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(c) Pester Lloyd / 35 - 2013   POLITIK 28.08.2013

 

Das kleine Einmaleins der Macht

Lehrer in Ungarn bekommen mehr Geld, - für mehr Gehorsam

Am Dienstag hat das ungarische Parlament in einer außerordentlichen Sondersitzung die seit 2011 angekündigten, aber mehrfach verschobenen Gehaltserhöhungen für Lehrer und weiteres Personal an den staatlich kontrollierten Pflichtschulen gesetzlich verankert. Zunächst erhalten Lehrer nur rund 60% der 2011 zugesagten Summe, was für die meisten eine sofortige Gehaltsanhebung von rund 34% bedeutet, aber mit einer enormen Mehrbealstung und Kadavergehorsam zurückzuzahlen ist.

Die heute für die Pflichtschulen zuständige Staatssekretärin Rózsa Hoffmann wurde vor Monaten von den Agenden der Hochschulreform wegen erwiesener Unfähigkeit befreit, für die “Kleinen” genügen ihre Kompetenzen aber noch, findet Superminister Balog.

Die Gehälter der Pflichtschullehrer in den untersten Einkommenskategorien werden per 1. September auf ein monatliches Brutto von 185.000 (625.- EUR) bis 203.000 Forint (687.- EUR) angehoben. Ein Lehrer, der seit 30 Jahren im Dienst steht, kann dann mit bis zu 288.000 Forint (973.- EUR), brutto, rechnen, was sich netto dann auf etwa 630.- EUR reduziert und damit rund 150.- EUR über dem Medianeinkommen liegt. In den kommenden vier Jahren steigt das Einkommen dann jeweils um weitere 10% zur Basis von 2013, ohne eine zusätzliche Inflationsanpassung (derzeit rund 3% p.a.). Schrittweise sollen auch Assistenzlehrer in das Modell eingegliedert werden, Kindergartenpädagoginnen werden ohnehin wie Pflichtschullehrer eingestuft.

Allerdings gelten diese Lohnanhebungen nur für jene, die die Auflagen des neuen Lehrerdienstrechtes, vulgo "Karrieremodell" erfüllen, das nach Einschätzung von Fachleuten (der Opposition sowieso) eine anmaßend politisch-ideologische Ausrichtung trägt und in Summe die Qualität der Pflichtschulausbildung verringern wird, ja, die Grundziele selbiger würden für die Machtträume der Orbán-Regierung auf Spiel gesetzt und damit die Zukunft einer ganzen Generation, hieß es von Seiten sozialistischer Abgeordneter.

Das Karrieremodell, das nach Lesart der Regierung das "Prestige des Lehrerberufs anheben soll", beinhaltet einen mit national-ideologischen Inhalten bestückten "Ethikkodex", Treue zum "nationalen Rahmenlehrplan", einschließlich
revanchistischer Pflichthymne und antisemtischer Elemente, verpflichtende, dabei zentral gesteuerte und konzipierte Fortbildungen und eine vom Ministerium dirigierte Einheitsgewerkschaft, bei Ausschaltung der freien Gewerkschaften. Auch ein regelrechts Spitzelsystem wurde - nach altem Muster - eingeführt, einschließlich eines medialen Maulkorbs für Lehrer und Direktoren.

Außerdem wird die Arbeitszeit / Pflichtstundenzeit der Lehrer empfindlich angehoben, so dass die opponierende Gewerkschaft PDSZ davon spricht, dass die Gehaltsanhebung praktisch durch Mehrarbeit aufgefressen wird. Auch werden weitere Kündigungswellen befürchtet, zwei davon gab es bereits, wobei - laut Gesetz - als Kündigungsgrund die Angabe von "Vertrauensverlust" genügt, um das öffentliche Dienstverhältnis zu beenden.

Die Regierung lobt sich hingegen, das "Karrieremodell" sei eine "alte Schuld" des Staates an den Lehrern, so Minister Balog und dazu noch "eine große Errungenschaft", die "zu den größten Änderungen an den Lehrerkarrieren seit der Wende" führten. Die Opposition erwiderte, "wohl wahr", denn "das Modell führe genau direkt in die Zeit vor der Wende zurück", auch die Aussparung jeglicher wirklicher Konsultation mit den Betroffenen spreche für ein Kádáreskes Gesetz, das Lehrer zu Lakaien und Politkommissaren mache, ohne einen sichtbaren Nutzen für die Schüler zu erreichen.

 

Während der hitzigen, zweitätigen Debatte in den Parlamentsferien wurden von der Regierungsfraktion sämtliche Änderungswünsche abgeschmettert, sogar solche aus den eigenen Reihen. Auch diese Maßnahmen seien lediglich Teil der antidemokratischen Hybris dieser Regierung, die alle Politik lediglich am Nutzen für den eigenen Machterhalt, nicht aber am Fortschritt für die Gesellschaft. Man hätte gar nichts gegen ein leistungsorientiertes Bezahl- und Karrieresystem im Bildungswesen einzuwenden, doch hier wird nicht Leistung, sondern nur Unterordnung belohnt.

Die Maßnahmen kosten das Zentralbudget in diesem Jahr umgerechnet zusätzliche 110 Mio. EUR im kommenden 520 Mio. EUR, bis Januar 2016 werden insgesamt fast 700 Mio. EUR dafür aufgewendet. Minister Balog besteht - im schönsten Planwirtschaftsssprech - darauf, dass die "finanzielle Basis dafür von der ungarischen Wirtschaft" geschaffen wurde und "nicht durch internationale Kredite".

Die Orbán-Regierung hat per Januar sämtliche Schulen aus kommunaler Trägerschaft in eine zentralstaatliche überführt, das sog. "Klebelsberg-Institut" fungiert als zentrale Aufsicht. Mehr zur dortigen Arbeitsweise in diesem Bericht.
http://www.pesterlloyd.net/html/1304schulreformklebelsberg.html

Zum Schulanfang: 200 Hilfssheriffs sollen für Recht und Ordnung sorgen
http://www.pesterlloyd.net/html/1335schulsheriffs.html

Themenseite zur Schul- und Hochschulreform in Ungarn
http://www.pesterlloyd.net/html/1250updatestudenten.html

red. / a.l.

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