postenbesetzungen geht, die Unterwerfung fast aller maßgeblichen Institutionen unter Fidesz-Kuratel, Zensur bei der Filmförderung, die Räumung von “oppositionellen” Szeneclubs, das Aushungern der Off-Szene oder - wie ganz aktuell - um die heilige Inquistion selbsternannter “Moralwächter” auf Bezirksebene. Man könnte die Linie aufsteigend weiterführen und landete dann über Straßenumbenennungen, Geschichtsrevisionismus und Horthy-Kult alsbald direkt beim lieben Gott in der Verfassung und in den Genen der Magyaren...

Alföldi (Foto) war, wie ausführlich berichtet, mehrfach massiven Attacken des rechten bis rechtsextremen Lagers ausgesetzt. Sein Theater war zu weltoffen und zu "respektlos", er selbst zu liberal, vermutlich sogar links und zudem noch schwul. In einem Stück imitierte jemand Oralsex, das fand die Rechte gar nicht witzig, denn die hat weder Oralsex noch Humor. Ein anderes Mal traute sich Alföldi sein Haus für einen Abend an die rumänische Botschaft zu vermieten, dabei gibt es das Land doch eigentlich gar nicht. Die Volksmassen, also die links-liberal verblendeten, standen Schlange, als bekannt wurde, dass er das Theater verlässt. Ein anderes Theater, das "Neue", von Fidesz-Bürgermeister Tarlós in die Hände eines Neonazis gelegt, leidet derweil unter massivem Publikumsschwund. Die Theaterbretter sind offenbar nicht ganz das Milieu der Rechten, die Bretter vorm Kopf schon eher.

Dass nicht nur Regierungsnutten wie Kerényi weltoffenen Humanismus für ein Hindernis halten, im heutigen Ungarn an verantwortlicher Stelle im Kulturbetrieb tätig zu sein, bestätigte auch der verantwortliche Minister Balog, der die nationale Gesinnung des Nachfolgers bei dessen Einführung explizit als Einstellungskriterium benannte. Es war dies der gleiche Minister, der dem Präsidenten der Akademie der Künste, die von Fidesz zum zentralen Kulturzensurkommission aufgewertet wurde, Fekete, seine "volle Unterstützung" zusagte, nach dem dieser postulierte, dass "Künstler, die nicht national gesinnt sind, bei uns heute keinen Platz mehr haben". Fekete bezeichnete zuvor György Konrád und Imre Kertész als Schriftsteller, die "im Ausland für Ungarn gehalten werden" (lies: es sind Juden, keine Ungarn).

Selbst Vidnyánszky, der zwar als national gesinnt, aber nicht als Eiferer gilt, schüttelte auf dem überlieferten Video von Kerényis Ausbruch zwar sichtbar missbilligend den Kopf, unterließ aber einen direkten Widerspruch. Als die Geschichte in den Medien die Runde machte, entschuldigte er sich für seinen ausgebliebenen Protest. Ein solcher kam sowohl von der Ungarischen Theatervereinigung als auch von der Film- und Theaterakademie, von Balog oder gar Orbán, der Kerényi immerhin auf seinen Posten gehievt hatte, kam, wie immer bei Ausfällen seiner Freunde (
Fall Bayer): nichts. An dieser Stelle sei an einen anderen Sonderkommissar, den einstigen Chefinquisitor Gyula Budai erinnert, der mit seiner Rufmordkampagne dereinst ein Dutzend Philosophen mit dem Furor des Volkes überzog. Rechtlich haltbar war nichts davon, der Rufmord indes blieb. Budai ist heute Chef des staatlichen Melonenkartells und jagt auf Märkten höchstpersönlich slowakische Billigmelonen. In seinen Augen ist das ein Aufstieg.

Dass sich die linke Presse auf den Vorfall Kerényi empört stürzt, ist wenig überraschend, in der Népszava erläutert eine Autorin den unglaublichen Wandel des Imre Kerényi, der sich von einem "brillanten Regisseur" zu einem "nach Privilegien, Pöstchen und Geld gierenden Hofnarren" entwickelt habe. "Der neue Kerényi hat den alten getötet.", so ihr Resümee.

Sogar der Chefredakteur der regierungstreuen Magyar Nemzet sah sich zu einem kleinen Kommentar bewegt, freilich in einer Sprache, die wiederum mehr an die Fäkalmetzeleien eines Bayer erinnert, denn an den Kommentar eines führenden Publizisten des Landes. Kerényi hätte "Exkremente aus seinem Mund über alle nationalen Helden und Symbole geschmiert und auch alles, was er bisher getan oder in Zukunft noch tun wird, besudelt." Gábor Élő resümiert, dass es nicht darauf ankommt, ob einer Christ oder Konservativer ist, sondern dass es genügen muss, Mensch zu sein, um von Anderen würdig behandelt zu werden.

 

Diese letzte Äußerung - katastrophal genug, dass an die Würde des Menschseins überhaupt erinnert werden muss - geht in ihrer gnädigen Toleranz jedoch über die Regierungsvorgaben hinaus. Gerade erst hatte Minister Balog all jenen, die sich nicht an christlichen Werten orientieren (wollen), das Recht abgesprochen, sich als Europäer zu bezeichnen und Orbán brüstet sich schon einmal damit "die Linke vernichtet" zu haben. Auch die Verfassung widerspricht dem Chefredakteur, die fein, aber deutlich zwischen Angehörigen der Nation und Bürgern des Staates unterscheidet. Und so sind es am Ende auch nicht die Proteste, sondern das Schweigen der Vorarbeiter im Weinberg der Nation, die heute am lautesten durch das Land hallen.

Nationaltheaterdirektor Vidnyánszky könnte ein wichtigtes und wuchtiges Zeichen setzen und die "Schwuchtel" Alföldi vielleicht zu einer Gastregie an dessen alte Wirkungsstätte, ins Nationaltheater, einladen. Dies würde beweisen, dass es auch im rechten Lager Menschenfreunde gibt und Ungarn vielleicht doch nicht ganz in der Barbarei versinkt. Kommissar Kerényi sollte dann eine Ehrenkarte in der ersten Reihe bekommen, wenn sich der Vorhang  z.B. für Dostojewskis "Der Idiot" hebt...

ms.

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